Einst als provokativ und anstößig abgelehnt, zählt Birgit Jürgenssen (1949-2003) mit ihrem kritisch-feministischen Narrativ längst zu den wichtigsten Vertreterinnen der Feministischen Avantgarde. Bis 16. März zeigt die Fondazione ICA Milano ihre Arbeiten gemeinsam mit jenen der italienischen Künstlerin und Designerin Cinzia Ruggeri (1942-2019). „Lonely Are All Bridges“ – ein tiefer Dialog zweier Ikonen der Kunst, die einander nicht kannten.
Ihre Kunst spricht eine klare Sprache – makaber und verzweifelt, provokant und aggressiv, ironisch und subversiv übt Birgit Jürgenssen in ihrem breitgefassten OEuvre zwischen Grafik, Fotografie und Skulptur Kritik. Stellt damit das Modell sozial konstruierter Weiblichkeit, dem sie sich selbst ausgeliefert sah, in Frage. So entgegnet sie gesellschaftlich verankerten, stereotypen Zuschreibungen vermeintlicher Weiblichkeit in ihrer Arbeit stets mit feministischem Narrativ. Ihr Vokabular? Mannigfaltig.
Mit dieser Art künstlerischen Widerstandes ist Jürgenssen damals, während der 70er Jahre, nicht alleine. Es ist eine ganze Generation an Künstlerinnen, die mit männlich-skizzierten Idealvorstellungen bricht, sich als aktives Subjekt Gehör verschafft und damit das „Bild der Frau“ grundlegend überholt.
Die Feministische Avantgarde
Doch bis diese Pionierleistungen als solche erkannt werden und Einzug in den kunsthistorischen Kanon finden, verstreichen Jahre. Zunächst als anstößig, abgelehnt und nur selten präsentiert, erkennt Gabriele Schor, Gründungsdirektorin der SAMMLUNG VERBUND, in ihrer Forschung Anfang der 2000er die herausragende Alleinstellung und kunstgeschichtliche Relevanz dieser künstlerischen Generation an Frauen als das, was sie letztlich ist – Feministische Avantgarde.
„Die im Jahr 2004 gegründete SAMMLUNG VERBUND bekannte sich von Anfang an zum Werk von Birgit Jürgenssen als eine der bedeutendsten Positionen österreichischer Kunst nach 1945“, so Schor. „Mitte der 1970er Jahre schuf Birgit Jürgenssen einige provokante Hausfrauen-Zeichnungen, die heute zu den Hauptwerken der feministischen Avantgarde gehören.“ Gemäß der Sammlungsmaxime „Tiefe statt Breite“ zählt die international reüssierende SAMMLUNG VERBUND heute rund 50 Werke aus allen Schaffensperioden und Werkbereichen der Künstlerin. Mit der 2009 publizierten Monographie gelingt Schor letztlich die posthume Internationalisierung der österreichischen Künstlerin.
Ausstellung: Lonely Are All Bridges
Dass der Bruch mit gängigen Konventionen nicht 1970er-Jahre-Phänomen der heimischen Kunstgeschichte ist, zeigt der Blick nach Italien: Ebenfalls während der 40er Jahre geboren und in den 60er Jahren ausgebildet, entwickelt die italienische Künstlerin und Designerin Cinzia Ruggeri ein ähnlich kritisches Narrativ – hinterfragt die Rolle der Frau in der Gesellschaft und beschäftigt sich mit Themen rund um Körper, Identität und Transformation.
Unter dem Titel „Lonely Are All Bridges. Birgit Jürgenssen und Cinzia Ruggeri", der auf einen Vers der österreichischen Dichterin Ingeborg Bachmann zurückgeht, geht der Dialog beider Künstlerinnen in eine weitere Runde. Bereits 2021 stellte die Galerie Hubert Winter die beiden künstlerischen Positionen in Wien gegenüber. Die Mailand-Edition in den Räumen der Fondazione ICA Milano hebt nun neue Begegnungspunkte hervor: Ihre gemeinsame Faszination für Ornament und Accessoires, interpretiert als Erweiterung des Körpers und als Werkzeug zur Eroberung des eigenen Raums der Frau, zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung. Beleuchtet wird die Beziehung zwischen Ästhetik, Politik und Identität – die nach wie vor unseren Alltag durchdringt.
Kuratiert wurde die Ausstellung von der Kuratorin Marta Papini und dem Künstler Maurizio Cattelan, dessen mit Klebeband an einer Wand fixierte Banane („Comedian“, 2019, edition of 3, banana and duct tape) seit 2019 für Kontroversen in der Kunstwelt sorgt und erst im letzten Jahr für insgesamt 6,2 Millionen den Besitzer wechselte. Für Cattelan ist es verwunderlich, warum Jürgenssen nicht längst der große internationale Durchbruch gelungen ist. Der könne bloß noch eine Frage der Zeit sein.