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Enrico über sein ungeschminktes Leben

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Heinz Zuber
©Bild: Matt Observe/News
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Generationen von Kindern und Eltern liebten seine TV-Clownfigur. Nur seiner eigenen Mutter, erzählt Heinz Zuber nun anlässlich seines 80. Geburtstags, war sie zutiefst zuwider. Wie auch überhaupt: Zubers gesamtes Leben verlief so ganz anders, als es die bunte Fassade des ewigen Schelms vermuten ließe.

Herr Zuber, Gratulation, Sie feiern am 7. April Ihren 80. Geburtstag. Wie geht es Ihnen denn?
Danke, immer wieder gut: Das ist für mich echte Philosophie!

Exakt an Ihrem 75. Geburtstag verpasste man Ihnen einen Herzschrittmacher - was für ein groteskes Geschenk. Haben Sie denn Angst vor dem Tod?
Vor dem Tod habe ich gar keine Angst, aber durchaus vor dem Sterben, vor dem Leiden. Auch wenn diese Angst absolut nutzlos ist. Ich würde zum Beispiel nicht gerne mit Corona infiziert werden. Aber grundsätzlich fürchte ich mich mehr vor dem Tod meines Dackels als vor meinem eigenen: Die Luzie ist bereits mein vierter Dackel, und sie ist immerhin schon neun. Das ist jetzt noch nicht uralt, aber irgendwann naht auch da der Abschied.

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Große Gesten, klare Worte: Heinz Zuber, der ewige Enrico, blickt auf abwechslungsreiche acht Jahrzehnte zurück © Copyright 2021 Matt Observe - all rights reserved.

In den Siebzigern, Achtzigern und Neunzigern war Ihr Enrico so etwas wie der österreichische Nationalclown. Haben Sie diese Figur minutiös geplant?
Aber nein, das war reiner Zufall. Nach Absetzung unserer Kindersendung "Das kleine Haus" fragte man mich: "Willst einen Clown spielen?" Und dann hat der eingeschlagen, das hatte im ORF keiner so geplant. Ich hatte ja zweieinhalb Jahre lang nicht einmal einen Vertrag, ich habe pro Sendung 800 Schilling bekommen. In dieser Zeit firmierte ich als "Interviewter", denn denen musste man weniger zahlen. Nein, nein, der Enrico wurde vom ORF nicht immer sehr geschätzt, bei jedem Intendantenwechsel und bei jeder Programmumstellung wurde er in Frage gestellt. Sogar der Erwin Ringel, der Erforscher der österreichischen Seele, hat mehrmals den Programmintendanten angerufen und sich für mich stark gemacht.

Und Sie selbst glaubten von Beginn weg an Ihre Enrico-Erfolgsgeschichte?
Kennen Sie das Boulevardstück "Schwester George muss sterben"? Da ging es darum, dass aus einer englischen Serie die Darstellerin einer ganz beliebten Krankenschwester rausgeschmissen wurde, einfach weil die TV-Chefin etwas gegen sie hatte. Damit sie dennoch kein Sozialfall wurde, durfte sie danach eine Kuh synchronisieren. Und als man mir den Clown anbot, dachte ich mir: "Da warst du acht Jahre lang jeden Samstag zu einer guten Zeit mit deinem Gesicht im Fernsehen - jetzt schminkst du dich halt." Da kam ich mir vor wie die Kuh. Doch dann kam mein hochgeschätzter Schauspielerkollege Bruno Thost und sagte: "Mensch, das ist ja toll, was du da im Fernsehen machst, der Clown ist eine deiner besten Rollen!" So bin ich, der Burgtheaterschauspieler, draufgekommen, dass das überhaupt eine Rolle ist. Und so begann sie mir auch Spaß zu machen.

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Populäre Clowns unserer Zeit sind Bösewichte wie der Joker, sind sogenannte Horrorclowns. Warum sind grundnaive Clownfiguren wie die Ihre verschwunden?
Ich kann es auch nicht erklären. Wenn Eltern mich baten, ob sie ein Foto von ihrem Baby und mir machen können, so haben mich die Kleinen angestrahlt. Doch sobald sie mir ganz nahe waren, begannen sie zu brüllen. Diese Fratze kann schon eine Grundangst auslösen.

