Der Lebensmittel-Lieferant Gurkerl.at ist seit seinem Marktstart in Österreich kräftig gewachsen. Doch was hebt ihn von anderen ab? Wie will man nachhaltig agieren? Und wie geht das Unternehmen mit seinen LieferantInnen um? Gurkerl.at-Chef Maurice Beurskens erklärt und zeigt News.at sein Unternehmen.
Hinter Gurkerl.at steckt das tschechische Unternehmen Rohlík, was übersetzt so viel wie Kipferl heißt – warum Gurkerl und nicht Kipferl?
Maurice Beurskens: (lacht)…Ich habe vor eineinhalb Jahren mit Tomáš Čupr (Anm.: Rohlík-Gründer) darüber diskutiert, welche Marke wir hier in Österreich umsetzen wollen und bei der Übersetzung „Kipferl“ war ich mir unsicher, woraufhin wir 500 KundInnen befragt haben und dabei wurde relativ schnell klar, dass Kipferl nicht geht.
Warum nicht?
Man kann den Begriff für unterschiedliche Zwecke verwenden und er ist nicht unbedingt „sympathisch“. In der Umfrage lag Gurkerl auf Platz vier und ich habe mit meinem Partner bei einer Flasche Wein beschlossen: Es ist grün, es ist lustig, es passt.
Was an Gurkerl.at kommt aus Österreich, was aus Tschechien?
Es ist im Herzen eine Tech-Firma. Wir verwenden unterschiedliche Daten, um im ersten Schritt die Lieferkette zu verkürzen; kleine Landwirte etwa ernten zeitig in der Früh ernten, die Ware kommt sofort zu uns und wir liefern sie am selben Tag noch aus. Diese Infrastruktur, diese technologische Plattform, kommt über die Gruppe. Die Entscheidungen über Sortiment, Standorte und so weiter, fallen aber lokal in Österreich. Wir beschäftigen uns hier zum Beispiel auch ganz stark mit dem Thema Nachhaltigkeit.
Sie sagten vor kurzem, Sie wollen „in drei bis sechs Monaten der umsatzstärkste Lebensmittel-Onlineshop in Österreich sein.“ Das erste dreiviertel Jahr seit Ihrem Marktstart ist demnach erfolgreich verlaufen?
Es ist sehr erfolgreich! Das kann man nicht anders sagen. Wir haben mit 200 MitarbeiterInnen begonnen, sind jetzt auf 550 MitarbeiterInnen, Ende des Jahres werden wir bei rund 800 MitarbeiterInnen sein und in ein, zwei Jahren werden wir 2000-3000 MitarbeiterInnen brauchen.
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Was macht diesen Erfolg aus? Was macht Gurkerl.at anders/besser als die anderen?
Punkt eins ist: Wir sind von den KundInnen begeistert. Unsere KundInnen bestimmen das Sortiment mit (Anm.: etwa 25 Prozent des „Gurkerl“-Sortiments entstand aus KundInnen-Wünschen), aber unsere Preise sind deshalb nicht höher.
Unser Sortiment kann man sich in Form einer am Kopf stehenden Pyramide vorstellen: In die größte Zeile ganz oben fallen Bio-Produkte bzw. Produkte von kleineren Lieferanten und Herstellern sowie exklusive Marken wie etwa von Marks & Spencer ein. Das mittlere Segment ist 1:1 vergleichbar mit dem klassischen Handel und das kleinste Segment ganz unten sind eigene Marken. Aber das Hauptziel – und das macht uns besonders - ist, dass wir kleinere Landwirte und Produzenten unterstützen. Und das auch nachhaltig. Damit meine ich etwa, dass wir die Ware theoretisch auch innerhalb einer halben Stunde ausliefern könnten, so wie es Blitz-Lieferdienste machen, aber aus unserer Sicht ist es nur sinnvoll, mit dem Auto wegzufahren, wenn die Tour komplett ist. Wir denken mit.
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Außerdem bringen alle unsere MitarbeiterInnen eine gewisse Leidenschaft für Lebensmittel mit und blicken bei der Arbeit auch über den eigenen Tellerrand. Und diesen Spirit spürt man.
Ich glaube also diese Kombination aus Service, Nachhaltigkeit sowie guten Ware von kleinen Lieferanten und Herstellern kommt in Österreich gut an.
Rohlík ist auch in Tschechien, Ungarn und Deutschland tätig: Wie würden Sie die Konkurrenzsituation in Österreich im Gegensatz zu anderen Ländern beschreiben?
Ich glaube, das ist vergleichbar. Es gibt unterschiedliche Start-Ups, aber die sehe ich nicht unbedingt als Konkurrenz. In Österreich hat jede/r hat einen Supermarkt um die Ecke - Österreich hat die größte Dichte von Supermärkten in ganz Europa – und das ist die viel größere Konkurrenz.
