Die katholische Kirche in Kärnten kommt nicht zur Ruhe. Nach Vorwürfen des Machtmissbrauchs rund um Bischof Alois Schwarz kommen neue Details ans Tageslicht. So soll er bis heute einen Pfarrer decken, der im Verdacht der sexuellen Belästigung und des Konsums kinderpornografischen Materials steht
Er hat sie aufgefordert, mit ihm ins Bett zu gehen. Das war gleich nach der Sitzung des Pfarrgemeinderats. Als unverheiratete Frau sei sie nämlich Freiwild für ihn, soll er gesagt haben. Und das Zölibat sowieso nur Heuchelei. Er, Matthias Amon*, junger und angesehener Pfarrer von drei Gemeinden in der Nähe des Kärntner Wörthersees. Sie, Elke Meisl, ein engagiertes Mitglied des Pfarrgemeinderats und gläubige Katholikin. Sie lehnt ab. Bleibt aber höflich. Daraufhin zieht er sie von allen Aufgaben in der Pfarre ab. Und als er ihr über Facebook und per SMS immer anzüglichere Nachrichten schickt, reicht es ihr allmählich. Ihr Ton wird schärfer. Aber er beginnt, sie einzuschüchtern: „Das bleibt unter uns, denn dir wird sowieso keiner glauben. Am Ende glauben sie immer dem Pfarrer. Das war schon immer so.“
Abzug ohne Krawall
Doch Amon hat sie falsch eingeschätzt. Elke Meisl ist niemand, der einfach so den Mund hält. „Dieser Satz, dass es schon immer so war, hat bei mir etwas ausgelöst. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen“, sagt Meisl heute. Sie sitzt im Esszimmer ihres Hauses in Techelsberg. Vor ihr auf dem Tisch liegen stapelweise Akten und Gesprächsprotokolle. Sie hat bis heute alles penibel dokumentiert.
Aber eins nach dem anderen: Die 34-jährige Lehrerin wendet sich zunächst an den damaligen Kärntner Bischof Alois Schwarz – mit 1. Juli 2018 oberster Hirte der Diözese St. Pölten. Damals, also im Herbst 2017, ist sie noch der festen Überzeugung, dass ein Bischof moralisch richtig handeln würde. „Ich habe mir zu diesem Zeitpunkt noch gedacht: Das ist der Bischof, der wird doch nicht lügen!“ Doch sie wird schwer enttäuscht werden.
Sie schildert ihm die Vorfälle, Schwarz verspricht ihr zunächst, eine Lösung zu finden. Auf Tonbandaufnahmen, die News in Form von Gesprächsprotokollen vorliegen, heißt es von Seiten des Bischofs: „Ich suche mit ihm (Pfarrer Amon, Anm.) einen Ausstieg.“
Ihr nächstes Telefonat klingt schon ganz anders. Schwarz fordert Beweise. Fragt, ob es Schriftstücke gäbe. Und ja, die gibt es, und sie werden ihm auch von Meisl in zwei persönlichen Gesprächen vorgelegt. Also sieht sich der Bischof gezwungen mit seinen Beteuerungen ernst zu machen, zumindest nach den Regeln der Kirche. Er verspricht, den Pfarrer zu versetzen. „Irgendetwas muss ich jetzt machen. Das muss exekutiert werden“, erkennt Schwarz. Elke Meisl schöpft Hoffnung. Noch mehr, als ihr der Bischof von einem Gespräch mit dem Pfarrer erzählt. Darin soll sich der Hirte geständig gezeigt haben. „Er leugnet nicht, dass es hier moralisch nicht vertretbare Übergriffe gegeben hat. Ich habe hier x Klagen liegen“, erzählt Schwarz der Frau. Und: „Ich möchte ihn da rausziehen, ohne viel Krawall herum. Das ist Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses. Aber ich bekomme intern so viel Druck."
In diesem Gespräch fällt noch ein weiterer brisanter Satz des Bischofs, der noch wichtig wird. Er sagt zu Elke Meisl: „Ich habe ihn (Amon, Anm.) bisher immer gedeckt.“ Eine Aussage, die Schlimmes erahnen lässt. Und die einige Zeit später alles in einem anderen Licht erscheinen lassen wird.
