Mit dem Wahlergebnis geht auch eine Vorentscheidung einher, ob es künftig eine blau-türkise oder eine "Große Koalition" geben wird. Worauf es ankommt
ANALYSE DER WOCHE
Fürs Ziel Kanzleramt muss Kickl sehr hoch gewinnen
Herbert Kickl hat Zeit. Der FPÖ-Chef möchte ein bestimmender "Volkskanzler" werden. Das kann er jedoch nur sein, wenn die ÖVP, die als einzige Partei als Koalitionspartnerin infrage kommt, deutlich schwächer ist. Ob das nach dieser Wahl der Fall sein wird? Kickl hat wie gesagt Zeit.
In gewisser Weise trifft sich das mit Vorstellungen und Zwängen der ÖVP: Sie müsste mindestens vier, fünf Prozentpunkte hinter die FPÖ zurückfallen, damit nicht mehr so klar ist, was sie jetzt vermittelt. Für ihren Obmann Karl Nehammer würde es dann schwieriger werden, bei der Absage an eine Zusammenarbeit mit Kickl zu bleiben. Grund: Eine Mehrheit der Wähler erwartet sich, dass der Erste die Regierung führt. Darüber muss man sich als großer Verlierer erst einmal hinwegsetzen. Außerdem: Gerade in der ÖVP gibt es Tendenzen, mit dem zu koalieren, an den man die meisten Stimmen abgeben musste. Wie schon in Niederösterreich und Salzburg dürfte das nun die FPÖ werden. Dahinter steckt die Überlegung, dass man in einem solchen Bündnis am ehesten die Politik machen kann, die enttäuschte Anhänger offenbar haben wollen. Nehammer wäre unter Druck, entsprechend zu liefern.
Umfragen zufolge könnten FPÖ und ÖVP mit rund 25 und 27 Prozent jedoch knapp beieinander und vor der SPÖ (21) landen. Das wäre Glück im Unglück für die ÖVP, die bisher 37,5 Prozent hält: Von einem klaren Wählerwillen könnte keine Rede sein. Es wäre einfacher für Nehammer, durch harte Verhandlungen herauszuarbeiten, dass es mit Kickl wirklich unmöglich sei. Dass eine Koalition mit SPÖ und, wenn nötig, Neos erforderlich sei. Wobei Andreas Babler mit seinen Forderungen (Vermögenssteuer etc.) kein Hindernis mehr sein müsste: Die mächtigsten Genossen von Wien bis Kärnten stehen inklusive Gewerkschafter längst bereit für eine "Große Koalition". Auf sie könnte Nehammer setzen.
FAKTUM DER WOCHE
Wahlverhalten: Zwischen Stadt und Land liegen Welten
In Wien und anderen dicht besiedelten Gebieten Österreichs gibt es eine rot-grün-pinke Mehrheit. Darüber hinaus sind jedoch ÖVP und FPÖ viel stärker. Das ist ein wesentlicher Faktor,
Es ist ein schwacher Trost für die SPÖ von Andreas Babler gewesen: Bei der Europawahl im Juni musste sie sich zwar mit Platz drei begnügen, zumindest in den – nach Statistik-Austria-Definition – städtischen Teilen Österreichs schaffte sie mit 26,1 Prozent jedoch den ersten. Das hat eine Auswertung des Sozialforschungsinstituts "Foresight" ergeben. Bemerkenswert: Auch Grüne und Neos schnitten in Ballungsräumen verhältnismäßig gut ab. Zusammen kamen die drei Mitte-Links-Parteien hier auf knapp 53 Prozent, die Mehrheit also.
Das alles war aber eben nur ein schwacher Trost für Babler und Genossen: In ländlichen Teilen des Landes mussten sie sich mit einem viel kleineren Stimmenanteil begnügen, waren umgekehrt ÖVP (30,3 Prozent) und FPÖ (mit 28,7 Prozent) noch erfolgreicher. Das war insgesamt entscheidend.
Dass die FPÖ unterm Strich knapp, aber doch zum ersten Mal stärkste Partei wurde bei einem bundesweiten Urnengang, hatte wiederum damit zu tun, dass sie in den Städten bei Weitem nicht so mager abschnitt wie die ÖVP, für die das eine echte Problemzone war.
Darum geht es auch bei der Nationalratswahl. Und zwar für alle Parteien: In Regionen, in denen sie Potenzial haben, das maximal Mögliche herausholen und darüber hinaus passabel aus dem Rennen gehen.
Die Stadt-Land-Kluft existiert bei allen. Das ist ein Faktor. Nicht nur in Österreich, sondern zum Beispiel auch in Deutschland. Dort ist das Phänomen von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung untersucht worden. Dabei hat sich gezeigt, dass Wähler auf dem Land die Bekämpfung des Klimawandels oder auch die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache weniger priorisieren als in der Stadt. Und dass sie eher für eine restriktive Zuwanderungspolitik sind. All dies entspricht Mitte-Rechts-Parteien wie hierzulande eben ÖVP und FPÖ.
Erklärung
Statistik Austria hat eine Stadt-Land-Gliederung Österreichs erstellt. Zum städtischen Teil gehören Ballungsräume wie Wien und Umgebung oder das Rheintal in Vorarlberg. Im übrigen Teil, dem größeren ländlichen, leben jedoch etwas mehr Wahlberechtigte und ist auch die Wahlbeteiligung meist größer. Daher fällt er bei Urnengängen stärker ins Gewicht.