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Großglockner Hochalpenstraße: Ein Gesamtkunstwerk aus Berg und Straße

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Großglockner Hochalpenstraße

©Georg Kukuvec / picturedesk.com
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Die Großglockner Hochalpenstraße ist eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Österreichs. Und ein verkehrshistorisches Denkmal, gebaut in einer Zeit, als eine Straße durch die Hochalpen noch als Höhepunkt des Fortschritts galt. Wie lassen sich wirtschaftliche und ökologische Interessen heute vereinbaren?

Der Ausblick ist speziell. Fast 30 Dreitausender sind von der Edelweißspitze – dem höchsten Punkt auf 2.571 Meter Seehöhe – aus zu sehen. Schneebedeckte Berggipfel, Bäche und Wasserfälle. Tiefe Täler, von Alpenblumen bewachsen. Das volle Programm für naturbedürftige Städter und Flächländer. Im Vordergrund der Alpenidylle: ein großer Parkplatz, vollgeparkt mit Autos. Motorradduft und -lärm in der Luft.

Das ist die Großglockner Hochalpenstraße, eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Österreichs. Und ein Verkehrsdenkmal, das – 90 Jahre nach seinem Bau – Fragen aufwirft: Ist es noch zeitgemäß, durch hochalpine Landschaft zu gasen, an der rapide schrumpfenden Pasterze, Österreichs größtem Gletscher, vorbei und die Bergwelt der Hohen Tauern durch ein Autofenster zu bestaunen? Längst haben solche Diskussionen die Glocknerstraße, wie sie kurz genannt wird, eingeholt.

Ein Blick in ihre Geschichte erzählt viel über die Entwicklung der Gesellschaft und ihr Verhältnis zur Natur: Vom grenzenlosen Fortschrittswillen der 1920er-Jahre zur großen Skepsis der Gegenwart, dazwischen das Weiter, Höher, Mehr der Nachkriegszeit. Eine Straße als Symbol der Nation, und Spiegel ihrer Befindlichkeiten.

Wie war es vor fast hundert Jahren, als man beschloss, eine Aussichtsstraße durch hochalpines Gelände – erst seit 1981 Nationalpark – zu bauen? "Ich würde gerne eine Zeitreise machen", lacht Georg Rigele, Historiker, der sich wissenschaftlich mit dem Bau der Glockner- und auch der zeitgleich errichteten Wiener Höhenstraße befasst hat. "Aber ich kann es leider nicht." Panoramastraßen wie die Glocknerstraße, argumentiert er, trieben die Motorisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts voran. "Es ist verblüffend, wenn man sich die Statistiken ansieht. Jedes damals in Österreich zugelassene Auto ist irgendwann auf der Glocknerstraße gewesen."

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Premiere. Vor 90 Jahren – im September 1934 – fuhren der damalige Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl und Straßenbau-Ingenieur Franz Wallack erstmals mit einem umgebauten Steyr 100 über die noch unfertige Glocknerstraße. Das Foto oben entstand bei der Eröffnung am 3. August 1935

 © Austrian Archives / brandstaetter images / picturedesk.com

Umweltschutzdebatten gab es damals auch schon. Landschafts- und Heimatschutz, aber auch Automobilgestank waren Schlagworte in diesen Diskussionen. "Das Argument für die Straße war, dass man das Gebirge allgemein zugänglich machen wollte, nicht nur für Bergsteiger und fitte Menschen. Der Alpenverein hat dagegen befürchtet, dass die schönen Berge von einem nicht qualifizierten Massenpublikum zertrampelt werden." Zum Stellvertreterkrieg geriet dieser Konflikt, erklärt Rigele, weil die diktatorische Regierung Dollfuß den Bau der Straße als Prestigeprojekt forcierte, während der Alpenverein Nähe zum Nationalsozialismus aufwies.

Der Bau der Glocknerstraße – vom Planungsbeginn 1922 bis zum Abschluss der Arbeiten 1935, im September 1934 wurde sie erstmals befahren – fiel auch in Zeiten großer politischer Veränderungen. "Als der Bau 1930 begonnen wurde, herrschten ja trotz aller Spannungen und der Wirtschaftskrise noch geordnete Verhältnisse. Alles hatte gewissermaßen eine objektive Ordnung. Diese Regeln haben nach 1933 nicht mehr gegolten. Faszinierend an der Glocknerstraße finde ich auch, dass nicht nur die politischen Entscheidungsträger, sondern die breite Öffentlichkeit von diesem Projekt wirklich überzeugt waren."

Beim kleinstaatlichen nation building, das Dollfuß‘ Nachfolger Kurt Schuschnigg bis 1938 betrieb, spielte die Glocknerstraße eine wichtige Rolle. Nach dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland nahm der Verkehr zunächst stark zu und kam mit Kriegsbeginn fast komplett zum Erliegen. Nach Kriegsende wuchs er rasch wieder an, und die Straße wurde kontinuierlich ausgebaut und erweitert. "Bis in die 1970er-Jahren war die Glocknerstraße das absolute Must für jeden Autobesitzer und jeden Autofahrer."

