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Dominic Thiem:Seine Familie

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©Bild: News Ricardo Herrgott
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Dominic Thiem zog ins Endspiel der ATP-Masters ein und rangiert auf Platz vier der Weltrangliste. Nach der Trennung von Coach Günter Bresnik und Freundin Kiki Mladenovic braucht er seine Familie mehr denn je. Aber wie ticken die Menschen, die ihm am nächsten stehen? Und wie erzieht man eigentlich einen schüchternen Buben zum Superstar? Die Eltern Karin und Wolfgang Thiem erzählen

Am Tag nach dem ATP-Finale trat Ihr Sohn in einer Sport-Talkshow auf, wurde dort mit frenetischem Applaus begrüßt. Doch er senkte den Blick, so, als wäre ihm das alles irgendwie unangenehm.
Ist dieser Dominic Thiem im Grunde ein zurückhaltender, schüchterner Mensch, der gar kein Superstar sein will?

Karin: Er wollte immer Tennis spielen -ein Star zu werden, das war nie sein Plan. Es hat lange gedauert, bis er verstanden hat, dass er berühmt ist.
Wolfgang: Er ist jetzt definitiv keiner, der auf den Tisch haut. Der Dominic ist in dieses Leben hineingewachsen, genauso wie wir. Anfangs ist die Karin mit ihm zu irgendwelchen Jugendturnieren gefahren, in irgendwelche abgeschmierten Hotels mit miesen Trainingsbedingungen, wo wir noch jeden Cent umdrehen mussten. Wenn du von dort weg kontinuierlich all diese Stufen hinaufgehst, wächst du ganz einfach mit der Sache mit.

Karin: Ich kenne ihn viel fröhlicher und lustiger, als er sich in der Öffentlichkeit gibt, da kommt er eher ernst rüber.
Wolfgang: Er hat lange damit gekämpft, dass Profitennis ein Löwenkäfig ist -die Formulierung gefällt mir nicht sonderlich gut, aber: Wenn du da nicht entsprechend aufpasst, wirst du gefressen. Es dauert, gerade in Österreich, lange, bis man einen Tennisspieler als erfolgreich wahrnimmt. Da haben wir halt das "Problem" mit den Skifahrern, die absolut österreichbezogene Helden sind. Der Dominic hatte international schon viel früher ein hohes Standing als daheim. Dominic kommentierte seine Trennung von Kristina Mladenovic mit den Worten: "Eine normale Beziehung ist in diesem Job nicht möglich."

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Dominic Thiems Eltern © News Ricardo Herrgott

Wie wichtig ist in so einem Umfeld die Familie gegen die emotionale Vereinsamung?

Karin: Ganz, ganz wichtig. Wir schauen schon, dass immer irgendwer mit ihm auf Tour ist, entweder ein guter Freund oder der Wolfgang oder ich.
Wolfgang: Als Tennisspieler bist du in einem goldenen Käfig gefangen, Tennis ist eine der grausamsten Sportarten: Du stehst ganz alleine da draußen, es entscheiden oft Millimeter über Sieg oder Niederlage. Und selbst wenn du im Finale stehst, bist du, wenn du es nicht gewinnst, ein Verlierer, obwohl du davor fünf, sechs Matches gewonnen hast. Obwohl du alle Annehmlichkeiten genießt, egal, ob am Flughafen oder im Hotel -im Grunde bist du alleine. Und da ist die Familie extrem wichtig.

Tennis ist ein Löwenkäfig: Wenn du nicht aufpasst, dann wirst du gefressen

Haben Sie als Eltern nicht die Angst, dass Ihr Sohn irgendwann, wenn er mit dem Tennisspielen aufhört, völlig beziehungsunfähig ist?
Wolfgang: Ich glaube, diese Gefahr geht Richtung null.
Karin: Das, was er da tut, kann man nicht mit einem normalen Leben vergleichen. Genauso wenig kann man seine Beziehung mit einer normalen Beziehung vergleichen. Deswegen wird da irgendwann wohl auch eine Frau kommen, die dazu passt.

Als Sie Ihren Sohn mit 16 Jahren aus dem Sportgymnasium nahmen, gab es im Grunde keinen Weg mehr zurück. War das nicht ein immenser Druck?
Wolfgang:
Ich bin grundsätzlich kein Freund der Kombination von Schule und Sport. Wenn wer eine Tischlerlehre macht frage ich ja auch nicht: "Und, was machst du, wenn das nichts wird?" Tennisspieler zu werden, ist auch eine Form von Berufsausbildung: Wenn es nicht zum Profi oder Top-Ten-Spieler reicht, kann man diese eine Sache trotzdem viel, viel besser als die meisten anderen, da öffnen sich so viele Türen: als Trainer, als Touringcoach, als Hittingpartner, da gibt es so viele Möglichkeiten. Im Sport lernst du eine so große Härte zu dir selbst, dass du, wenn es mit dem Tennis nichts wird, jederzeit die Schule nachholen kannst.