Wenn sich selbst Erwin Ringel für Sie stark machte, haben Sie vielleicht eine Erklärung dafür, weshalb die Mütter und Väter von heute noch immer ganz sentimental werden, wenn irgendwo der Name Enrico fällt?
Mittlerweile bin ich da ziemlich eingebildet. Denn Erwin Ringel sagte: "Sie tun mehr für die österreichische Seele als sämtliche Kinderpsychologen zusammen." Und das sagte er öfter als einmal -so oft, dass ich inzwischen selbst glaube, dass es wohl so ähnlich war.

Kinderpsychologe Enrico?
Eines meiner Lieder ging so: "Alle Hasen haben Angst, und das ist auch erklärlich, doch andern zu viel Angst zu zeigen, das ist oft gefährlich. Doch was ein guter Hase ist, der meidet die Gefahr, nur wenn sich's nicht vermeiden lässt, vergisst er, was er war - und wird schlau und schnell " Ich habe das zunächst nicht bewusst gemacht, aber als ich meine Szenen geschrieben habe, war das meist so: Der Enrico hat ein Problem gehabt, und am Ende war es mit einem Lied wieder gut. Vielleicht ist das primitiv - aber doch irgendwie gut, um es auf eine Kinderseele zu übertragen. Der Enrico war Ermutigung, pure Ermutigung.

Das heißt, wir Kinder der Siebziger lebten in einer Gesellschaft, in der wir viel Ermutigung brauchten?
Muss nicht jedes Kind irgendwann ermutigt werden? Auch selbstsichere Kinder haben ihre Probleme, und da war der Enrico eine Identifikationsfigur. Alle Achtung vor "Habakuk" Arminio Rothstein, er war ein ganz wunderbarer Künstler, was der an Puppen geschaffen hat, ist unbeschreiblich -aber als Clown war er nicht gerade aufmunternd.

Was war denn der konzeptionelle Unterschied zwischen diesen beiden Clownfiguren?
Er war der reine Unterhalter, der auch gezaubert hat. Ich war in den Sketches das Kind, das die Probleme hatte. Als ich selbst ein kleiner Bub war, war ich selbst dieser Enrico, der Ermutigung brauchte.

Das heißt, Ihr Enrico war ein großes Kind, das aus innerer Verzweiflung handelte?
Nein, ich habe das nur gespielt, das war mein Beruf und hatte nichts mit Verzweiflung zu tun. Aber ich erzähle Ihnen jetzt etwas: Zur Zeit des jugoslawischen Bürgerkriegs hatten wir eine bosnische Familie bei uns im Haus einquartiert: fünf Personen, darunter ein dreijähriger Bub. Als dann das Massaker von Srebrenica passierte, hat die Mutter im Fernsehen auf einem der Lastwägen ihren Mann, den Vater ihrer Kinder, erkannt. Der Bub verstand nicht, was da passierte, aber aufgrund der Stimmung seiner Familie erkannte er dennoch, dass es etwas Furchtbares sein musste. Da begann der Kleine, zu blödeln, und versuchte, alle zum Lachen zu bringen. Vielleicht hat das auf philosophischer Ebene mit der Clownfigur zu tun, die manchmal auch aus einer Verzweiflung ihrer Umgebung heraus handelt.

Sie sagten, Sie seien als Kind "selbst dieser Enrico gewesen, der Ermutigung brauchte": Wie kann man sich denn Ihre Kindheit vorstellen?
Ich war ein Einzelkind und trotz wunderbarer Eltern im Alltag nicht immer sehr glücklich: Ich hatte stets Angst vor Gemeinschaften und Vereinen, und die ist mir im Grunde bis heute geblieben - ich bin eigentlich nirgendwo Mitglied. Als Kind war ich kurz bei den Pfadfindern, das hat mir nicht gefallen und auch nicht in der Katholischen Jungschar, denn dort hätte ich als Zwölfjähriger im Rahmen eines Aufnahmerituals schwören müssen, Gott, der Kirche und dem Vaterland treu zu sein. Bei der Kirche war ich mir noch unsicher - aber ein 1941 Geborener, der bereits zwölf Jahre später dem Vaterland treu sein soll?

