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Dilettantismus darf nicht zum Kunstprinzip werden

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Heinz Sichrovsky
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Im Salzburger "Jedermann" fielen drei schreiende Aktivisten nicht auf, weil man sie für Mitwirkende hielt. Es wird Zeit, sich wieder um Kunst zu kümmern. Dafür sind auch Berufsdenunzianten zu deaktivieren

Eine "Jedermann"-Inszenierung katastrophal zu nennen, hätte ich mir bis vor einer Woche als übertrieben harte Amtshandlung verboten. 112 Jahre nach seiner Uraufführung hat sich das schwache Stück von künstlerischen Kriterien nämlich weitgehend abstrahiert. Während es allerdings dem Rezensenten des "Guide Michelin" erspart bleibt, über jede neue Rezeptur bei Kentucky Fried Chicken außer sich zu geraten, rückt die nunmehr vierte Kritikergeneration Sommer für Sommer verhalten maulend auf den Domplatz ein. Seit Max Reinhardt galt dabei das Prinzip, von der singulären Kulisse und der Besetzung des Titelhelden mit dem jeweils führenden Schauspieler des Sprachraums nicht ungebührlich abzulenken. Und ansonsten Gott einen übertrieben guten Mann sein zu lassen, denn die schon von Goethe befürwortete Willkürjustiz zu Lasten des Teufels wird hier auf die Spitze getrieben: Faust musste für seine Begnadigung noch umfängliche Aktivitätsnachweise erbringen, während für den Hofmannsthal'schen Prasser eine Stunde des Lamentierens reicht.

Jetzt allerdings haben wir die Katastrophe, und ich meine nicht den Klescher von Bühnenbild vor der identitätsstiftenden Domfassade: Zur aktuellen "Jedermann"-Premiere hatten drei Klimakleber Zutritt erlangt (die "Sponsoren", die ihnen die begehrten Karten verschafft hatten, sollten ausforschbar sein). Kaum ließen sie ihre Untergangsarie vom Stapel, stürmte schwarzgekleidetes Sicherheitspersonal den Raum und zerrte die Zeternden ins Freie. Bemerkt, so schrieben meine Kollegen im Ton des Wohlwollens, habe das allerdings keiner, denn die zehn Minuten wurden für ein Inszenierungsdetail gehalten. Und viele bobopublizistische Forenkretins ergänzten: Hier sei man richtig, statt frühmorgens die motorisierte werktätige Bevölkerung gegen die gute Sache aufzubringen.

Für katastrophal halte ich das aus mehreren Gründen. 1) können Sie sich vorstellen, welche Art Inszenierung das ist (meine Kollegin Susanne Zobl erläutert auf Seite 72), wenn sich drei hyperventilierende Amateurkomparsen und eine Kompanie Personenschützer fugenlos ins Konzept finden. Sie haben es erraten: amateurhaft grob und schrill den gerade aktiven Primärreflex bedienend wie schon im Vorjahr, als man sich in "Genderfluidity" erprobte. Und 2) wüsste ich gern, ob derlei Ermutigung die Radaukommandos in ihrer bildungsfernen Selbstgewissheit nächstens auch zu Mozart, Verdi und Brahms führt. Und ob das dann auch gutgeheißen wird. Dann nämlich ist die Zeit reif, Klimt und van Gogh statt mit der weltrettenden Paradeissuppe mit härteren Argumenten zu konfrontieren.

Lassen Sie mich noch deutlicher werden: Wir aus der dezimierten Spezies der Kulturjournalisten müssen wissen, wohin wir gehören. Unsere Seite ist die der Kunst, keine andere. Uns und der p. t. Kundschaft das zu kommunizieren, ist vordringlich. Es hat sich nämlich eine Subspezies etabliert, von der wir uns mit aller Konsequenz abgrenzen müssen: die der Weltbelehrer und Moralspekulanten, unter ihnen zunehmend Bespitzler und Listenersteller, die das Geschäftsfeld der Denunziation als das ihre erkannt haben. Exemplarisch für das, was ihnen gottlob misslungen ist, steht der Versuch, Anna Netrebkos Karriere zu sabotieren: Öfter als sie an den Destinationen Wien, Mailand, Paris, Salzburg, Verona und Berlin könnte man nur unter Selbstbeschädigung auftreten. Aber für den Dirigenten Teodor Currentzis, dessen halbszenischer Purcell ab Montag in Salzburg gezeigt wird, ist der Auftritt schon die Ausnahme. Als griechischer Staatsbürger hätte er sich von seinem Ensemble MusicAeterna nur davonmachen müssen, um im sicheren Westen auf Putin zu schimpfen und ein Orchester seiner Wahl zu übernehmen. Er hätte dann in St. Petersburg 150 Musiker und ihre Angehörigen ins Nichts geschickt. Statt dessen hat er ergänzend das Weltorchester Utopia gegründet, mit dem er jetzt auch in Salzburg auftritt. Damit, so dachte man, wäre die Causa elegant gelöst. Mitnichten! Schon werden in Zeitungsartikeln die russischen Orchestermitglieder gezählt, und nur der Einspruch meiner jüdischen Vorfahren hindert mich daran, Sie mit Analogien zu irritieren.

Derweilen hat selbst das Wiener Konzerthaus, das von Currentzis unermesslich profitiert hat, den Kontakt ausgesetzt. Mehr noch: Ein dortiger Angestellter aus dem nichtkünstlerischen Personal betätigt sich in Internetforen als Cheerleader für die Totschlägerformation. Einer seiner Geisteskumpane - er hat sich auch unflätig am Dirigenten Christian Thielemann erleichtert - verteidigt die Bayreuther Festspiele, für die er eine Veranstaltungsreihe moderiert, pöbelnd gegen Kritik. Das sind nicht wir. Ausgrenzung wird da zum Überlebensprinzip des Berufsstandes.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz  news.at

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