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Der tiefe Fall der Millionärstochter

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Der tiefe Fall der Millionärstochter
©Bild: Joe Schildhorn/Patrick McMullan via Getty Images
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Prinz Andrew wird wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt. Ghislaine Maxwell ist seine wichtigste Zeugin. Doch die Tochter des Medienzaren wartet selbst im Gefängnis auf ihren Prozess. Sie ist als Komplizin des Pädophilen Jeffrey Epstein angeklagt. Ihr Weg aus der britischen High Society in Brooklyns Knast war weit.

Lachend steht sie im Hintergrund. Wie auf den meisten Fotos, die Ghislaine Maxwell mit Hochkarätern wie Mick Jagger, Donald Trump oder Bill Clinton zeigen. Wer auf feinen britischen Colleges war, in Oxford studiert hat und bei Elton Johns Charityfesten auf der Gästeliste steht, hat es nicht nötig, sich in den Vordergrund zu spielen.

"Sie war schon immer die ungewöhnlichste und interessanteste Frau im Raum", beschrieb Society-Journalistin Vicky Ward einst Maxwells Ausstrahlung, mit der die Britin mühelos die höchsten Kreise der US-Gesellschaft in ihren Bann zog.

Auf dem berühmtesten Foto steht die Frau mit dem intelligenten Witz und dem Selbstbewusstsein der Millionärstochter mit der Nummer neun der britischen Thronfolge im Gang ihres schicken Londoner Hauses in Belgravia: Prinz Andrew lacht im Vordergrund mit einem blonden Mädchen in die Kamera.

Prinz Andrews wichtigste Zeugin

Ein scheinbar harmloses Foto aus elitären Zirkeln. Für das blonde Mädchen bezeugt es Jahre des Grauens. Virginia Roberts Giuffre ist heute 38 Jahre alt und sieht auf dem Bild ihre Peiniger. Mehrfach habe der Prinz die damals 17-Jährige missbraucht, heißt es in der Zivilklage, die Giuffre vergangene Woche gegen den Lieblingssohn der Queen eingebracht hat. Dieser stritt die Anschuldigungen öffentlich ab und schweigt nun zur Causa.

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Donald Trump und seine Melania mit Epstein und Maxwell © Getty Images/Davidoff Studios

Und dann ist da die lachende Maxwell. Die Frau aus der High Society. Andrews jahrzehntelange Vertraute. Die Tochter des mächtigen Medienzaren Robert Maxwell. Die Frau, die auf Chelsea Clintons Hochzeit in vorderster Reihe saß.

Und Maxwell, die Komplizin des verurteilten Pädophilen Jeffrey Epstein. Die Kupplerin, die jahrelang für Epsteins Missbrauch Mädchen organisiert haben soll und auch Giuffre und den Prinzen zusammenführte. In vier Fällen ist Maxwell wegen "Anwerbung minderjähriger Mädchen für Sex" angeklagt sowie in zwei Fällen wegen Meineids. Sie soll im ersten Verfahren gegen Epstein gelogen haben. Der bereits 2006 verurteilte Sexualstraftäter Jeffrey Epstein wurde 2019 tot in seiner Gefängniszelle gefunden, bevor ihm erneut wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger der Prozess gemacht werden konnte.

Die Ghislaine, die ich kenne, ist ein wunderbarer, liebevoller Mensch

Damit wird Ghislaine Maxwell zum wichtigen Angelpunkt der Klage gegen Prinz Andrew. Selbstverständlich würde sie zugunsten des Prinzen aussagen, richteten ihre Anwälte via "The Telegraph" aus. Zuvor müsste sie freilich zur glaubwürdigen Zeugin werden. Der Weg scheint weit. Maxwell wartet im Gefängnis in Brooklyn auf ihren Prozess, der im November beginnen soll. Ihr drohen bis zu 80 Jahre Haft. Doch ihre Lebensgeschichte zeigt, dass sie gelernt hat, nie aufzugeben, egal wie widrig die Umstände sind.