Ich bin davon überzeugt, dass diese Quick-Commerce-Lieferdienste kommen und gehen, denn einen Warenkorb von 10-15 Euro mit den hiesigen Lohnkosten, Mietkosten, Transportkosten und so weiter abzudecken, ist einfach kein nachhaltiges Modell.
Wie verdient man mit Online-Lebensmittelzustellung Geld?
An der Zustellung von Lebensmitteln beißen sich derzeit selbst etablierte Handelskonzerne die Zähne aus, das Geschäftsmodell wirft finanziell nichts ab. Online-Supermärkte müssen also eine Antwort auf die Frage finden, wie sie mit ihrem Geschäft angesichts hoher Personalkosten und niedriger Margen im Lebensmittelhandel Geld verdienen. Manche setzen dabei etwa auf feste Lieferzeiten nach dem Vorbild des Milchmanns aus den 50er Jahren. Damit sollen die Kosten gedrückt werden. Andere legen maximales Wachstum in die Waagschale, eine Strategie hinter der derzeit viele Investoren mit tiefen Portemonnaies stehen. Gurkerl.at sagte zum Start in Österreich, man wolle es gerne probieren mit der Strategie „Gute Qualität schnell geliefert“. Beurskens sieht zudem noch genug Wachstumspotenzial in Wien und Umgebung. Denn: Alfies sei fokussiert auf Getränke, große Anbieter wie Interspar und Billa könnten nicht so schnell ausliefern und Mjam sowie künftig Gorillas würden sich auf kleine Liefermengen konzentrieren. "Wir haben ein anderes, großes Sortiment und gute Preise", sieht Beurskens das eigene Potenzial.
Hat Gurkerl.at selbst unternehmerische Vorbilder? Betriebe, an denen man sich in gewissen Dingen orientiert?
Es ist klar, dass wir etwa im Lager automatisieren werden müssen und da schauen wir natürlich Richtung Autoindustrie. In Bezug auf die Unternehmenskultur ist es bei so einem schnellen Wachstum wichtig zu schauen, wie man das Team nachhaltig aufbauen kann. Diesbezüglich blicken wir etwa Richtung Online-Modelle. Ich bin ein großer Fan von Netflix, Google und so weiter, da kann man viel lernen. Im Handelsbereich selbst gibt es jedoch nicht viele Firmen, die so fokussiert auf ihre KundInnen sind wie wir, da müssen wir den Weg selbst finden und sprechen viel mit unseren KundInnen. Dabei merken wir: Wir haben wirklich einen Fanclub! KundInnen können sich bei uns Produkte „wünschen“ und wir erhalten pro Tag etwa 40-50 Anfragen.
Welche Produkte werden hier gewünscht? Sind das tatsächlich umsetzbare Dinge oder eher Utopisches?
Natürlich sind Herausforderungen dabei und es muss schon Sinn machen, etwas anzubieten. Wir setzen aber viel um und etwa 30 Prozent sind auch relativ leicht umsetzbar.
Welche sind die häufigsten Wünsche?
Kleinere Produkte vom Bauern; vom Käse bis zu eigenen Ketchups etwa. Auch Brot ist ein interessantes Thema. Jeder hat anscheinend einen eigenen Bäcker.
Sie sagen, Sie haben einen Fanclub, aber erhalten Sie auch Kritik? Wo sehen Ihre KundInnen Verbesserungspotenzial?
Bei der Verpackung! Plastik spielt bei unseren KundInnen eine ganz große Rolle. Wir können seit kurzem etwa mit wiederverwendbaren Taschen ausliefern und das spürt man sofort im Feedback. Das war das Hauptthema. Wir haben jetzt auch eine eigene Verpackungslinie mit mehr Karton und weniger Plastik aufgesetzt und versuchen das im Oktober umzusetzen. Wir nehmen auch alles an Pfand, Plastik oder Papier zurück. Gerade in der älteren Gruppe der 60 plus kommt das wirklich sehr gut an.
Auf einem der vielen Monitore im offenen Großraumbüro von Gurkerl.at – auch Chef Maurice Beurskens sitzt hier – poppen auch KundInnenbewertungen für jeden sichtbar auf. Bei unserem Rundgang beschwert sich zum Beispiel gerade jemand darüber, dass die Schoko-Croissants dieses Mal etwas kleiner gewesen seien als üblich. (Was) antwortet man in so einem Fall? Beurskens schmunzelt zwar ob dieser Kritik aber gibt sich trotzdem erfreut über das Feedback, denn es sei einfach viel wert, dass die Kundin oder der Kunde sich die Zeit genommen habe, etwas zu schreiben. Geantwortet werde auf jeden Fall.
