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In den vergangenen Jahren widmete sich der Oberösterreicher, der im März seinen 70. Geburtstag gefeiert hat, vor allem seiner Reihe "Spielformen des Erzählens". Die umfassten bisher in schmalen Bänden u.a. Festrede, Tirade, Verhör, Bildergeschichte, Duett, Balladen und Gedichte. Nun also ein etwas dickeres Buch mit 70 "Mikroromanen". "Mit diesen Mikroromanen durchwandere ich ein weiteres Feld meiner Spielformen des Erzählens, schließlich läßt sich von den endlichen Tatsachen der Wirklichkeit und den unendlichen Gestalten der Phantasie nicht nur in Roman-Trilogien (das natürlich auch) erzählen, sondern ebenso in wenigen Sätzen oder Seiten", charakterisierte er im Frühjahr, als er noch an der Fertigstellung arbeitete, gegenüber der APA diese Erzählform. In seinem Fall handelt es sich um keine Erfindungen, sondern um Tatsachenerzählungen. Alle beschriebenen Begebnisse "wurden an den angegebenen Orten und zu den angegebenen Zeiten tatsächlich erfahren, ausgestanden oder erlitten", schreibt er.
Beglaubigt wird dies vor allem durch vorangestellte "optische Notizen", "im Vorübergehen und ohne gestalterischen und technischen Aufwand entstandene", mit Smartphone oder Digitalkamera gemachte Schwarz-Weiß-Fotos, die auch bei den kommenden Buchpräsentationen eine Rolle spielen werden. Sie werden auf eine große Leinwand projiziert, während der Gitarrist Wolfgang Muthspiel die Ransmayr-Lesungen mit Variationen der Arie "Lascia ch'io pianga" von Georg Friedrich Händel begleitet. Es geht also um Erinnerungen, Momentaufnahmen und Erlebnisse, die sich wie in einem Fotoalbum zur Perlschnur eines Lebens verbinden, deren Faden der Erzähler in der Hand hält.
Christoph Ransmayr erweist sich dabei einmal mehr als großer Wanderer, als Reisender und erinnert dabei immer wieder an Josef Winkler, Peter Handke oder Gerhard Roth. Er fährt an Bord eines russischen Eisbrechers durch meterdickes Packeis zum Nordpol, streift über brasilianische Strände, erkundet die Osterinseln oder das heimische Tote Gebirge, nimmt am Elefantenfest in Kerala teil und fährt den Nil stromaufwärts, staunt über den Garten eines Landhauses an der irischen Südwestküste, verfolgt auf einem Pyrenäen-Kamm den Venusdurchgang und überrascht im Grenzgebiet zwischen Uganda und dem Kongo einen Schwarzbüffel beim Schlammbad. Die Leser können sich genüsslich zurücklehnen und kommen bei der Lektüre weit herum: in 70 Mikroromanen um die Welt. Beinahe könnte man den Titel des Buches auch auf den Autor münzen: "Egal wohin, Baby", Eindrückliches findet sich überall!
Die titelgebende Geschichte hat allerdings einen besonderen Charme: Am Ingolstädter Bahnhof eilte Ransmayr alias Lorcan im Laufschritt nach einer ärgerlichen Zugverspätung zu einer Lesung in einer zum Kulturzentrum umgebauten Lagerhalle, als ihn ein gesprayter Spruch kurz innehalten und die Kamera zücken ließ: "'Egal wohin Baby' hatte ein gelassener Philosoph?, ein Prediger?, ein Verliebter? dort mit weißem Farbspray neben den Treppenabsatz geschrieben - eine grenzenlose Liebeserklärung oder ein Programm größter Gleichgültigkeit?" Der vieldeutige Text lässt ihn auch bei der Lesung nicht los. Als er nach der Lesung nächtens extra noch einmal vorbeischaut, trifft er dort den vermeintlichen Dichter mit Spraydose an. Doch ehe er ihm dazu gratulieren kann, haut dieser ab, in Lorcan nicht einen Fan, sondern einen Gesetzeshüter vermutend, und seinen eigenen Spruch unmittelbar anwendend: Rasch weg! Egal wohin, Baby.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Christoph Ransmayr: "Egal wohin, Baby. Mikroromane", S. Fischer Verlag, 256 Seiten, 28,70 Euro; Nächste Auftritte von Ransmayr: 8.12., 15 Uhr, Diskussion "Wie kommt das Neue in die Welt?" mit Anton Zeilinger und Andrea Breth im Brahms-Saal des Wiener Musikverein, Buchpräsentationen gemeinsam mit Wolfgang Muthspiel am 9.12., 19.30 Uhr im Solitär der Universität Mozarteum und am 10.12., 19 Uhr, im Literaturhaus Graz)
FRANKFURT AM MAIN - DEUTSCHLAND: FOTO: APA/APA / S.Fischer Verlag