Was bekamen Sie denn als Kind von der NS-Zeit mit?
Mein Onkel war im KZ gewesen, weil er Kommunist war. Als ich so zwölf, dreizehn war, erzählte er mir, wie es in Dachau zugegangen ist. Wie die Menschen einfach erschossen wurden, wenn sie nicht mehr konnten. Das war für mich ein grauenvolles Bewusstsein und letztendlich auch der Grund, weshalb ich bei den Pfadfindern nicht schwören wollte. Das hat mich wirklich bedrückt. Als ich zum ersten Mal in meinem Leben Juden kennenlernte, war ich bereits ein junger Mann, der in Paris lebte und am Montmartre Karikaturen für Touristen zeichnete. Da kam eine Gruppe sympathischer älterer Menschen auf mich zu, die Deutsch redeten, und zwar in einem Dialekt, den ich noch nie zuvor gehört hatte. Da fragte ich sie nach ihrer Herkunft, und eine der Frauen sagte sehr traurig auf Jiddisch: "Er weiß nicht was für einen Dialekt wir reden - na ja "

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 © Copyright 2021 Matt Observe - all rights reserved.

Sie schreiben in Ihren Lebenserinnerungen, dass Sie einmal auf einer Veranstaltung einer jüdischen Organisation Johannes R. Bechers "Kinderschuhe aus Lublin" vortrugen. Danach, so schreiben Sie, sollten Sie die Gruppen jener Menschen verlesen, die dem Massenmorden der Nazis zum Opfer gefallen waren: Juden, Sinti, Roma ...
... und die Schwulen? Ich hatte die Aufgabe, nach meinem Vortrag die NS-Opfer zu benennen, und fragte: "Warum denn nicht auch die Homosexuellen?" Da war die Reaktion von den Veranstaltern: "Was will er?" Das war in den Siebzigerjahren, und es war ein gesellschaftliches Tabu: Man hat sich ganz grundsätzlich geweigert, darüber zu reden, dass auch unzählige Homosexuelle den Mordplänen der Nazis zum Opfer fielen, das war verpönt. "Die waren ja zu Recht im KZ", das war die vorherrschende Meinung. Und die gesellschaftliche Ächtung hat lange darüber hinaus angehalten und ist bis heute noch nicht ganz vorbei.

War das denn der Grund, weshalb Sie Ihre Homosexualität nie groß "outeten"?
Ich habe, als ich noch in der Öffentlichkeit stand, nie offiziell gesagt, dass ich schwul bin. Aber nicht, weil ich mich dafür geniert hätte, ich wollte das eben nur nicht medienwirksam breittreten.

In den Siebzigern wurden Schwule noch kriminalisiert

Warum?
Über unangebrachte Zustände hätte ich schon reden wollen, aber nicht über meine Betroffenheit - aber natürlich war das eine grauenhafte Situation: Homosexuelle wurden in den Siebzigerjahren noch kriminalisiert, und das ging bis zur Ära von Justizminister Broda so. Aber ich muss Ihnen jetzt eines sagen: Ich habe im ORF ja auch viel Unangenehmes erlebt, aber in dieser Beziehung nie, der ORF war da immer sehr, sehr offen.

Nun waren Sie also ein anerkannter Burgschauspieler und Musicaldarsteller, und ausgerechnet der TV-Clown Enrico wurde zu Ihrer wichtigsten Rolle.
Sicher zu meiner Lebensrolle, in der immer all mein Herzblut steckte - vielleicht ist mir das erst so richtig bewusst geworden, als ich nach 28 Jahren endgültig Schluss gemacht hatte. Aber meine wichtigste Rolle war der Enrico nicht.

Nein, nicht Enrico – meine wichtigste Rolle war Heinrich Himmler

Sondern?
Heinrich Himmler. Also die Rolle des Himmlischt alias Heinrich Himmler in George Taboris "Mein Kampf", wo ich ein Huhn zu tranchieren hatte, denn Himmler war ja auch Hühnerzüchter. Tabori sagte: "Du bist Clown, mach daraus eine Clownszene." Da nahm ich das aus dem 19. Jahrhundert stammende Kochbuch "Die Süddeutsche Küche" meiner Großmutter, da stand unter dem Kapitel "Vom Abstechen und Herrichten des Geflügels": "Hühner und dergleichen sticht man ab, indem man sie bei beiden Flügeln packt, den Hals zurückbiegt und nahe am Kopf mit dem Messer so tief einschneidet, dass das Blut fließt." Daraus bastelte ich mir meinen eigenen Monolog über die dumpfe Mechanik des Tötens.