Auch in diversen Online-Foren stößt man durchwegs auf Lob für Gurkerl.at. Nur, dass neben dem regionalen Obst und Gemüse doch auch importierte Ware verkauft wird, wird bemängelt. Soll gerade diese Produktgruppe irgendwann nur noch regional sein – oder wird es immer ein Mix bleiben?
Es wird immer ein Mix bleiben, denn nur so können wir bei großen Lieferanten eine bessere Marge erzielen und gleichzeitig die Kleinen unterstützen ohne sie zu drücken, was übrigens der klassische Handel macht. Plattformen, die in dieser Nische agieren und nur Bioprodukte anbieten, sind aus meiner Sicht nicht nachhaltig, weil man einfach eine gewisse Marge braucht, um eine Lagerhalle, Lieferwägen und so weiter erhalten zu können. Hat man nur kleinere Lieferanten mit kleinen Mengen, schafft man das auf Dauer nicht und dann bringt es auch nichts.
Schon vor Corona wurden Lebensmittel online bestellt, Corona hat hier natürlich nochmal nachgeholfen. Denken Sie, wird die Nachfrage auch wieder sinken?
Ich glaube, dass das bei vielen KundInnen inzwischen Gewohnheit ist und sie sich an die Zeit, die sie dadurch gewinnen, gewöhnt haben. Also ja, das wird bleiben.
Österreich und Online-Shopping
Laut einer Umfrage vom April 2021 kaufen ÖsterreicherInnen lieber im Supermarkt ein als online. Österreich zählt demnach im Vergleich mit acht anderen europäischen Ländern zu den Schlusslichtern beim Online-Shopping von Frischwaren. Die Coronakrise hat das Geschäft von einem niedrigen Niveau ausgehend angekurbelt, das aber nur in den Städten und ein großer Wurf ist der Online-Handel mit Lebensmitteln in Österreich bisher dennoch nicht. Nur elf Prozent haben in den vergangenen drei Monaten in einem Online-Supermarkt eingekauft. Das größte Hemmnis war laut Umfrage der Wunsch, die Produkte selber zu betrachten oder zu testen sowie auch die Sorge, nicht die beste Produktqualität zu erhalten und auch hohe Lieferkosten.
Österreich und Online-Shopping
Laut einer Umfrage vom April 2021 kaufen ÖsterreicherInnen lieber im Supermarkt ein als online. Österreich zählt demnach im Vergleich mit acht anderen europäischen Ländern zu den Schlusslichtern beim Online-Shopping von Frischwaren. Die Coronakrise hat das Geschäft von einem niedrigen Niveau ausgehend angekurbelt, das aber nur in den Städten und ein großer Wurf ist der Online-Handel mit Lebensmitteln in Österreich bisher dennoch nicht. Nur elf Prozent haben in den vergangenen drei Monaten in einem Online-Supermarkt eingekauft. Das größte Hemmnis war laut Umfrage der Wunsch, die Produkte selber zu betrachten oder zu testen sowie auch die Sorge, nicht die beste Produktqualität zu erhalten und auch hohe Lieferkosten.
Wird der Online-Lebensmittel-Einkauf den Gang zum Super- oder Wochenmarkt irgendwann vollständig ersetzen?
Supermärkte werden bleiben aber sicher nicht mit der Dichte, wie es in Österreich der Fall ist. Die großen Märkte rund um die Stadt, die bleiben werden, werden ganz anders aussehen. Und in den Städten wird der Lieferservice quasi so etwas wie dein Netflix sein. Jeder wird es nutzen.
Sie setzen stark auf Nachhaltigkeit/Umweltschutz. Gerade in der Stadt, also da wo Gurkerl.at aktiv ist, hat man aber in der Regel aber alles, was man braucht, in Gehdistanz. Wie nachhaltig ist das, wenn man sich da seine Einkäufe per Auto liefern lässt?
Das ist natürlich die Frage, ob dann per Auto oder Rad geliefert wird. Außerdem glaube ich, dass auch wenn man in der Innenstadt fünf kleine Supermärkte um sich hat, das nicht die Supermärkte sind, die die kleinen Landwirte und Bauern unterstützen.
Wir wollen außerdem gewisse Produkte wieder zu den Familien bringen, wie etwa Kräuter: Viele haben keine Ahnung mehr davon. Jeder ist mit seinem Handy beschäftigt, trotzdem ist es wichtig, dass auch jeder weiß, wo das Essen herkommt. Da haben wir noch viel zu tun. Wir sind auch hier, um eine Community aufzubauen.