Offener Brief
Elke Meisl glaubt, dass das Problem nun endlich gelöst sei. Doch sie irrt. Eine Woche nach dem Versprechen des Bischofs, den Pfarrer aus dem Verkehr zu ziehen, telefoniert sie mit Alois Schwarz. Und dieser rudert plötzlich zurück. Er könne Matthias Amon nicht abziehen, „sonst gibt es eine Explosion“. Elke Meisl fällt aus allen Wolken. Sie ist ratlos. Wieso lässt sie die Kirche im Stich? Also bleibt ihr nichts anderes übrig, als es selbst in die Hand zu nehmen. Am 18. 12. 2017 veröffentlicht Meisl einen offenen Brief an die Gemeindemitglieder. Darin führt sie einen Teil der Verfehlungen des Pfarrers penibel auf. Einen Tag später tritt Amon von der Leitung der drei Gemeinden zurück. Als Anlass gibt er den „Verlust der Vertrauensbasis mit Teilen der Pfarrgemeinde“ an, wie es in einer Aussendung der Diözese heißt. Von nun an ist Amon Aushilfsseelsorger.
Was aber hat der Bischof gemeint, als er gesagt hat „Ich habe ihn bisher immer gedeckt“? Im Gespräch zwischen Schwarz und Elke Meisl ist von Erbschleicherei die Rede. So sagt der Bischof: „Dann hat er Frauen, denen er das Geld rausnimmt und die Häuser.“ Dass Pfarrer Amon zumindest eine Immobilie in Velden ohne Gegenleistung überschrieben wurde, bestätigt ein Grundbuchauszug, der News vorliegt.
Schwere Vorwürfe
Doch das ist noch nicht alles. Auch soll er für Begräbnisse eine „Gebühr“ von bis zu 350 Euro verlangt haben. Bischof Alois Schwarz dazu: „Die verrechneten Begräbnisgebühren wurden ordnungsgemäß in den Kirchenrechnungen verbucht. Sie beinhalten Messstipendien, die Stolgebühren und sonstige Leistungen der Pfarren.“ In einem internen E-Mail des Generalvikars Engelbert Guggenberger – also des Stellvertreters von Schwarz – an den Pfarrer Amon, das News zugespielt wurde, klingt das ganz anders. Darin heißt es: „Pfarren sind kein Gewerbebetrieb, der Rechnungen ausstellen kann, sonst müssten sie das auch versteuern. Bei Begräbnissen beträgt die Stolgebühr 45 Euro und könnte moderat angehoben werden. Ich will dazu nicht viel mehr sagen, als dass du dein Vorgehen wohl wirst überdenken und ändern müssen.“ In einem weiteren internen E-Mail an Generalvikar Guggenberger schildert ein anderer Kirchenmitarbeiter außerdem eine angebliche Wahlmanipulation bei einer Pfarrgemeinderatswahl. „Vor der Auszählung wurden offene Stimmzettel gefunden, die zum Teil von der gleichen Handschrift ausgefüllt wurden“, heißt es darin. Pfarrer Amon habe diese Stimmen jedoch trotzdem als gültig gewertet.
Von einem weiteren Vorfall berichtet Brigitte Nachbar. Sie hat in einer der drei Pfarren im Kirchenchor gesungen und auch die Bücher geprüft. Dort stieß sie auf Unregelmäßigkeiten. „Es gab offene Fragen zu bestimmten Rechnungen und eigens ausgestellten Belegen. Noch bevor ich Pfarrer Amon vom Grund meiner Fragen berichten konnte, schrie er mich an. Am nächsten Tag waren alle Schlösser des Pfarrhauses ausgetauscht.“ Der Pfarrer habe sie daraufhin aufgefordert, alle Sparbücher herauszugeben. Brigitte Nachbar meldete die Vorfälle an den Bischof. Doch eine Reaktion blieb aus. „Ich und viele Mitbürger finden es schandhaft, wenn sich die Diözese einfach hinter der Mauer des Schweigens versteckt“, sagt sie.