Da ist diese ganz normale, bürgerliche Familie aus Lichtenwörth, und plötzlich nehmen die ihren Sohn aus der Schule. Da müssen sich ja viele gefragt haben: "Was ist denn da los?"
Karin:
Bürgerliche Familie? Ich glaube, in diese Begrifflichkeit haben der Wolfgang und ich nie hineingepasst. Wir sind immer schon einen anderen Weg gegangen, für uns stand der Sport immer schon an erster Stelle -egal, was, alles andere wurde hintangestellt. Immer dieses Theater mit der Schule! Wenn es sein muss, absolviert am Ende doch jedes Kind die Schule, das ist ja nicht so schwierig. Es war für uns nie das Wichtigste, dass er die Matura macht.

Stimmt die Geschichte, dass Sie für die Karriere Ihres Sohnes sogar Ihre Wohnung verkauften?
Karin:
Das war ursprünglich die Wohnung meiner Oma im ersten Bezirk, die hat dann meine Mama geerbt und gesagt: "Ich verkaufe sie, und wir finanzieren damit Dominics Karriere." Das hat uns enorm geholfen, denn der Weg zum Tennisprofi kostet gut und gern 80.000 Euro im Jahr, das ist so kaum zu stemmen. Aber wenn du den Weg gehst, zu dem Dominic und wir uns entschlossen haben, darfst du nicht nach links und rechts schauen, sonst wirst du wahnsinnig.

Dominics Beziehung kann man nicht mit einer normalen Beziehung vergleichen

Wie meinen Sie das?
Karin:
Ich sehe viele, die den gleichen Weg gehen wollen wie wir und sich von so vielen falschen Leuten beeinflussen lassen. Ich glaube, der Wolfgang und ich haben immer das richtige Gespür gehabt - natürlich teilweise mit der Hilfe von Günter Bresnik, denn auch der ging seinen Weg, und man brauchte gar nicht viel nachzufragen.

Welche falsche Einflüsse meinen Sie da konkret?
Karin:
In unserem Fall war es der Turnprofessor, der mir sagte: "Ihr Sohn mag ja ganz gut Tennis spielen, aber er kann nicht richtig schön schwimmen." Damals war der Dominic österreichischer Nachwuchsmeister im Tennis - und hatte einen Zweier in Turnen! Und wenn er dann auch noch einen Vierer in Mathe hat -um Gottes willen! Durch so was lassen sich dann viele Eltern abschrecken, aber ich habe gesagt: "Das interessiert mich nicht." Eltern sollten die Leute fragen, die es wissen, nicht die, die es nicht wissen.

Ist das etwas spezifisch Österreichisches, dass man an große Ideen nicht glaubt?
Wolfgang:
Ich habe mich einmal mit einem italienischen Tennisspieler unterhalten, dessen bestes Ranking war so um die 700. Der ist nach einer Verletzung heim nach Italien gefahren und hatte im Nu einen Termin bei einem Spezialisten. Dort wirst du als Nummer 700 respektiert, in Österreich wirst du gefragt: "Und, was machst du eigentlich beruflich?" Ein Dennis Novak oder ein Sebastian Ofner, die so zwischen 100 und 200 pendeln -da gibt es praktisch null gesellschaftliche Akzeptanz. Ganz ehrlich: Ich glaube, dem Österreicher fehlt ganz grundsätzlich das Sportverständnis. Und wenn du irgendwann einmal ganz vorne bist, kriechen dann dafür alle zu Kreuze. Ich würde mir wünschen, dass für Sportler, die noch nicht absolute Weltspitze sind, mehr Akzeptanz herrscht, dann hätten es die Jungen viel, viel einfacher.

Würden Sie sagen, dass Sie autoritäre Eltern sind?
Karin:
Wir haben unsere Prinzipien, und die müssen eingehalten werden. Ich habe extrem viel Wert darauf gelegt, dass meine Kinder andere Menschen grüßen, ihnen gehörigen Respekt entgegenbringen -solange sich auch die anderen ihnen gegenüber normal verhalten. Dinge, auf die andere Wert legen, waren uns dafür vollkommen egal: Mir war es zum Beispiel immer komplett wurscht, was die Kinder angezogen haben, denn am Nachmittag haben sie sowieso trainiert, das heißt, sie sind ihr ganzes Schulleben lang im Trainingsanzug zum Unterricht gegangen - auch auf die Feste.