Wird bei Gurkerl.at mit dem Auto oder auch mit dem Rad geliefert?
Die Fahrrad-Zustellung befindet sich im Aufbau. Derzeit haben wir ein paar Räder und in der Innenstadt ein kleines Lager. Mein Ziel wäre es, mit dem Elektro-LKW zwei Mal täglich die Ware in die Innenstadt zu liefern und dann via Fahrräder in jene Bezirke zu verteilen, wo man mit dem Auto ohnehin schwer hinkommt. Wir werden mit November 110 Lieferautos (Erdgas und Elektro) haben. Wir bauen unsere Flotte schrittweise weiter aus. In den nächsten Jahren soll eine Flotte von 300-400 Autos entstehen, von denen 80 Prozent Elektroautos sein sollen.
Das Thema Zulieferung ist nicht nur aus Umwelt-Gründen, sondern auch wegen der oft desaströsen Arbeitsbedingungen der BotInnen in den Schlagzeilen. Wie handhabt Gurkerl.at das?
80 Prozent unserer ZustellerInnen sind angestellt. Wir zahlen über dem Kollektivvertrag und der/die durchschnittliche Bote/Botin verdient im Monat bei uns netto 2.300-2.500 Euro. Für die „Big Days“ (Freitag, Samstag und Montag) brauchen wir 20 Prozent zusätzliche LieferantInnen, die kommen von Partnerfirmen.
Achten Sie bei diesen auch auf die Arbeitsbedingungen?
Die freien MitarbeiterInnen verdienen genauso viel wie unsere Angestellten, darauf achten wir.
Die 3 Top-Seller bei Gurkerl.at:
1. Madame-Brot von der Öfferl-Bäckerei
2. Obst und Gemüse - saisonal unterschiedlich
3. "Auf Platz drei gibt es die ein oder andere Überraschung, manchmal etwas aus unserem Marks & Spencer-Sortiment oder die Oatly-Milch. Oft sind es aber auch Bananen; Bananen sind einfach fast in jedem Warenkorb drinnen; Brot, Bananen, und Milch“ (Maurice Beurskens)
Ist in Zukunft eine Ausweitung Ihres Angebots auf ganz Österreich geplant?
Ich glaube zwar schon, dass wir die Möglichkeit dazu hätten, aber wir werden, wenn dann eher in Städten wie Linz, Graz, St. Pölten, Salzburg etc. starten. Ich sehe uns nicht unbedingt am Land liefern, das macht keinen Sinn und ist nicht unbedingt nachhaltig.
Über Gurkerl.at: Der Online-Supermarkt Gurkerl.at ist seit Dezember 2020 in Wien und Umgebung aktiv und Teil der tschechischen Gruppe Rohlik. Ansässig ist Gurkerl im Tech Park Vienna in Wien Liesing. Von hier aus wird die Ware, bestehend aus regionalen Lebensmitteln und Frischwaren sowie Kosmetika und Haushaltsartikel ab Bestellung innerhalb von drei Stunden geliefert. Zuletzt wurde die 2.000-Bestellungen-pro-Tag-Marke überschritten. Derzeit werden 550 MitarbeiterInnen beschäftigt, die von einem internationalen Team geführt werden. Den Aufbau der Firma in Zeiten von Corona bezeichnet Chef Maurice Beurskens im Gespräch mit News.at als „nicht leicht“. Man sei diesbezüglich sehr diszipliniert und habe ein strenges Sicherheitskonzept, was auch bei einem Besuch der Zentrale auffällt. Ein Ausbau der 5.000-Quadratmeter-Lagerhalle ist bereits geplant, innerhalb von drei Jahren will Gurkerl.at schwarze Zahlen schreiben und man sei diesbezüglich auch „im Plan“, so Beurskens. Die Zielgruppe von Gurkerl sind 35-50-jährige urbane Mittelschichts-Familien sowie über 55-Jährige, die das Online-Einkaufen in Zeiten der Pandemie für sich entdeckt haben. Derzeit kann man ab einem Wert von 39 Euro bestellen, der durchschnittliche Warenkorb beträgt 85 Euro. Geplant für die Zukunft ist auch die Möglichkeit der Selbstabholung ab einem Einkauf von 15 Euro.
Im Überblick
Gurkerl.at ist eine Tech-Firma mit Wurzeln in Tschechien, die in Wien und Umgebung Lebensmittel liefert
Gesetzt wird dabei auf die Unterstützung kleiner Landwirte und Produzenten
Dennoch gibt es einen Produktmix, um auch nachhaltig agieren zu können
Innerhalb von drei Stunden wird eine Bestellung geliefert, der Großteil der BotInnen ist angestellt