Kinderpornografie
Dass Matthias Amon gerade in Bezug auf Frauen eine mehr als fragwürdige Haltung an den Tag legt, zeigt aber nicht nur der Vorfall mit Elke Meisl. Jurij Buch, Dechant des Dekanats Rosegg und damit langjähriger Vorgesetzter des Pfarrers, berichtet gegenüber News Folgendes: „Als er in unser Dekanat gekommen ist, ist er bald durch sein herrschaftliches Gehabe aufgefallen. Einmal hat er bei einer Sitzung gesagt, dass es für viele Frauen besser wäre, wenn sie eine Burka tragen würden. Für mich ist er ein Narzisst, der nicht für die Seelsorge geeignet ist.“ Auch soll er das Kirchenvolk stets herablassend behandelt und sogar über Erstkommunionskinder geschimpft haben. Buch schreibt daraufhin mehrmals an Bischof Schwarz. Drängt ihn, endlich was zu unternehmen. Doch auch hier bleibt eine Reaktion aus. Amon klagt daraufhin seinen Vorgesetzten Buch. Als Grund nennt er Rufschädigung, weil er ihn als frauenfeindlich bezeichnet hat.
Doch der traurige Höhepunkt dieser Geschichte folgt erst. Gräbt man tiefer, kommen die irdischen Verfehlungen eines Pfarrers in ihrem grauenhaften Ausmaß gänzlich zutage. Ein ehemaliges Pfarrgemeinderatmitglied, das lieber anonym bleiben möchte, erzählt News von einem unfassbaren Vorfall.
Es ist Anfang der 2000er-Jahre, Amon steht noch vor seiner Priesterweihe und absolviert ein Pastoralpraktikum in einer Pfarre in der Nähe von Völkermarkt. Eines Tages entdecken Mitglieder der Pfarre auf dem Computer des Pfarrhofs kinderpornografisches Material. Man fängt an, zu recherchieren. Und man versieht den Computer mit einem Passwort. „Das neue Passwort hat nur der dortige Pfarrer und er gehabt“, erzählt der Insider. Ein EDV-Profi wird angeheuert. Er soll überprüfen, zu welcher Zeit diese Seiten aufgerufen werden. „Er hat erhoben, dass immer zwischen halb vier und fünf Uhr in der Früh jemand an den Computer gegangen ist.“ Bald wird klar: Es kann nur Amon sein. Er soll es später sogar selbst bestätigt haben. „In einem Gespräch mit dem Pfarrer hat er alles zugegeben. Hat aber später ergänzt, dass es ein Beichtgespräch war.“ Dem Pfarrer sind aufgrund der Verschwiegenheitspflicht also die Hände gebunden.
Wieder wird Bischof Schwarz informiert. Er setzt den damaligen Regens des Priesterseminars ein, um den Fall zu untersuchen. Auch das ehemalige Pfarrgemeinderatsmitglied wird befragt. „Es wurde alles protokolliert. Aber was mit den Akten passiert ist, weiß ich nicht. Schlussendlich ist der Mantel des Schweigens darüber gelegt worden.“ Der angehende Pfarrer Matthias Amon ist zu diesem Zeitpunkt schon längst über alle Berge. „Er ist dann kurzzeitig untergetaucht. Anschließend ging er nach Rom“, sagt der Kircheninsider. Spannendes Detail am Rande: Der besagte Regens des Priesterseminars legt kurze Zeit später all seine Ämter nieder und tritt aus der Kirche aus.
Plötzlich Priester
Und was macht Bischof Schwarz? Er weiht Amon nach seiner Rückkehr aus Rom zum Priester. Das, obwohl sein Vorgänger Egon Kapellari sich angeblich geweigert hatte, diesen Mann in den Priesterstand zu heben. Auch der Regens, der den Fall um die Kinderpornos untersucht hat, soll sich gegen eine Weihe Amons ausgesprochen haben, will sich aber gegenüber News nicht mehr dazu äußern.
Bischof Schwarz streitet das ab. Aus seinem Büro heißt es: „Er wurde von angesehenen Priestern und Laien zur Weihe empfohlen. Die Warnungen betrafen seine theologische und liturgische Einstellung und sein Auftreten. Der Vorwurf, er habe im Internet Kinderpornografie konsumiert, wurde im Vorfeld der Weihe nicht erhoben. In diesem Fall hätte Bischof Schwarz die Weihe sicher nicht erteilt.“ Das entkräftet nicht nur ein Geistlicher aus jener Pfarre, in der Amon sein Praktikum gemacht hat. Er schreibt nach dem offenen Brief in einem E-Mail an Elke Meisl: „Wir wurden vor der Weihe zu den Vorfällen befragt und haben uns gegen eine Weihe ausgesprochen, bevor er nicht eine Therapie macht und zu klärenden Gesprächen bereit ist. Nichts davon ist passiert, und die Weihe fand statt.“ Und auch Generalvikar Guggenberger verneint die Vorwürfe in einem Gespräch mit Elke Meisl Ende 2017 nicht. Auf ihren Kommentar „Die kinderpornografischen Seiten, die da aufgerufen wurden von ihm“ antwortet er mit: „Ja. Stimmt eh.“ Amon selbst lässt News über seinen Anwalt ausrichten, dass alle Vorwürfe „unrichtig und wahrheitswidrig sind“.
