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2nd OPINION: Wir bleiben Kanzler

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©APA/ROLAND SCHLAGER
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Mir fällt es sehr schwer, mit dem Kopf eines Politikers zu denken, und deshalb ist mir noch immer nicht klar, was genau eigentlich das Problem des Herbert Kickl ist. Die niederösterreichische ÖVP hingegen ist von schnörkelloser Art und hat sich festgelegt. Sie sagt: Wir bleiben Kanzler. Das verstehe sogar ich

Den meisten Menschen fällt es eher schwer, mit dem Kopf anderer Menschen zu denken. Warum das so ist, weiß ich nicht. Aber ich vermute, dass es einerseits wohl daher kommt, dass es Menschen, die schon mit dem eigenen Kopf nicht besonders gern denken, mühsam finden, das auch noch mit dem Kopf anderer Leute zu versuchen. Ein wenig ist es ja in der Politik mit den Gedanken wie mit dem Geld. Das Problem mit dem Sozialismus, sagte die große Margaret Thatcher, ist, dass dir am Ende das Geld der anderen Leute ausgeht. Und das Problem mit dem Populismus scheint zu sein, dass dir am Ende die Gedanken der anderen Menschen ausgehen.

Es ist bekanntlich so, dass Populismus eine Entwicklung auf die Spitze treibt, die in der politischen Landschaft schon seit einiger Zeit zu beobachten ist, besonders seit die sozialen Medien das Kommunikationsgeschehen in der politischen Sphäre dominieren: Persönlichkeiten mit narzisstischen Themenstellungen haben einen Vorteil, weil ihnen die sozialmediale Mechanik der sofortistischen, gelegentlich in Sekundenschnelle wechselnden Zuschreibung von Heldenruhm und Opferstatus entgegenkommt. Nicht, dass ihnen dieser Wahnsinn besser täte als anderen Menschen, sie sind ihn nur schon aus dem analogen Alltag gewohnt, wenn auch in geringerer Dosierung und gemütlicherer Geschwindigkeit.

Handicap

Ich tue mir aus den genannten Gründen und sicher auch, weil mir selbst eine gewissen Denkfaulheit nicht gänzlich fremd ist, oft schwer, mit dem Kopf anderer Menschen zu denken. Das kann für meinen Beruf zum Handicap werden, denn es wäre für eine einigermaßen korrekte und auch für andere Menschen nachvollziehbare Beschreibung der Wirklichkeit sehr hilfreich, sich in die Gedanken der sie bestimmenden -Akteure so weit hineinversetzen zu können, dass man nicht einen Marxisten mit einem Nationalisten verwechselt oder einen Niederösterreicher mit einem Demokraten. Aber es will mir oft nicht gelingen. Dank der Ausbildung bei der Dichterin, die ich liebe, kann ich mich heute viel besser in die Motive und Leiden, in die Verwundungen und in die Hoffnungen von Menschen hineindenken, die einfach nur versuchen, ihren Alltag zu bewältigen oder, wie ein Mann aus der Recherche zu ihrem jüngsten Buch, beschließen, im Extremfall ihr Problem mit der Tötung des Menschen zu lösen, den sie bis vor Kurzem noch geliebt haben.

Aber Politiker: sehr schwierig. Ich weiß also nicht, was genau das Problem von Herbert Kickl ist. Dass mir in der Beobachtung seines Agierens immer wieder Alice Millers „Das Drama des begabten Kindes“ in den Sinn kommt, tut nichts zur Sache, erstens, weil das eine idiosynkratische Volte meinerseits ist, und zweitens, weil ich es eigentlich wirklich nicht mag, Politiker und ihr Handeln öffentlich zu psychologisieren. Andererseits kommt Politik ohne Psychologie nicht aus. Man möchte ja wissen, warum A tut, was er tut, und B unterlässt, was so wichtig wäre. Dafür sind immer Konstellationen verantwortlich, die wir als eine Art Infrastruktur der Macht identifizieren würden, aber eben auch persönliche Prädispositionen, die sich letztendlich nur individualpsychologisch klären lassen.

Ich habe Herbert Kickl, sehr zum Missfallen vieler seiner Anhänger, am Wahlabend gefragt, ob er denn angesichts der Tatsache, dass jetzt niemand mit ihm koalieren will, nicht das Gefühl habe, dass er es sich irgendwie mit allen verschissen hat. Es gehören ja zur Machtübernahme im demokratischen Rahmen drei Dinge: erstens die meisten Stimmen, zweitens die Anschlussfähigkeit gegenüber möglichen und notwendigen Partnern (absolute Mehrheit sind selten geworden, da bräuchte es schon 15 Jahre Ampelkoalition auf der anderen Seite) und ein Mindestmaß an Akzeptanz im kulturell-medialen Milieu, wobei letzteres am wenigsten wichtig ist, die folgen im Zweifelsfall dem Geruch des Geldes. Herbert Kickl hat sich um Anschlussfähigkeit nicht nur nicht gekümmert, er hat vorsichtshalber alle Brücken abgebrannt, die innerhalb unseres Systems ins Bundeskanzleramt führen.

Warum eigentlich? Er hätte es sich sehr leicht sparen können, den Bundespräsidenten im Pennälerstil zu beschimpfen, und die Abgrenzung gegenüber den Identitären beizubehalten, die unter seinem Vorgänger H.-C. Strache vorgenommen wurde, hätte seinen ersten Platz nicht im Geringsten gefährdet, denn selbst wenn Herr Sellner alle seine völkischen Heerscharen mobilisiert, rührt sich auf dem österreichischen Wählermarkt so gut wie nichts. Verachtet Kickl also wirklich die Institutionen unserer Spielart der Demokratie? Denkt er am Ende doch wie die Identitären? Für mich ist das schwer zu sagen, weil ich eben nicht mit dem Kopf eines Politikers denken kann.

Ausnahme

Die Ausnahme ist da für mich die niederösterreichische ÖVP. Niederösterreich ist ja bekanntlich eine Art Singapur für Weinbauern, keine Demokratie, aber es funktioniert perfekt. Weil ich selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen bin, kann ich das Agieren – Denken möchte ich es aus eigener Erfahrung nicht nennen – der niederösterreichischen ÖVP sehr leicht nachvollziehen. Die Partei, die derzeit alle Macht in der ÖVP ausübt, hat sich auf eine ÖVP-SPÖ-Neos-Koalition festgelegt. Natürlich nicht wegen Herbert Kickl, denn sie regiert mit Udo Landbauer, gegen den Herbert Kickl ein rechtsliberales Weichei ist, sondern wegen der Macht. Sie sagt: Wir bleiben Kanzler. Das verstehe sogar ich.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 41/2024 erschienen.

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