Mit einer positiven, halbwegs gelassenen oder auch nüchternen Sicht auf das Leben und die Rahmenbedingungen, die nun mal so sind, wie sie sind, wäre das Thema mit einem Wimpernschlag beendet gewesen. Ja, gar nicht erst aufgekommen. Schließlich war man von Anfang an nicht an einer tatsächlichen und ernsthaften Lösung interessiert. An einem schnellen Sager, einem Aufreger, der Luft verschafft, ablenkt und Futter für die Medien und Social Media bietet, aber sehr wohl. Also haben wir mal wieder einen halben Tag ein Nicht-Thema hitzig diskutiert. Diesmal das Thema Studienplätze für angehende Mediziner. Die sind – je nach Position – rar oder eben auch nicht. Jedenfalls ortet die Politik (und nur die) hierzulande einen Ärztemangel. Also müssen Schuldige her. Triggerworte bieten sich rasch an: Deutsche und Flüchtlinge. Und so macht das Wort von den Numerus-clausus-Flüchtlingen die Runde. Angestoßen von der Landeshauptfrau in Niederösterreich; aufgegriffen vom Bundeskanzler. Pech hat in diesem verbalen Ringelspiel der Bildungsminister. Er hätte zwar genug andere Baustellen, muss aber jetzt trotzdem die Rechtsmeinung überprüfen, ob Zugangsbeschränkungen für deutsche Studierende an Österreichs Unis nicht doch durchsetzbar sind.
Flüchtlinge also. Immerhin welche, die die Sprache des Landes sprechen. Aber gewollt sind sie deswegen, gerade deswegen, nicht. Mikl-Leitner jedenfalls findet es unfair, dass "Numerus-clausus-Flüchtlinge Studienplätze blockieren". Das kann man genauso artikulieren: "Flüchtlinge", "blockieren". Man muss aber so nicht artikulieren. Erst recht, wenn man weiß, dass die Probleme ganz woanders liegen. Verantwortungsvolle Politik würde das so – ganz naiv gedacht, ich weiß – benennen. Aber verantwortungsvolle Politik steht in Zeiten eines beginnenden Vorwahlkampfs nicht zur Verfügung. Jedenfalls nicht in der Praxis. In der Theorie schon. Der Nationalratspräsident warnte gerade vor einer Sprache, bei der rote Linien durchbrochen werden. Weniger Empörung, mehr Gelassenheit, so sein Wunsch. Mehr Mäßigung und vor allem Abwägung möchte ich ergänzen. Erst recht in Zeiten, wo die Grenzen des Sagbaren in atemberaubender Geschwindigkeit verschwimmen und Missachtung und Verächtlichmachung zunehmen.
Sprache macht Stimmung. Worte färben unsere Wahrnehmung und bestimmen den Diskurs. Wer den Diskurs beherrscht, beherrscht auch Meinungen und steuert die Emotionen. Das fängt bei einer vom Kanzler angestoßenen Genderdiskussion an und hört beim selbsternannten "Volkskanzler", der unter Applaus den Bundespräsidenten als "Mumie" und "senil" bezeichnet, auf. Ersteres sind Nichtigkeiten, würde man im Großen und Ganzen und in echten Problemen denken. Letzteres sind schwer ertragbare Grenzüberschreitungen. Sie fangen klein an und enden in einem selbstverständlichen Wording. Nicht nur in der Politikersprache. Wie schnell das geht, zeigen die Klimaproteste, wo aus Aktivisten rasch despektierlich "Kleber" und immer öfter "Terroristen" geworden sind.
Alltagssprachgebrauch. Ganz normal. Ganz gefährlich. Vor allem in Zeiten mit einer immer erratischer agierenden Politik, die sich in Zuspitzungen von "Normaldenkenden" und "unsere Leute" bis hin zu "die da oben" verliert und dabei nicht merkt, dass wir auf einen Zustand zusteuern, wo man sich einander nichts mehr gönnt und sich in einer Ablehnung von Argumenten unerbittlich gegenübersteht. Den Grundstein dafür hat die Sprache gelegt.
Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin