Wir wollten es selber wissen. Man nehme: ein Handy mit Internetzugang und ein bisschen Tagesfreizeit. Es dauert nicht lange, und man ist drinnen in einer dieser ominösen Telegram-Gruppen, in der gefälschte Corona- Impfpässe verkauft werden. Der Umgangston ist freundlich, die Kundenzufriedenheit scheint hoch. Interessenten melden ihr Interesse im öffentlich einsehbaren Chat an, das individuelle Verkaufsgespräch findet dann via Direktnachricht statt.
Oder der Verkäufer ergreift selbst die Initiative. Es dauert nur wenige Minuten, bis die Anfrage kommt: "Brauchst du einen Impfpass?" 250 Euro würde das kosten, erfahren wir, für "zwei Mal Pfizer". Und schon kann das Leben auch für Ungeimpfte weitergehen wie bisher, ganz ohne lästige Einschränkungen. Oder?
Was bekommt man?
Was kriegt man wirklich, wenn man so einen Impfpass im Internet bestellt? Wir von "News" haben uns dagegen entschieden, es zu tun. Sondern stattdessen einen Mann getroffen, der das Geschäft der Impfpass-Fälscher in Österreich so gut kennt, wie kein anderer: Markus Angerer, Leiter des Fachbereichs Geld-und Urkundenfälschung im Bundeskriminalamt. Auch die Ermittler treiben sich verdeckt in Telegram-Gruppen herum und bestellen Impfpässe. Mit Handschuhen holt Angerer die auf Fingerabdrücke untersuchten Exemplare vorsichtig aus Plastiksackerl und zeigt sie her. Die Aufkleber mit dem Impfstoffnamen und der Chargennummer wurden aus ermittlungstechnischen Gründen entfernt, ansonsten ist kein Unterschied zu echten Impfpässen erkennbar. Mit diesem angeblich in einem deutschen Impfzentrum ausgestellten Impfpass würde man mühelos den 2G-Check im Kino oder im Lokal bestehen. "Ich könnte mir sogar vorstellen, dass ich damit bis vor Kurzem den Eintrag ins Impfsystem des Robert- Koch-Instituts bekommen hätte", sagt Angerer. Jetzt wohl nicht mehr, die Kontrollen sind strenger geworden.
Keine Sicherheitsmerkmale
Das Problem: Die gelben Blanko-Impfpässe weisen keine Sicherheitsmerkmale auf und sehen nicht einmal einheitlich aus. Manche sind vom österreichischen Gesundheitsministerium oder anderen lokalen Behörden ausgestellt, andere von der WHO. "Auch der Aufkleber mit der Chargennummer hat keine Sicherheitsmerkmale", erklärt Angerer. "So ein Impfpass besteht aus einem Pickerl, einem Stempel, der ebenfalls nicht zertifiziert ist, und einer Unterschrift. Fertig." Die Herstellung gefälschter Impfpässe ist also keine große Kunst. Angerer: "Wir haben vor Monaten einen Stempel sichergestellt, auf dem stand: Betriebsärztlicher Dienst der Stadt Linz. Dieser Dienst heißt jedoch seit ein paar Jahren anders. Aber wer weiß das schon?" Auch die Echtheit von Impfchargenpickerl zu überprüfen, ist fast unmöglich, weil alle unterschiedlich aussehen. Angerer erklärt: "BioNTech-Pfizer gibt pro Fläschchen sechs Kleber aus. Wir wissen aber, dass in den meisten Fläschchen ein 7. Stich drinnen ist. Woher die fehlenden Kleber kommen, gilt es zu ermitteln."
Viele Betrüger
Dass wir von unserem anonymen Verkäufer auf Telegram einen solchen scheinbar echten Impfpass zugeschickt bekommen hätten, sei trotzdem nicht gesagt, meint Chefermittler Markus Angerer: "In diesen Kanälen sind viele Betrüger unterwegs, die einfach nur darauf abzielen, dass man bezahlt, und dann wird nichts geliefert."