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Wolfgang Thiem © News Ricardo Herrgott

Waren sie damit nicht irgendwie Outcasts?
Karin:
Natürlich. Ich habe öfter als einmal gehört, dass meine Kinder Außenseiter sind.
Wolfgang: Ich erinnere mich, als wir mit Freunden eine Woche auf Skiurlaub waren: Da sind wir dann ab Mittwoch nach dem Skifahren noch trainieren gegangen, weil in nächster Zukunft ein Turnier anstand. Da sagten die anderen Eltern: "Um Gottes willen, was tut ihr denn dem armen Buben an? Lasst ihn doch in Ruhe!" Was das betrifft, haben wir schon eine ausgeprägte Form von Konsequenz. Aber das war für den Dominic nie ein Problem. Wenn sich ein Kind dagegen sträubt, ist das aber auch kein Problem -nur Tennisspieler wird es dann halt nicht.

Der eine Sohn gehört zu den besten Tennisspielern der Welt - wie schwierig ist das für den anderen?
Wolfgang:
Der Moritz hat auch mit der Schule aufgehört, ist auch Tennisprofi. Einerseits hat er den Vorteil, dass jetzt nicht mehr so ein großer finanzieller Druck da ist, andererseits muss er diesen Cut schaffen: Jetzt war er bei den Masters dabei, hat vor jedem Match mit dem Dominic eingeschlagen - dann muss er beispielsweise wieder nach Tunesien zu irgendeinem Future-Turnier, das ist nicht einfach. Ich sage es ganz ehrlich: Wenn der Moritz unter die top 200 kommt, ist das ein Riesenerfolg - für ihn und für uns. Er betreibt diesen Sport seriös, wenn er nur mitlaufen würde, weil ihm nichts anderes einfällt, würden wir es abdrehen.
Karin: Auch er führt sein eigenes Leben, auch er macht das, was er wirklich möchte. Dass er so einen Bruder hat, ist, je nach Sichtweise, Pech oder Glück.

Nochmals: War da nie so was wie Angst, dass die Karriere von Dominic scheitern könnte?
Karin:
Nein, nie.
Wolfgang: Die Karin und ich haben beide den Riesenvorteil, dass wir unter Druck oder Stress gut funktionieren. Etwa, als der Dominic mit 16 Jahren in Costa Rica im Spital lag, 40 Grad Fieber hatte und die Karin ununterbrochen am Telefon gehängt ist. Da kannst du nicht ausflippen.

Sind das Momente, in denen man sich selbst Vorwürfe macht?
Wolfgang:
Nein. Gegenfrage: Macht man sich als Vater oder Mutter Vorwürfe, wenn das Kind mit 16 oder 17 völlig angesoffen in einer Diskothek herumhängt? Das etwa kannst du durch Spitzensport so gut wie ausschließen. Das war für mich immer ein Ansatz, die sportliche Karriere von Dominic und Moritz so zu forcieren, ohne zu wissen, wo es hinführt.
Karin: Ich sagte als Mutter immer: Wenn er Tennis spielen will, und das wollte er, dann muss er durch gewisse Dinge durch. Wenn er als 15-Jähriger auf einem Turnier in Kolumbien ist und mir von dort erzählt, dass man nachts nicht an einer Ampel stehenbleiben kann, weil man sonst Gefahr läuft, erschossen zu werden, habe ich einfach nicht das Recht, zu sagen: "Ach, du Armer "

Was läuft im österreichischen Tennis falsch, dass sich ein Talent nicht mit entsprechender Verbandshilfe beruflich etablieren kann?
Wolfgang:
Im Grunde gibt es zwei funktionierende Verbände: den Fußballverband und den Skiverband. Ich bin beseelt davon, dem Tennisverband auf die Sprünge zu helfen, da wäre so viel Potenzial -gäbe es da nicht diesen überbordenden Föderalismus und diese Funktionäre, die ihr Amt nur deswegen bekleiden, weil sie dann bei einem Turnier gratis im VIP-Club essen können.

Was wäre aus Dominic denn ohne den Einsatz der Familie geworden?
Karin:
Vielleicht kann man es so sagen: Dominic hat sich nicht dank des Verbandes entwickelt, sondern trotz des Verbandes.

