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Die Stunde des Präsidenten

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Was wird Alexander Van der Bellen tun? Laut Verfassung ist er in seiner Entscheidung, wen er zum Kanzler ernennt, frei. Eine „Person seines Vertrauens“ sollte es sein. Schließt das Herbert Kickl automatisch aus? Nicht ganz. Denn der Bundespräsident ist auch realpolitischen Zwängen unterworfen. Eine von ihm angelobte Regierung muss von einer Mehrheit im Parlament getragen sein. Was er aber nicht tun muss: der FPÖ einen Regierungsbildungsauftrag erteilen

Wenn man in der Hofburg residiert, kann ein bisschen Zeremoniell nicht schaden. Auch in Zeiten der Demokratie und mit den Bundespräsidenten als Hausherren. Und so ergab es sich, dass immer nach Nationalratswahlen der jeweilige Bundespräsident mit gewichtiger Miene einem Parteichef den Auftrag zur Regierungsbildung gab. Gemäß den Usancen fasste diesen Auftrag stets jene Partei aus, die bei der Wahl Platz eins belegte.

Sobald die FPÖ in den Meinungsumfragen an die Spitze vorgerückt war, stellte sich daher die Frage, wie hält es der aktuelle Bundespräsident mit den Blauen? Wird er Herbert Kickl beauftragen? Selbst jene, die bis Sonntag noch an ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen FPÖ und ÖVP geglaubt hatten, diskutieren seit dem Wahlabend, wie wird Alexander Van der Bellen mit dem Wahlsieger umgehen?

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 © Ricardo Herrgott/News

Alexander Van der Bellen selbst hatte diese Debatte schon im Jänner 2023, kurz vor der Angelobung zu seiner zweiten Amtszeit, in einem ORF-Interview unfreiwillig befeuert. Auf die Nachfrage der Interviewer, ob seine Skepsis gegenüber dem blauen Parteichef bedeute, dass dieser als Wahlsieger nicht automatisch mit einem Regierungsbildungsauftrag rechnen könne, verwies Van der Bellen darauf, dass die Ernennung eines Kanzlers gemäß der Verfassung seine „höchstpersönliche Entscheidung“ sei. „Dafür brauche ich keinen Vorschlag.“ Zuvor hatte er erklärt, „eine antieuropäische Partei, eine Partei, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilt, werde ich nicht durch meine Maßnahmen noch zu befördern versuchen.“ Die Formulierung des „nicht automatischen“ Regierungsbildungsauftrages kam also gar nicht vom Bundespräsidenten, klebt aber seither an ihm. Noch dazu steht in der Verfassung kein Wort von einem Regierungsbildungsauftrag. Es ist nur von der Ernennung des Kanzlers und der Minister die Rede. In einem Statement vergangenen Sonntag ließ sich Van der Bellen nur so weit in die Karten blicken: „Diese Ernennungen setzen ein gewisses Vertrauen in die handelnden Personen voraus.“

Es muss keinen Regierungsbildungsauftrag geben

Der Bundespräsident könnte nun also jenen Auftritt auslassen, der früher stets dazugehörte: Kurz nach der Wahl mit dem künftigen Kanzler vor die Öffentlichkeit zu treten und quasi den offiziellen Startschuss für die Regierungsverhandlungen zu geben – einen Regierungsbildungsauftrag eben.

Nur einmal, bei SPÖ-Chef Viktor Klima, dem Wahlsieger von 1999, drifteten diese Inszenierung und die politische Realität auseinander. Hinter dessen Rücken verhandelten FPÖ und ÖVP über die erste schwarz-blaue Koalition, während er sich noch um einen Verhandlungsabschluss mit den Schwarzen bemühte. Der damalige Bundespräsident Thomas Klestil musste dann gegen seinen erklärten Willen die erste schwarz-blaue Regierung in Österreich angeloben. Mit steinerner Miene erledigte er seine verfassungsrechtlichen Pflichten.

Der Macht des Bundespräsidenten sind realpolitische Grenzen gesetzt. Zwar könnte er die Angelobung einer von ihm nicht gewollten Regierung verweigern und eine Person seiner Wahl zum Kanzler ernennen. Doch er hätte wenig davon, wenn dieser im Parlement sofort per Misstrauensantrag hinweggefegt wird. Denn jede Regierung steht und fällt mit den Mehrheitsverhältnissen im Nationalrat. Der Präsident könnte in weiterer Folge zwar eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen herbeiführen, um zu versuchen, seinen Willen durchzusetzen. Aber: „Van der Bellen ist keiner, der irgendwelche Spielchen spielt“, sagt ein Weggefährte.

