Fast begegnet man dieser Frau mit übergroßem Respekt. Es gibt nicht viele Menschen, die derart klar sagen, was sie denken. Schnörkellos, gerade heraus, frei von Diplomatie oder antrainierter Höflichkeit. "Frag halt nicht so blöd", keppelt Erni Mangold schon mal ins Telefon, wenn man als Ortsunkundige einmal zu oft nachfragt, wie genau man zu ihrem Wohnort bei Gars am Kamp kommt. Die Kammerschauspielerin duzt jeden. Und sagt, was Sache ist.
Zum Beispiel sagt sie zur Begrüßung gleich einmal, dass zwölf Uhr ausgemacht war, wenn man zwei Minuten nach zwölf an die Tür klopft. Pünktlichkeit ist auch so eine unverrückbare Eigenschaft der Schauspielerin. Dafür bügelt sie dann erst einmal in Ruhe den Pyjama der Wahlenkelin fertig, bevor sie sich im Wohnzimmer auf ein langes Gespräch einlässt. Damit die Prioritäten klar sind. Dass ihr das Bügeln so gut von der Hand geht, grenzt nach einer schweren Schulterverletzung an ein Wunder. Die 89-Jährige vollbringt es, weil sie regelmäßig trainiert.
Man will sich gar nicht vorstellen, wie es dem Inhaber des Strickfachgeschäfts erging, der bei Mangold anfragte, ob er das aktuelle Nacktfoto von ihr aus dem Theaterstück "Kalender Girls" in sein Schaufenster stellen darf. In der Komödie, in der Mangold demnächst auf der Rosenburg spielt, geht es um Frauen im besten Alter, die sich für einen Wohltätigkeitskalender nackt fotografieren lassen. Also ließen sich die Darstellerinnen auch derart ablichten - und stehen so auch auf der Bühne. Das Nötigste ist von Accessoires verdeckt. In Mangolds Fall verhüllen zwei Wollknäuel den Busen, in ihrem Haar steckt eine Stricknadel. Das fand der Strickereichef witzig. "Na, dem hab ich was erzählt: Sind Sie verrückt geworden?!" Die Mangold ärgert sich immer noch leidenschaftlich über die unverfrorene Anfrage. Genauso wie über das kurzzeitig überbordende Interesse der Presse an den nackten Schauspielerinnen. "Wir sind im 21. Jahrhundert. Ich versteh das nicht. Dass es im Stück um einen Kalender für Krebskranke geht, schreibt keiner."
Darum geht es
In "Kalender Girls" beschließt eine Freundinnenrunde, nachdem eine von ihnen ihren Mann an den Krebs verloren hat, Geld für eine medizinische Station zu sammeln. Sie leben auf dem Land. Üblicherweise wird Kuchen gebacken. Doch die Damen wollen etwas Neues und lassen sich für einen Nacktkalender fotografieren. "Das ist für diese Frauen eine große Sache, sich so verletzlich zu zeigen. Sie sind in einem Alter, wo man sich nicht mehr alles vom Leib reißt, weil so schön ist man nicht mehr. Das soll beachtet werden, wird es aber nicht. Die Männer werden reingehen, weil sie Nackerte sehen wollen. Was soll's?" Für Mangold selbst ist Nacktheit auf der Bühne keine große Sache. Auch Sex nicht.
Erste Sexszene mit 87
Ihre erste Sexszene spielte sie allerdings erst vor zwei Jahren, mit 87. In Houchang Allahyaris Film "Der letzte Tanz" ist sie eine Geriatriepatientin, die mit einem jungen Pfleger zarte Bande knüpft. "Eine Fickszene war das! Das war nicht leicht, das so fein und zart rüberzubringen, dass niemand ,bäh' sagt bei so einer alten Kuh und einem jungen Kerl. Ich hab das geschafft. Regisseure reden meist eh nur Blödsinn", sagt sie. Für die Frau, die als Freigeist und Querdenkerin durchs Leben geht, ist es ein Gräuel, wenn Sex und Nacktheit zur Sensation aufgeplustert werden. "Da glaubt man, es hat sich etwas geändert seit den Fifties. Gar nichts hat sich geändert."
Nie hat sie Büstenhalter getragen. Sie sagt das nicht mit dem Stolz einer Provokateurin, sondern ganz selbstverständlich. "Da hab ich gehört: ,So kannst nicht gehen, wenn man die Knopferl vom Busen sieht!'" Dabei sei es gleich nach dem Krieg gar nicht so verzopft gewesen wie später in den Fünfzigerjahren. "Da war jedem alles wurscht." Als Mangold zur Welt kam, hatte ihre Mutter sieben Abtreibungen hinter sich. Der Arzt erwartete eine Fehlgeburt. Erna, gebürtige Goldmann, kam 1927 entgegen der Prognose im Gasthaus der Großeltern zur Welt. Die Ehe der Eltern war schwierig, erzählt sie in der Biografie "Lassen Sie mich in Ruhe". Die Mutter hatte ihren Beruf als Pianistin aufgegeben und machte dem Vater deshalb Vorwürfe. Vom Vater, dem Maler, und dem Großvater, dem Bildhauer, hat Mangold ihr Anderssein.
"Ich bin frei erzogen worden. Die Goldmanns haben Schwierigkeiten mit der Gesellschaft gehabt, weil sie sich nicht untergeordnet haben. Diese Verrücktheit habe ich geerbt. Ich war immer Außenseiterin", sagt sie. Auf der Bühne musste die BH-Verweigerin ein Mieder tragen. Und wenn die Weggefährtin von Helmut Qualtinger büstenhalterlos und die Haare zum Rossschwanz gebunden durch Wien zog, war das skandalös. ",Wie sieht die denn aus!', haben sie gesagt. Schauts mich halt nicht an, hab ich mir gedacht."