Und wenn doch? Dann geht das Katzund-Maus-Spiel los. Denn die Polizei schaut bei Kontrollen genau hin. Angerer präsentiert ein sichergestelltes Testprotokoll, auf dem nachträglich das Datum geändert wurde. Tatsächlich ist eine winzigkleine Unregelmäßigkeit zu erkennen, die der Polizei bei einer Routinekontrolle auffiel: Zwei Zahlen stehen etwas zu weit auseinander. Einen ungarischen Staatsbürger, der zu Beginn der Pandemie mit einem gefälschten ärztlichen Zeugnis nach Österreich einreisen wollte, verrieten Restflecken bei der Verfälschung des Namens sowie eine uneinheitlich strichlierte Linie. Bei den gelben Impfpässen wirkt es verdächtig, wenn ausschließlich die CoronaImpfung eingetragen ist und keine anderen Impfungen aufscheinen. Oder wenn der zeitliche Abstand zwischen den Teilimpfungen nicht schlüssig ist. Oder wenn der Ort der Impfung Fragen aufwirft.
Dunkelziffer
Der "News"-Selbstversuch hat gezeigt, wie einfach es ist, mit Impfpass-Fälschern in Kontakt zu kommen. Wie viele Menschen solche Angebote auch tatsächlich annehmen, könne man im Moment nicht abschätzen, sagt BK-Ermittler Angerer. Es sei noch zu früh, von Zahlen zu reden. Derzeit liegt noch viel im Dunkeln.
"Wir bekommen täglich viele Hinweise aus der Bevölkerung. Vieles spielt sich auf Telegram ab, wir merken aber, dass sich das jetzt auch auf andere Kanäle ausbreitet. Und was die direkte Weitergabe von Person zu Person betrifft, ohne Nutzung eines Internetmediums, gibt es sicher eine gewisse Dunkelziffer. Die Fälschung von Impfdokumenten ist ein sehr junges Deliktfeld, das sehr schnell wächst."
Und das in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. "Impfskeptiker und -verweigerer gibt es in jeder Bildungsschicht. Und wir sehen auch, dass das Interesse an gefälschten Impfpässen in jeder Bildungsschicht vorhanden ist."
Urkundenfälschung
Dabei handelt es sich um kein Kavaliersdelikt. Urkundenfälschung wird mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet. Ein unschöner Eintrag im Leumundszeugnis bleibt. Wer mit einem gefälschten Impfpass zu einer Veranstaltung geht und dort andere Menschen ansteckt, macht sich der vorsätzlichen Gemeingefährdung schuldig und riskiert bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe. Die Vortäuschung eines positiven Tests würde eine Anzeige wegen Betrugs nach sich ziehen, weil der Arbeitgeber -bzw. im Fall von Arbeitslosigkeit der Staat - geschädigt wird.
Über Letzteres wird immer wieder spekuliert: Personen würden eine Corona-Infektion vortäuschen, um dadurch an ein Genesungszertifikat zu gelangen. In der Praxis der Ermittler spiele dieses Delikt keine Rolle, sagt Ermittler Angerer. "Dass Personen offenbar auf der Suche nach dem Speichel Corona-Infizierter waren, wissen wir auch nur aus Medienberichten. Wir bekommen immer wieder Hinweise, dass Impfverweigerer plötzlich positiv sind und dann sechs Monate als genesen gelten. Aber das ist sehr schwer nachzuweisen, und es gibt dazu auch keine Statistiken oder Zahlen." Und, sagt Angerer: "Es wird viel vernadert, und es werden viele Geschichten in die Welt gesetzt. Das darf man dabei auch nie vergessen."