Dieses Bild, wo Ihr Sohn in Melbourne aus purer Verzweiflung einen Schläger zertrümmerte - was hat das mit Ihnen gemacht?
Wolfgang:
Da waren sicher auch Dinge dabei, die sich aufgestaut hatten, etwa die bevorstehende Trennung von Günter Bresnik, das muss man dann eben irgendwo rauslassen.

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Karin Thiem © News Ricardo Herrgott

"Wir setzen ihn einer Härte aus, mit der er nicht zurecht kommt" - hatten Sie je dieses Gefühl?
Karin:
Nein, denn wenn er das machen will, dann muss er auch die negativen Seiten mittragen.
Wolfgang: Und er hat früh gelernt, das Gefühl schmerzlicher Niederlagen zu akzeptieren. Andere, die das nicht mussten, kriegen dann mit 20 plötzlich den großen Knacks.

Was braucht er, wenn es ihm nicht gut geht - Aufmuntern, Umarmen, Pushen?
Karin:
In erster Linie Gespräche. Da löst sich dann sehr viel auf. Wie vier Thiems sind ja ganz verschiedene Charaktere, da kommt immer ein anderer Input. Der Wolfgang, der Moritz und ich sind die einzigen, die ihm wirklich die Meinung sagen, das tut sonst keiner so richtig. Er hat jetzt einen Status erreicht, wo von außen eher das Goderlkratzen dominiert.

Nun ja, sein Ex-Coach Günter Bresnik galt doch eher als bedingungslos ehrlich, oder?
Wolfgang:
Der Günter war einer, der das vielleicht übertrieben hat. Ich kann jemanden nach einer Niederlage niedermachen und ihm eine drüberziehen -oder ihn positiv kritisieren, mit dem neuen Team läuft das alles sehr strukturiert. Jetzt in London wurde die Finalniederlage bereits in der Kabine besprochen, und der Dominic kam mit dem klaren Ziel heraus, nun einmal im Urlaub so richtig abzuschalten und dann im Dezember neu durchzustarten.

Heißt das also, es gab eher ein psychologisches Problem, kein handwerkliches?
Wolfgang:
Wie erkläre ich dem Dominic etwas? Auf dem Level, auf dem er sich jetzt befindet, spielt die psychologische Komponente eine sehr große Rolle.

Man muss sich Dominic also vorstellen wie einen Sohn, der gegen eine Art Übervater revoltierte?
Wolfgang:
Ja, wahrscheinlich.

Warum konnte das nicht mehr funktionieren?
Wolfgang:
Es ist wie in einer Beziehung, wo du irgendwann das Gefühl hast, dass es mit dem Partner einfach nicht mehr geht.

Aber es ist ja nicht zwingend so, dass Beziehungen scheitern, nur weil man lange beisammen ist.
Wolfgang:
Nein, da sind mehrere Komponenten, die einfach nicht mehr passten und letztendlich zur Explosion führten. Natürlich geht so etwas immer vom Spieler aus, der Trainer wird die Zusammenarbeit nicht von sich aus beenden, denn der sitzt am Futtertrog.

Dominic sagte in Bezug auf die Bresnik-Trennung, er wolle mehr "persönliche Freiheit". Worin besteht die letztendlich?
Wolfgang:
Darin, selbst zu entscheiden, selbst zu planen, das Gefühl zu haben, dass er der ist, der die Richtung vorgibt.
Karin: Der Dominic steht jetzt als Sportler im Mittelpunkt, die anderen gruppieren sich um ihn herum, und diese Konstellation gab es zuvor nicht. Da war der Günter -und dann der Sportler daneben.
Wolfgang: Und ich bin mir sicher, das war nicht böse gemeint. Aber du musst genau wissen: Ab wann kann ich einem Sportler zumuten, seine eigenen Entscheidungen zu treffen? Bei einem 16-Jährigen wird das nicht funktionieren, aber der Dominic ist mittlerweile routiniert genug, um zu wissen, was er braucht und was für ihn gut ist.

Das heißt, Dominic ist jetzt der Chef im Laden - das heißt, er ist auch Ihr Chef?
Wolfgang:
Die Karin und ich sind halt jetzt viel dabei, weil es für den Dominic wichtig ist. Aber ich würde nie auf die Idee kommen, von meinem Kind ein Geld zu verlangen, das ist das Abartigste, was es gibt. Im Endeffekt geht es darum, dass es dem Menschen Dominic gut geht.

Das Interview erschien ursprünglich in der News-Ausgabe Nr. 47/19

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