Eine Zelle in Brooklyn

Statt Dinnereinladungen bearbeitet Ghislaine Maxwell heute 13 Stunden täglich ihre Gerichtsunterlagen. Andere Gefängnisinsassen dürfen dies nur drei Stunden täglich tun, sie konnte für sich mehr erwirken. Zwei Anträge auf einen Hausarrest -zuletzt schlug Maxwell über 28,5 Millionen US-Dollar Kaution vor - wurden abgelehnt. Die US-Behörden gehen nach Epsteins Tod kein Risiko mehr ein. Täglich 21 Stunden verbringt die 59-Jährige in einer fensterlosen Zelle, die von zehn Überwachungskameras gesichert ist.

In der Nacht kontrollieren Beamte mit einer Taschenlampe alle 15 Minuten ihren Zustand. Der dadurch verursachte Stress sei so groß, dass Maxwell ihre Haare verlieren würde und Probleme mit dem Augenlicht habe. Diese Details verriet Maxwells Bruder Ian der BBC. Er wollte so ihre Befreiung aus dem US-Gefängnis erreichen. Das sei Folter, wie er sagt. Gleichzeitig widmen sich TV-Dokumentationen in Maxwells Heimat und den USA wenige Monate vor dem Prozessbeginn der Frage nach dem Warum. Warum landet eine von Prinzen und Staatsoberhäuptern hofierte Millionärstochter in der schlimmsten Gefängniszelle Brooklyns?

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Strahlend, schlau und bestens vernetzt: Ghislaine Maxwell, als sie in den 90er-Jahren mit Jeffrey Epstein New Yorks Society aufmischte © Patrick McMullan via Getty Images

Maxwells Fall macht Quote

Die Antworten sind Erzählungen, die teilweise einer Entschuldigung unangenehm nah kommen. Sie ranken sich um den übermächtigen, unberechenbaren Vater und den Lebenspartner, der das väterliche Muster wiederholt. "Natürlich ist die Rolle ihres Vaters ausschlaggebend. Er war schwerreich, ein Medienzar und ein bekennender Tyrann, der stolz darauf war, dass er in Geschäftsdingen immer seinen Willen durchsetzen konnte", meint Emma Cooper, Produzentin der Miniserie "Ghislaine Maxwell: Epstein's Shadow" zu Sky News. Cooper: "Daraus formte sich Maxwells Blick auf die Welt und die Männer, die sie sich ausgesucht hat." Die Opfer sind dennoch andere, gebietet es sich hier anzumerken.

Das geliebte Nesthäkchen

Ghislaine Maxwell kommt als neuntes Kind des britischen Medientycoons Robert Maxwell an einem Christtag zur Welt. Sie wächst als über alles geliebtes Überraschungsbaby des mächtigen Mannes auf. In Großbritannien gibt er als Verleger, Unternehmer und Politiker der Labour Party mit den Ton an. Dass zwei Tage nach Ghislaines Geburt Maxwells ältester Sohn tödlich verunglückt, macht die Bindung zwischen Vater und Tochter noch inniger.

Ihr Vater war schwerreich, ein Medienzar und Tyrann. Daraus formte sich Maxwells Blick auf die Männer

Immer wieder habe der Vater ihr versichert, ihr Name würde auf Französisch "Sonnenstrahl" bedeuten, erzählt Ghislaine bei Dinnerpartys, wie sie sich selbst gerne sieht. Dazu passt das Aufwachsen auf einem Anwesen in Oxford mit einem Patriarchen, der regelmäßig mit Präsidenten und Königen diniert.

Der skrupellose Medienzar

Der Vater zelebriert sich als Selfmade-Millionär mit dem nötigen unerbittlichen Kampfgeist. Als Ján Ludvik Hoch in eine bitterarme, jüdisch-orthodoxe Familie in der heutigen Ukraine geboren, war er als Jugendlicher 1940 erst nach Frankreich, dann nach Großbritannien geflüchtet. Er hatte für die britische Armee gekämpft und war Presseoffizier in Berlin geworden. Nach dem Verlust seiner gesamten Familie durch den Holocaust gibt er sich einen neuen Namen und fängt als Robert Maxwell ein neues Leben an.

Maxwell wird von jemandem, der aus Armut die Schuhe abwechselnd mit seinen Geschwistern tragen musste, zu jemandem, der sein luxuriöses Heim mit einem Fensterbild des biblischen Helden Samson schmückt: Samson, der das Stadttor von Gaza aus den Angeln hebt, um über die Philister zu siegen. Er heiratet eine Unternehmerstochter, kauft den Wissenschaftsverlag Pergamon Press und begründet ein Medienimperium. Als Maxwell stirbt, gehören dazu Dutzende Verlage und die auflagenstärksten britischen Zeitungen, darunter der Londoner "Daily Mirror".