Es bleibt also die Frage, was Bischof Alois Schwarz zu diesem Schritt bewogen hat? Der Bischof und der Pfarrer hätten ein enges Verhältnis, berichten Kircheninsider. „Amon hat in Rom, wo er sich vornehmlich in konservativen Kleruskreisen bewegt hat, ein Beziehungsnetz geknüpft und gute Verbindungen in die Wirtschaft. An beiden hatte der Bischof Interesse.“ Schwarz, der sich als Wirtschaftsbischof positionierte, legte Wert auf Kontakte zu Unternehmerkreisen. So sollen Schwarz und Amon regelmäßig gemeinsam essen und auch bei Feiern der Wörthersee-Szene dabei gewesen sein. Das dem Bischof unterstehende – und als wirtschaftlich intransparent kritisierte – Bistum wickelte etliche große Grundstücksdeals ab, unter anderem mit einem deutschen Industriellen und einem österreichischen Waffenproduzenten. Schwarz soll zudem als Keynote-Speaker für einen Glücksspielkonzern aufgetreten sein.
Auch das mondäne Auftreten Amons soll zu seinem Einfluss auf Schwarz beigetragen haben. „Er war im Denken äußerst konservativ, gab sich mit edlem Talar, Hut, Manschettenknöpfen und feinen Schuhen aber sehr schick, und das zeigte offenbar ebenfalls Wirkung.“ Schwarz war auch öfters in den Pfarren von Matthias Amon und hielt dort Messen – „und Amon fühlte sich mächtig“, so Kirchenkenner. Letztlich wusste der Pfarrer viel über den Bischof und nutzte dies offensichtlich aus. In Kirchenkreisen wird bis heute darüber spekuliert, was genau Amon über Schwarz in der Hand hat, dass er ihn so lange gewähren ließ. Denn Insider sprechen davon, dass Amon den Bischof in „moralischer Geiselhaft“ habe. Auch habe er mit dem obersten Hirten stets „wie mit einem Schuljungen geredet“. Bischof Schwarz verneint das: „Es bestand und besteht zu ihm das korrekte Verhältnis eines Vorgesetzten.“
Über Jahre gedeckt
Fix ist jedenfalls, dass ein verrufener Geistlicher vom obersten Klerus über Jahre hinweg gedeckt wurde. Und er trotz der schweren Vorwürfe bis heute auf Gläubige losgelassen wird. Das ehemalige Pfarrgemeinderatmitglied hält das für eine fatale Entscheidung: „In 20 Jahren werden uns die ersten Opfer vorwerfen, dass wir alles gewusst und nichts gesagt haben.“
Elke Meisl aber will nicht schweigen. Sie informierte im März den Nuntius Peter Zurbriggen – den päpstlichen Gesandten – über die Vorfälle in Kärnten. Im Gesprächsprotokoll, das News vorliegt, bezeichnet Zurbriggen die Vorgangsweise als „fahrlässig“ und versichert: „Es muss etwas geschehen.“ Doch auch dieses Mal passiert nichts – außer, dass Schwarz nach St. Pölten versetzt wird. Deswegen geht Meisl nun an die Öffentlichkeit. Sie könne es moralisch nicht verantworten und mahnt: „Wenn er jemals wieder als richtiger Pfarrer eingesetzt wird, dann gehe ich noch einmal hinaus und warne die Leute.“ Meisl ist übrigens kürzlich aus der Kirche ausgetreten. „Mir wurde mein Glaube von Amon und Schwarz genommen.“
Dieser Artikel ist ursprünglich in der Printausgabe (Nr. 25/2018) erschienen!