Das zeigen auch die Zahlen: Rund 350.000 Pkw befuhren in den 1960er-Jahren jährlich die Großglockner Hochalpenstraße, derzeit sind es ungefähr 160.000, weniger als die Hälfte. Die Straße profiliert sich heute nicht mehr ausschließlich mit der Bewerbung von Fahrspaß, sondern mit Kulturveranstaltungen oder Themenevents wie Oldtimer-Ausfahrten, beobachtet Rigele. "Solche Events sind im Trend, glaube ich. Aber es ist heutzutage nicht mehr so, dass jeder, der ein Auto hat, da unbedingt hinauffahren muss."

Aktuelle Klimaschutzdebatten zur Großglockner Hochalpenstraße

Auch vor einem legendären und historisch schillernden Verkehrsmonument wie der Glocknerstraße machen zeitgenössische Klimaschutzdebatten nicht halt. 17 E-Tankstellen gibt es mittlerweile im Bereich der Straße. Ein "Umwelt-Governance"-Dokument aus dem Jahr 2023 sieht eine weitere Reduktion der seit den 1960er- und 70er-Jahren bereits stark gesunkenen Schadstoff- und Treibhausgasemissionen vor. Seit 2022 gilt auf der Straße Tempo 70.

Anfang April sorgte ein Rabattangebot der GROHAG (Großglockner Hochalpenstraßen AG) für Empörung: Urlauber mit Buchung in einem Kärntner oder Salzburger Urlaubsort können die Glocknerstraße an ihren An- bzw. Abreisetagen außerhalb der Hochsaison vergünstigt befahren – "als Alternative zum belastenden Stau auf der Autobahn (A10)", wie es in der Pressemeldung hieß.

Es ist eine Zumutung, wenn die Autos ständig an dir vorbeibrettern

Die Grünen stellten im Salzburger Landtag daraufhin den Antrag, diese Empfehlung zurückzunehmen und einen autofreien Tag im Monat einzuführen. Angenommen wurde der Antrag nicht. Aber, sagt die grüne Landessprecherin Martina Berthold, sie wolle das Thema trotzdem weiter verfolgen. "Es ist wunderschön, mit dem Fahrrad hinaufzufahren, aber wirklich eine Zumutung, wenn die Autos ständig an dir vorbeibrettern. Wir glauben, dass es auch touristisch ein Gewinn wäre, wenn man die Straße ab und zu für Autos sperrt. Man muss die Mobilitätswende auch bei so großen touristischen Attraktion ernst nehmen. Die GROHAG hat auch sonst ambitionierte Umweltleitlinien. Warum sie mit dieser Aktion so gegen dieses Image arbeitet, ist mir unverständlich."

Wie auch immer die Debatten über die Glocknerstraße weitergehen, es sei schön, dass es die Straße gibt, findet Historiker Georg Rigele: "Verkehrswege haben mittlerweile jeden ästhetischen Anspruch verloren. Man versucht, Straßen unter die Erde zu verlegen oder hinter Lärmschutzwänden zu verstecken. Insofern finde ich, dass die Glocknerstraße ein Denkmal ihrer selbst ist und darin hat sie schon ihre Berechtigung."

Die Spannungsfelder aus Natur, Technik und Tourismus

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Mit welcher Absicht wurde die Großglockner Hochalpenstraße vor 90 Jahren geplant und gebaut?

Johannes Hörl

Es hat drei Gründe für den Bau der Großglockner Hochalpenstraße gegeben. Zuerst wollte man den aufkeimenden Alpentourismus unterstützen und Zugänglichkeit für Mobilisten schaffen. Es hat damals 20.000 Pkw in Österreich gegeben. Planer Franz Wallack wollte in den ersten Jahren 100.000 Besucher auf die Glocknerstraße bringen, eine gigantische Annahme. Man hat sich an den Kopf gegriffen, aber er ist davon ausgegangen, dass es funktioniert.

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Die anderen beiden Gründe?

Johannes Hörl

Die Transitroute. Es gab zwischen Brenner und Radstätter Tauern auf 156 km keine Nord-Süd-Verbindung des Alpenhauptkamms. Und der dritte Grund – wahrscheinlich der Auslöser – war, dass man damit mehrere Tausend Menschen in Lohn und Brot bekommen hat. Hofrat Wallack, ein Wiener Ziviltechniker vom Amt der Kärntner Landesregierung, hat am 28. Juni 1924 den Auftrag zur Trassierung erhalten und intensiv begonnen, Meinungsbildner in Österreich zu überzeugen. Er hat in der Folge die Rotary-Clubs abgeklappert. Die Industriellen, der Adel und Geldadel, alle waren begeistert.

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Gab es Widerstände?