Und Sie bekamen hymnische Kritiken dafür - ist das der Grund, weshalb Ihre eigene Mutter die Figur des Enrico, den Liebling aller Kinder, so gar nicht mochte? Nämlich, weil sie Ihnen zu wenig Prestige verlieh?
Ich war ja in Österreich viel bekannter als in der deutschen Heimat meiner Kindheit, und so sagte dort einmal ein Nachbar ganz arglos zu meiner Mutter: "Ich habe gehört, Ihr Sohn ist beim Zirkus." Das hat meine Mutter sehr beleidigt. Sie sagte: "Bitte schön, mein Sohn ist am Burgtheater!" Dabei habe nicht einmal ich Zirkusclowns gemocht: "Blümchen, gib mir Wasser!" - und dann spritzt es: Das fand ich fürchterlich. Aber dann habe ich den Grock gesehen, später den Dimitri, diese literarischen Clowns, die haben mir gefallen, das war reine Poesie. Aber meine Mutter sagte: "Ach, immer dieser Clown!" Manchmal hat sie sogar körperlich unter Enrico gelitten.

Wie meinen Sie das?
Kurz nach dem Tod meines Vaters besuchte mich meine Mutter in Österreich. Und wenn wir wo essen waren, sind nun einmal Leute an unseren Tisch gekommen, die Autogramme wollten. Meiner Mutter ist das auf die Nerven gegangen, sie sagte: "Das halte ich nicht aus, ich reise ab." Da fuhr ich mit ihr mit der Bergbahn aufs Schweizer Jungfraujoch, der Bahnhof liegt auf 3.454 Metern Seehöhe - meine Mutter atmete schwer und geräuschvoll, ich machte mir ernsthaft Sorgen. Da kam lächelnd eine Familie auf uns zu, und ich dachte: "Wenn die jetzt fragen, ob ich der Enrico bin, dann stirbt sie mir." Dann aber fragte mich der nette Vater: "Sind Sie der Herr Zuber vom Burgtheater?" Und ich schwöre Ihnen: Auf einmal atmete meine Mutter ruhig und gleichmäßig. Ich hatte schon zuvor in ein paar Interviews gesagt, dass der Enrico ein bisschen wie meine Mutter ist, das hat ihr gar nicht gefallen. Louis de Funès sagte einmal sinngemäß: "Ich übertreibe nicht, ich spiele nur meine Mutter. Und wenn Sie trotzdem glauben, ich übertreibe, dann haben Sie meine Mutter nicht gekannt." Sie hat eben gestört, dass der Clown die Hauptrolle übernimmt - und dass nicht der Burgschauspieler, sondern er weltberühmt in Österreich ist.

Hat Sie das denn nicht manchmal auch gestört?
Nie, nie, nie. Man konnte in dieser Rolle ja so kreativ sein. Ich habe im Grunde gemacht, was ich wollte, meine Lieder selbst geschrieben und mit Hilfe meiner zwei Handaufnahmegeräte selbst vertont, obwohl ich gar keine Noten lesen kann. Erst danach wurden sie in Noten gesetzt und arrangiert.

Ein Clown muss Kinder mögen - ja oder nein?
Ich habe Kinder immer sehr gemocht und hätte auch gerne welche gehabt. Andererseits war ich, wenn ich wo zu Gast war, bei den Kindern vielleicht gerade deswegen so beliebt, weil ich wie die Omi oder der Opa nach ein paar Stunden oder Tagen die Möglichkeit hatte, wieder zu gehen. Ich blieb sozusagen etwas Besonderes.

Besonders wie Enrico?
In "Am dam des" war da einmal ein vierjähriges Mädchen. Irgendwann sagt es zu mir: "Das traue ich mich jetzt doch nicht." "Was traust du dich nicht", fragte ich. "Dich zu fragen, ob du mich heiratest." Es vergingen ein paar Wochen, doch irgendwann schaute mich dieses kleine Mädchen nicht einmal mehr an. "Was hast du denn?", fragte ich. "Nichts", antwortete es. "Aber komm', du musst doch was haben. Ich dachte, du wolltest mich heiraten." Da erst platzte es aus der Kleinen heraus: "Du bist ja gar kein Enrico, du bist ja nur ein Mensch. Und der Nikolo und der Osterhase sind auch nur Menschen."

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der aktuellen Printausgabe von News (13/2021) erschienen!

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