Korrupte Ärzte
Ein gefälschter gelber Impfpass ermöglicht einem in Österreich zwar die Teilnahme am (schlecht kontrollierten) öffentlichen Leben, bei genaueren Überprüfungen kann es aber schon eng werden. Und er bietet keine Möglichkeit, der Impfpflicht zu entkommen. Dazu braucht es einen Eintrag im digitalen Impfregister. Was passiert also, fragen wir unseren anonymen Telegram-Impfpass-Verkäufer, wenn mit 1. Februar die Impfpflicht in Kraft tritt? Die Antwort kommt prompt. "Wenn der Staat korrupt ist, glaubst du, es gibt keine korrupten Ärzte?"
In Deutschland können Apotheken bei Vorlage eines gelben Impfpasses Einträge in das deutsche digitale Impfregister vornehmen -auch bei Vorlage eines österreichischen Impfpasses übrigens, der dann auch in Österreich als digital erfasst gilt. Ein System, das riesige Probleme verursacht, weil damit Apotheker vor der schwierigen Aufgabe stehen, Fälschungen erkennen zu müssen. In Österreich dürfen nur Ärzte bzw. öffentliche Impfstellen Einträge in das Zentrale Impfregister vornehmen. Der Impfpass-Verkäufer insinuiert also, dass es zumindest einen Arzt gibt, der solche Einträge ohne durchgeführte Impfung vornimmt. Denkbar?
"Ich kann das weder bestätigen noch dementieren", sagt Markus Angerer vom Bundeskriminalamt. "Wir schauen uns das im Laufe der Ermittlungen natürlich auch an. Noch haben wir keine Fälle dazu, aber es ist natürlich davon auszugehen, dass es das Ziel der Personen ist, im digitalen Impfregister aufzuscheinen."
Missbräuchliche Einträge schwer nachweisbar
Auch bei der Ärztekammer und im Gesundheitsministerium gibt man sich zurückhaltend, was dieses heikle Thema betrifft. Einen medial bekannt gewordenen Verdachtsfall in der Steiermark habe man überprüft, sagt ein Sprecher der Ärztekammer gegenüber "News", es sei aber nichts dabei herausgekommen. Missbräuchliche Einträge ins zentrale Impfregister sind schwer nachweisbar. Wenn lediglich der Impfpass gefälscht ist, würden schon strengere Kontrollen oder eine Vereinheitlichung der Nachweismöglichkeiten reichen, um Fälschungen zu erschweren. Derzeit, zählt Markus Angerer auf, gelten der Grüne Pass, der gelbe Impfpass, Astra-Zeneca-Impfkärtchen, in die Apple Wallet hochgeladene Dokumente, diverse von den Bundesländern ausgestellte Impfpässe sowie Genesungszertifikate als 2G-Eintrittsberechtigung: "Diese vielen verschiedenen Möglichkeiten muss ich als Kontrolleur kennen und in der Praxis schnell erkennen müssen." Klar, dass viele damit überfordert sind.
"Kein großes Problem"
Im Gesundheitsministerium will man die Nachweis-Vielfalt trotzdem beibehalten. Um ausländische Staatsbürger, die keinen Zugang zum Grünen Pass haben, nicht zu diskriminieren, argumentiert ein Sprecher. Und überhaupt hält man das Problem mit den gefälschten Impfpässen für "nicht sehr groß", kalmiert der Ministeriumssprecher. Man solle doch lieber auf die Mehrheit blicken, die sich an die Regeln hält. Allen anderen müsse bewusst sein, dass es sich bei Impfpassfälschung um ein ernstzunehmendes Delikt handele.
Markus Angerer vom Bundeskriminalamt scheint die Lage etwas ernster einzuschätzen. "Im Bereich der Geldfälschung", erzählt er, "wusste man, dass es mit der Einführung des Euro so richtig losgehen wird in Österreich. Damals konnten wir uns vorbereiten. Diese Zeit hatten wir jetzt nicht. Es war nicht von Anfang klar, dass so ein großes Geschäft dahintersteht und dass die Community so groß ist. Jetzt gilt es, nachzubessern und zu ermitteln. Wenn mehr und genauer kontrolliert wird, fällt auch mehr auf."
Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 50/2021.