Johannes Hörl

Nein, er ist offene Türe eingelaufen, vor allem wegen der Arbeitsplatzbeschaffung. Es wurden Leute aus allen Berufsgruppen und Bundesländern beschäftigt. Das hat dazu beigetragen, dass dieses Projekt national perfekt verankert wurde. Die Republik war stolz, diesen großen Wurf mitzugestalten. Wallack wollte die schönste Straße der Welt errichten und ist zu Recherchezwecken mehrere Monate alle 43 Panoramastraßen in Europa abgefahren.

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Johannes Hörl ist seit 2011 Generaldirektor der Großglockner Hochalpenstraßen AG (GROHAG)

 © Daniel Zupanc/www.zupanc.at
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Eine andere Persönlichkeit, die den Bau der Glocknerstraße geprägt hat, war der damalige Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl.

Johannes Hörl

Rehrl hat eine wesentliche Rolle gespielt und das Projekt wie ein Generalmanager durchgetragen. Ein weniger bekannter Aspekt, der für Rehrl wichtig war: Er wollte die Glocknerstraße als Komplementärprojekt zu den Salzburger Festspielen etablieren. Als Festival der Hochgenüsse in der Natur des Hochgebirges, sozusagen. Und beide, Glocknerstraße und Festspiele, erfreuen sich nach 90 bzw. 100 Jahren immer noch großer Nachfrage. Es hat sich auch während der Coronapandemie gezeigt, wie stark der Drang der Menschen nach Gebirge und Freiheit ist. In touristischer Hinsicht werden unsere ‚Produkte‘ immer begeistern. Unsere Herausforderung ist die bestmögliche Auflösung der Spannungsfelder aus der notwendigen Verbindung von Natur, Technik und Tourismus.

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Warum hatte die Glocknerstraße zur Zeit des Austrofaschismus eine so große Bedeutung?

Johannes Hörl

Zur Zeit des autoritären Ständestaats wurde auf Nationalsymbole gesetzt, und die Glocknerstraße war ein solches. Dollfuß hat sie noch zehn Tage vor seinem Tod mit Rehrl besichtigt. Wichtig in dieser Propagandaszenerie: Franz Wallack war ein Marketinggenie und hat diese Bilder wohl für den Ständestaat mitgestaltet.

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Nach dem Krieg ging die touristische Bedeutung der Glocknerstraße steil nach oben. Heute sieht man es eher skeptisch, mit dem Auto durchs Hochgebirge zu fahren. Die Grünen haben autofreie Tage gefordert. Warum sind Sie dagegen?

Johannes Hörl

In einer Saisonrandzeit wäre das denkbar, wenngleich noch immer 25 Prozent der Fahrten Transitfunktion haben und dies gelöst werden muss. Auch muss geklärt sein, wer die Kosten des Einnahmenentfalls trägt. Wegen der touristischen Bewerbung müsste im Vorjahr mitgeteilt werden, wann so etwas stattfindet, damit kein Gast überrascht ist. Es mutet jedoch eigenartig an, einen autofreien Tag zu fordern, damit man dem Umfeld der Straße Ruhe zubilligt, sie ist ein halbes Jahr gesperrt. Und im halben Jahr, wo sie offen ist, gibt es ein Nachtfahrverbot. Dennoch sind wir nicht grundsätzlich dagegen, weil ein Radlertag im Jahr einen Kanalisierungseffekt auslösen und in der übrigen Zeit zur Verkehrssicherheit beitragen könnte.

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Aufregung gab es zuletzt, weil Sie die Glocknerstraße als Ausweichroute für die staugeplagte Tauernautobahn beworben haben. "Scientists For Future" zeigten sich empört.

Johannes Hörl

Das Angebot galt nur für Urlauber mit Buchung in der Region, am An- oder Abreisetag. Im Schnitt haben es sieben Fahrzeuge pro Tag angenommen. Unsere Befragung belegt, 80 % wären ohnehin gekommen. Die Berechnungen, die "S4F" vorgenommen haben, sind vor dem Hintergrund von täglich hunderttausend Pkw auf der Tauernautobahn, entrückt. Ich meine es nicht böse, aber wenn man keine Grundlagen hat, sollte man zu solchen Themen wahrscheinlich nicht allzu vorschnell ein Urteil abgeben.

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Viele erleben den Lärm, vor allem von Motorrädern, im Hochgebirge als störend. Ist das ein Problem?

Johannes Hörl

Das eine Thema ist der Lärm. Gegen getunte Autos, die auf unseren Straßen rasen und Donuts drehen, gehen wir streng vor. Radargeräte und Exekutive unterstützen uns dabei. Motorräder werden seit Jahren gesetzlich Dezibel mäßig runtergedrückt. Das Problem sollte sich bald von selbst erledigen, wobei es mir zu lange dauert. Für den Verkehr zugelassene KFZ kann ich nicht aus dem Verkehr ziehen und leider halten sich nicht alle an den von uns eingeführten 70er oder orientieren sich an unserer Fahr-langsam-Kampagne. Das andere sind die Emissionen. Wir wollen runter auf fünf Prozent der Emissionen, die wir in den 70er-Jahren hatten. Das schaffen wir mithilfe von Technik und E-Mobilität.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 32/2024 erschienen.

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