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Mit ihrem Vater zeigte sich Ghislaine gerne beim Fußballmatch © Getty Images/Mirrorpix

Es ist ausgerechnet seine Luxusyacht, genannt die "Lady Ghislaine", von der Robert Maxwell ins Meer stürzt. Die Tochter ist damals 29 Jahre alt. Ghislaine Maxwells heile Glitzerwelt stürzt zusammen wie ein Kartenhaus. Zahlreiche Verschwörungstheorien ranken sich um den Tod des Vaters. Von Geheimdiensten, die ihn ermordeten hätten, bis zu Selbstmord und Herzinfarkt beim Ehebruch ist zu hören. Weitaus schlimmer ist jedoch die nachweisliche Realität über den Vater. Kurz nach seiner Beerdigung auf dem Ölberg wird bekannt, dass Maxwell Bilanzen gefälscht und die Pensionsfonds seiner 32.000 Mitarbeiter entwendet hat. Im Jahr 1991 liegt die Verschuldung seines Konzerns bei rund 3,354 Milliarden Euro. Der Zorn der Bevölkerung entlädt sich in der Verbreitung aller zuvor geheim gehaltenen Geschichten, die je jemandem mit dem brutalen Patriarchen widerfahren sind.

Die Flucht nach vorn

In der "The Times" sorgt sich damals eine Freundin der Familie um das Wohl der Lieblingstochter, die vom Schock gezeichnet ist. "Sie war immer das Herzstück jeder Party und konnte ohne Geldsorgen tun, was sie wollte. Nun ist sie das Kind eines Mannes, den alle Monster nennen."

Ghislaine Maxwell nimmt das Einzige, das ihr vom Vater geblieben ist, und zieht damit in den Kampf: das selbstbewusste, weltgewandte Auftreten, die Kontakte zu höchsten Kreisen und das Lebensmotto, nie aufzugeben. Ein Jahr nach dem Tod ihres Vaters 1991 besteigt sie ein Flugzeug nach New York, um dort neu anzufangen. Ein Mann mittleren Alters begleitet sie, schreibt damals die "Mail on Sunday". "Vanity Fair" enthüllt die Begleitung als Jeffrey Epstein. Der schwerreiche Mann wird für kurze Zeit ihr Lebensgefährte, doch viel länger bleiben die beiden Freunde und Geschäftspartner.

Epstein hat Geld, aber kein Händchen für Kontakte und keinen hohen Status in New Yorks Society. Ghislaine schließt diese Lücke und führt dafür ein Upperclass-Leben wie früher. "Ghislaine hat Jeffrey geholfen, der zu werden, der er war. Er hatte Geld, aber er wusste nicht, was er damit tun sollte. Sie hat es ihm gezeigt", schildert eines von Epsteins Opfern gegenüber "Vanity Fair". Maxwell lebt an einer schicken Upper-East-Side-Adresse mit Haushälterin und Assistentin und kümmert sich um Epsteins fünf Wohnsitze, Reisen und sonstige Bedürfnisse.

Wie sehr sie dem Mann gehorcht, schildert gegenüber "Vanity Fair" eine Bekannte. Als Epstein eine Hühnersuppe für seine Stimme braucht, läuft Maxwell mitten aus einem Treffen, um die Suppe zu organisieren und zuzustellen. Wiederholt bricht sie aufgrund seiner herrischen Art in Tränen aus, wird berichtet.

Versuch eines neuen Lebens

Immer wieder distanziert sich Maxwell von Epstein. Anfang 2000 ist sie die Freundin eines Mannes, dessen Vermögen Epsteins weit übertrifft, Milliardär und Gateway-Gründer Ted Waitt. Das Paar kauft eine Luxusyacht mit Helikopterlandeplatz, Jacuzzi, Aufzug und Fitnessraum. Maxwell erwirbt die Lizenz zum Steuern des Schiffes. Doch die Beziehung ist nicht von Dauer. Die Gerichtspapiere zeigen später, dass Maxwell von 1999 bis jedenfalls 2006 - also auch damals - Angestellte von Epstein war.