Bei ihrem Bühnendebüt, 1946 im Theater in der Josefstadt, war Erni Mangold 19 Jahre alt. Schon ab dem fünfzehnten Lebensjahr hatte sie die Schauspielschule Krauss besucht. Sie spielte Theater in Wien, Hamburg, Düsseldorf und der Schweiz, dazu in mehr als 100 Film-und Fernsehproduktionen, die bekannteste war "Hanussen" mit O. W. Fischer. Zu ihren Auszeichnungen zählen das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, der Große Schauspielpreis der Diagonale und der Nestroy-Ring.
Ihr Zuhause
Im lichtdurchfluteten Haus im Waldviertel hat er auf dem großen Schreibtisch seinen Platz. Man merkt Mangolds Freude über diese Auszeichnung. Unzählige Fotos an den Wänden erinnern an ihr Schaffen mit Gustaf Gründgens, Helmut Qualtinger oder Peter Alexander. Sentimental macht sie die Erinnerung nicht. Erni Mangold lebt ganz im Jetzt, hört neben Klassik die Sofa Surfers und kommentiert hellwach die politische Entwicklung. Die "Sozialistin im Herzen" hat zuletzt die Neos gewählt, in der Hoffnung, die würden bei der Bildung etwas weiterbringen, "weil die rot-schwarze Regierung ja versagt hat".
"Die Bundespräsidentenwahl hat einen Schock ausgelöst bei mir", sagt Mangold. "Wenn ich nicht so alt wäre, würde ich überlegen, auszuwandern. Die Menschen lernen nichts aus der Geschichte und neigen dazu, Angst zu haben." Die Nazis hat sie verachtet und es geschafft, "der Saubande" aus dem Weg zu gehen. Es folgten die Künstlerkarriere, Engagements für Links, gegen Waldheim und die Erkenntnis: "Großteils ist das Geschichtsverständnis der Menschen bei null. Das ist grauenhaft."
Mangold hütet sich davor, Ratschläge zu erteilen. Das hält sie auch im engsten Familienkreis so. "Das macht man nicht. Außer, wenn man gefragt wird." Da sie selbst keine Kinder bekommen konnte, hat sie eine Wahlfamilie. Deren zwei Töchter kennt sie seit ihrer Geburt. Puppileins nennt sie die Mittzwanzigerinnen heute noch. Man merkt, wie liebevoll der Umgang sein muss, wenn sie über die beiden spricht. "Die können sehen, wie ich mich verhalte, und daraus lernen. Oder es schrecklich finden. Das ist auch okay." Leichter haben es junge Frauen heute mit der Liebe, findet Mangold. "Diese amerikanischen Serien haben uns ewige Liebe eingeredet. Dann kamen in den Sechzigern die Scheidungen, weil das nicht gestimmt hat. Die Frauen heute haben mehr Weitblick." Mangold selbst flüchtete 1958 in eine Ehe mit dem Schauspieler Heinz Reincke. "Ich wollte mich von Belästigungen anderer Männer frei machen und hab geglaubt, das ordnet mein Leben. Weil ich hab ja gesoffen und bin immer spät ins Bett." Für ihren Mann stellte sie ihre Karriere hinten an. Nach der Scheidung war sie 51 und erkämpfte sich mühsam den Weg zurück. "Mut habe ich immer gehabt, Angst nie. Aber damals bin ich erschrocken, weil ich mich 20 Jahre lang nicht weiterentwickelt hatte."
"Letztlich ist man allein"
Aber egal. Mangold sagt das oft. Gerne hätte sie Freundschaften mit anderen Frauen gehabt, doch die mochten sie nicht. Die Rollen, die sie bekam, waren stets Störenfriede, weil ihr Gesicht nicht gefragt war, sie habe eben kein "Schell-Gesicht". Aber egal. Sie sagt es nicht resignierend. Was war, war. Punkt. "Streicheleinheiten muss man sich selbst geben, weil letztlich ist man allein", lautet ihre Erkenntnis. Aufgehoben ist sie in ihrer Arbeit. "Man wird gebraucht und hat das Gefühl, man lebt", beschreibt sie deren Wirkung.
Das Theater ist der einzige Platz, wo Mangold es gestattet, kommenden Jänner anlässlich ihres 90. Geburtstags gefeiert zu werden. Ab diesem 26. Jänner 2017 wird sie rund sechzig Mal in den Kammerspielen in "Harold und Maude" spielen. "Dass man mir eine große Party schupft, interessiert mich nicht. Ich will arbeiten, dann lass ich mich auch feiern." Wer würde wagen, ihr zu widersprechen.
Kalender Girls
Rosenburg, 30.6. bis 7.8.: Lachen und Weinen liegen nah beisammen, wenn zwölf Seniorinnen nach dem Krebstod eines ihrer Männer beschließen, mittels Pin-up-Kalender Geld für eine Krebsstation zu sammeln. Das Stück basiert auf einer wahren Begebenheit und wurde mit Helen Mirren verfilmt. Intendantin Nina Blum holt u. a. Babett Arens, Hemma Clementi, Erni Mangold und Elisabeth Engstler auf die Bühne im Waldviertel.
Kommentare
AnmeldenMit Facebook verbindengiuseppeverdiSo., 03. Juli. 2016 09:41meldenantwortenMein Gott NEWS schreibt bei einer 89-jährigen von" Frauen im BESTEN Alter". Das ist nicht nur eine gnadenlose Lüge sondern auch eine 'Verhöhnung von allen "rund" 90igjährigen.
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