Die Aufgeregtheit unserer politischen Debatten kommt nicht zuletzt daher, dass viele selbsternannte Retter der Demokratie ernsthafte Probleme mit einigen Wesensmerkmalen der Demokratie haben und Hass mit Hass bekämpfen wollen. Irgendwie lustig. Oder?
Lang steht die Welt nicht mehr: Populisten agieren populistisch, Illiberale verfolgen eine illiberale Agenda, Rechte propagieren rechtes Gedankengut. Fehlt nur noch, dass der Papst auf seine alten Tage katholisch wird. Die Welt ist ziemlich bunt geworden, seit sie von jedem beschrieben werden kann, der das will, und nicht mehr nur von denen, die von Amts wegen dazu befugt sind. Und es fällt auf, dass mit dieser neuen Buntheit diejenigen besonders schlecht zurechtkommen, die immer besonders lautstark eine bunte Welt gefordert haben.
Ein faszinierender Vorgang: Man beschreibt jemanden, vorzugsweise einen politischen Gegner, mit großem Engagement als rechtsradikal, kommunistisch, populistisch, grenzgängerisch, verletzend oder demokratiegefährdend – und ist empört und überrascht zugleich, wenn er dann auch wirklich so agiert. Oft will mir scheinen, dass sich die wohlmeinenden Akteure des politmedialen Komplexes, unter ihnen vor allem Journalisten, die sich der Errettung der Demokratie vor ihren akuten Bedrohungen durch Andersdenkende verschrieben haben, eigentlich für Schamanen halten: Sie glauben, dass sie das Wesen eines Menschen verändern können, indem sie es rituell beschwören.
Glaubensbekenntnisse
Die Demokratie ist allerdings keine religiöse Veranstaltung, die Teilnahme an ihr bedarf keines gemeinsamen Glaubensbekenntnisses, eher im Gegenteil: Gemeinsame Glaubensbekenntnisse werden den Menschen eher in nichtdemokratischen Ökosystemen abverlangt. In der Demokratie darf jeder etwas anderes glauben oder auch nichts. Demokratie heißt nur, dass die Mehrheit entscheidet. Undemokratisch agiert folglich jemand, der diese Form der Organisation gesellschaftlicher Machtverhältnisse unterläuft und versucht, am Willen der Mehrheit vorbeizuherrschen. Was jemand über dieses oder jenes denkt, welches Menschenbild er hat, ob er das Privateigentum an den Produktionsmitteln für eine gute oder eine bescheuerte Idee hält, ob er die Staatsbürgerschaft ans Blut binden will oder an den Boden: Der Demokratie ist das vollkommen egal, sie existiert, solange es dabei bleibt, dass die Mehrheit entscheidet und sichergestellt ist, dass es nicht zum Bürgerkrieg kommt, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse ändern.
Ob es der Bundespräsident und Hans Rauscher das glauben oder nicht: Man darf in einer Demokratie auch Ansichten haben, die der Bundespräsident und Hans Rauscher nicht teilen. Mir passiert das ständig, dass Menschen, Politiker vor allem, andere Ansichten haben als ich, eigentlich fast zu allem, was mir wichtig ist, haben fast alle Politiker, die ich kenne, andere Ansichten als ich – aber ich wäre noch nicht auf die Idee gekommen, dass sie das von der Teilnahme an der Demokratie ausschließen oder sie auch nur zu schlechteren Demokraten machen würde, als ich einer bin. Es wäre mir sehr recht, wenn das auf Gegenseitigkeit beruhen könnte, und wenn das alle so halten, könnte man sich eigentlich auch schon wieder ein bisschen beruhigen. Stattdessen drehen alle durch, heißen den einen einen Faschisten und die andere eine Kommunistin und verbinden damit die Idee, dass der jeweils andere eigentlich gar nicht mitspielen dürfen sollte im demokratischen Spiel. Der, den ich ablehne: Er soll nicht da sein.
Blanker Hass
Das ist blanker Hass, denn der Hass ist ziemlich gut definiert als jene Form der Ablehnung, die sich bis zur eliminatorischen Fantasie steigert. Das macht die Art der öffentlichen politischen Auseinandersetzungen, die wir erleben, so absurd und manchmal auch fast ein bisschen lustig: Das gängigste Mittel, um die Gesellschaft vor dem Hass zu schützen, ist der Hass. Logisch: die Hasser sind ja immer die anderen, und deswegen sollen sie nicht da sein.
Darf man eigentlich ein deutschnationaler, schlagender Burschenschafter sein? Und noch ärger: Darf man als deutschnationaler schlagender Burschenschafter ein hohes Staatsamt bekleiden? Der Bundespräsident, Hans Rauscher und noch ein paar andere Schamanen sagen: Nein, darf man nicht. Darf man als Marxist, der sich für die Diktatur des Proletariats, für die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und für die Einführung der 32-Stunden-Woche bei doppeltem Lohnausgleich einsetzt, ein hohes Staatsamt bekleiden? Ich weiß nicht genau, wie der Bundespräsident und Hans Rauscher das sehen, aber ich kenne etliche Schamanen, die sagen: Nein, geht nicht.
Ich fürchte, sie haben weder das Wesen der Demokratie noch das Prinzip des Liberalismus verstanden. Man darf in einer Demokratie, in der das Prinzip des Liberalismus gilt, für alles sein, selbst dann, wenn das, was man will, in seiner Umsetzung gegen geltendes Recht verstößt. Erst wenn man begänne, seine Ideen umzusetzen, würde man gestoppt werden, und zwar zu Recht. In demokratischen Verhältnissen kann man nur für das bestraft werden, was man tut, nicht für das, was man denkt. Prävention heißt in solchen Verhältnissen Debatte: Man muss in einer Demokratie eine Mehrheit gegen jene organisieren, die mit den Mitteln der Demokratie die Demokratie einschränken wollen. Die präventive Bestrafung von Gedanken ist hingegen der Diktatur vorbehalten – und einem journalistischen Milieu, das sich der Rettung der Demokratie verschrieben hat. Auch irgendwie lustig. Oder?
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 44/2024 erschienen.