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Ghislaine Maxwell mit Jeffrey Epstein, der ihr nach dem Tod ihres Vaters wieder ein Luxusleben ermöglichte © Joe Schildhorn/Patrick McMullan via Getty Images

2012 erfindet sich Maxwell beruflich neu. Es ist die Zeit nach Epsteins erster Gefängnisstrafe wegen "erzwungener Prostitution einer Minderjährigen". Maxwell gründet das TerraMar-Projekt zur Rettung der Weltmeere. Sie gibt auf CNN Interviews, erzählt, wie sie eine "globale Gemeinschaft für die Weltmeere aufbauen" will. Sie hält beliebte TED-Talks zum Thema und gewinnt Virgin-Boss Richard Branson als Gründungsmitglieder.

Die Vergangenheit holt sie ein

Im Dezember 2014 reicht Virginia Roberts Giuffre eine Zivilklage ein, in der sie Maxwell als Epsteins Verbündete und Komplizin im organisierten sexuellen Missbrauch und Menschenhandel bezeichnet. Maxwell wehrt sich mit einer Klage wegen Diffamierung. Drei Jahre später einigen sich die beiden auf einen Vergleich, bei dem Giuffre eine Zahlung von mehreren Millionen Dollar erhält.

Es ist die Zeit, in der sich Maxwell von öffentlichen Auftritten zurückzieht. Wie nach dem Tod des Vaters verschwindet sie aus der angestammten Umgebung. Sie verkauft ihr Haus in Manhattan und zieht nach Manchester-by-the-Sea, ein stilles Dorf nördlich von Boston. Dort lebt sie mit einem neuen Freund, Scott Borgerson, CEO des IT-Unternehmens CargoMetrics, das 2016 laut Business Insider 100 Millionen Dollar wert war.

Monate im Versteck und Verhaftung

Als 2019 das Verfahren gegen Jeffrey Epstein neu aufgenommen wird, ist Ghislaine Maxwell vorerst unbeeindruckt. Im Juni trifft sie Prinz Andrew im Buckingham Palast und nimmt mit Paris Hilton und Topshop-Erbin Chloe Green an der Charity-Rallye "Cash &Rocket" teil, die die Teilnehmer in Ferraris und Bentleys von London nach Genf und Monte Carlo führt.

Erst nach Epsteins Verhaftung und Tod verschwindet Maxwell. Von einem unbekannten Ort aus klagt sie Epsteins Nachlass auf Entschädigungszahlungen in Millionenhöhe. Sie würde Morddrohungen erhalten und brauche das Geld zum Schutz und für Gerichtskosten. Ein Jahr später wird sie auf einem Waldanwesen in New Hampshire, das sie über eine anonyme Firma gekauft hat, vom FBI festgenommen. Die Anklageschrift wirft ihr Sexualdelikte in Zusammenhang mit dem Fall Epstein sowie Meineid vor.

Warten auf den Prozess

Erst im Dezember 2020 wird bekannt, dass die 59-jährige gefallene Millionärstochter und der 43-jährige Tech-Millionär Borgerson 2016 heimlich geheiratet haben. Das Magazin "Tatler" zitiert Gatten Borgerson in Maxwells Antrag auf Hausarrest als Unterstützer. "Ich wurde nie Zeuge eines unangemessenen Verhaltens von Ghislaine. Die Ghislaine, die ich kenne, ist ein wunderbarer, liebevoller Mensch. Ich glaube, dass sie nichts mit Epsteins Verbrechen zu tun hat", so der neue Ehemann. Gleichzeitig berichtet der "Tatler", dass Maxwell zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung über 20 Millionen Dollar reich war und ihr Vermögen unter bestimmten Auflagen dem Gatten überschrieben hat. Anwälte sehen darin den Versuch, die Werte vor Schadenersatzklagen von Epsteins Opfern zu schützen.

Ihre Anwälte betonen, dass Maxwell nur gegen die falschen Anschuldigungen kämpfen und ihre Unschuld beweisen will. Auf Schloss Balmoral gibt es einige Personen, deren Leben ein Erfolg Maxwells wesentlich erleichtern würde.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 33/2021.

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