Nach den Buchstaben der Verfassung

„Der Bundespräsident“, sagen Menschen, die Alexander Van der Bellen schon lange kennen, „wird sich streng an die Buchstaben der Verfassung halten.“ Kaum ein Bundespräsident habe so viele Regierungsbildungen und -umbildungen begleitet. „Er kennt die Situation intensiv, er wird der Fels in der Brandung sein“, heißt es. Betont wird in seinem Umfeld zudem, dass „ja nicht er verhandelt, sondern die Parteien“.

Was der Präsident nun plant

Van der Bellen will in den nächsten Tagen mit allen Parteien Gespräche führen. „Dabei werde ich ausloten, welche tragfähigen Kompromisse es geben könnte“, sagte er. Und er wird seine Vorstellungen formulieren. „Ich werde nach bestem Wissen und Gewissen darauf achten, dass bei der Regierungsbildung die Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie respektiert werden: etwa Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft. Sie sind das Fundament, auf dem wir unseren Wohlstand und unsere Sicherheit aufgebaut haben. Und wie auch immer eine künftige Bundesregierung zusammengesetzt sein wird, ihr zentrales Ziel muss sein, uns allen und auch unseren Kindern und Enkelkindern eine gute Zukunft zu ermöglichen“, erklärte er am Sonntag.

Die Parteien könnten nach ihren Treffen mit Van der Bellen sondieren und verhandeln, ohne dass ein Regierungsbildungsauftrag erteilt wird. Am Ende müssen sie es schaffen, eine tragfähige Regierung zu bilden. Ob die FPÖ und vor allem Herbert Kickl in dieser vertreten sein werden, liegt vor allem an jenen Politikern, die eine Koalition mit ihm ausgeschlossen haben. Und an der FPÖ, die eine Regierungsbeteiligung ohne ihn von sich weist. Bleiben alle bei ihrem Wort, muss Van der Bellen Kickl eher nicht angeloben.

Aber, so ein Weggefährte, „wenn ÖVP und FPÖ zu einer Einigung kommen und eine Regierung bilden, ist er nicht der Typ, der das wie Klestil mit saurem Gesicht hinter sich bringt, sondern das wird ein professioneller Akt sein.“

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Türkis Blau: Nach der Wahl 2017 bildeten Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz Christian Strache (FPÖ) die Regierung und wurden von Alexander van der Bellen angelobt.

 © Georges Schneider/Picturedesk.com

Klare Worte zur FPÖ

Bereits einmal hat Alexander Van der Bellen blaue Regierungsmitglieder angelobt. 2017 standen Sebastian Kurz, Heinz-Christian Strache und auch Herbert Kickl vor ihm in der Hofburg. Damals betonte er, die konstruktiven Gespräche zur Regierungsbildung. „Das schätze ich auch deswegen, weil wir ja doch, und damit verrate ich kein Geheimnis, eine unterschiedliche politische Herkunft haben.“ Er forderte Respekt vor der Geschichte, Achtsamkeit beim Gebrauch der Sprache und Respekt vor Andersdenkenden ein.

Viel deutlicher wurde er im Vorjahr, als Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner eine Koalition mit dem treuen Kickl-Gefolgsmann Udo Landbauer einging. „Der Nationalsozialismus mit seiner mörderischen Ideologie darf sich niemals wiederholen. Nie wieder! Unser gemeinsames ,Nie wieder!‘ verpflichtet uns alle zu einem genauen und scharfen Blick, damit wir nie wieder in eine Situation wie in den 1920er- und 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts kommen, Schuldige suchen, Menschen herabwürdigen, Andersdenkende verhöhnen und verspotten. Die Gesetze dehnen. Das Unsagbare doch sagbar machen. Immer ein Stückchen mehr. An die niedrigsten Instinkte appellieren. Immer noch ein wenig mehr, sodass es vermeintlich nicht auffällt. Aber es fällt auf“, las er Mikl-Leitner die Leviten.

Bis Österreich eine neue Regierung hat, kann es Monate dauern. Und sie steht, stimmt immer noch, was Van der Bellen am Wahlabend sagte: „Ich weiß schon, die einen werden sich mehr freuen und die anderen weniger.“

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 © Roland Schlager/APA/Picturedesk.com
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