Nachdem die Verhandler von ÖVP, SPÖ und Neos gescheitert sind, kommt der FPÖ-Chef zum Zug und soll versuchen, eine stabile Regierung mit der Volkspartei zu bilden. Ein Triumph für den 56-Jährigen, der die längste Zeit im Hintergrund wirkte und nur Insidern ein Begriff war. Wer ist der Mann aus Radenthein und wie will er Österreich verändern?
Kurz vor elf Uhr am Dreikönigstag schreitet Herbert Kickl jenen Dutzende Meter langen roten Teppich entlang, der durch das Stiegenhaus der Hofburg und durch imperiale Zimmerfluchten bis zur berühmten roten Tapetentür führt. Er kommt wohl als künftiger Kanzler. Noch im Oktober, bei seinem letzten Besuch hier, musste er Bundespräsident Alexander Van der Bellen berichten, dass kein anderer Parteichef mit ihm Koalitionsverhandlungen beginnen wolle. Nun erklärt der Bundespräsident nach dem Gespräch: „Herbert Kickl traut sich zu, im Rahmen von Regierungsverhandlungen tragfähige Lösungen zu finden, und er will diese Verantwortung. Ich habe ihn das ausdrücklich gefragt“, und: „Ich habe mir diesen Schritt nicht leicht gemacht.“
Der FPÖ-Chef hat jetzt das Heft in der Hand. Er musste dafür nur geduldig sein und zuwarten. Denn während die glücklosen Koalitionsverhandler Karl Nehammer, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger lange nicht einmal wussten, wie groß das Budgetloch überhaupt ist, während sie sich über Steuererhöhungen, Pensionen und Einsparungen stritten, trat Kickl beim Wahlkampf in der Steiermark auf, postete auf Facebook Fotos, die ihn beim Klettern oder im Wald zeigen. Später dann besinnliche Adventkranzbilder und immer wieder Häme gegen die Verhandler. Die FPÖ stieg indes in den Umfragen Richtung 35 Prozent. Der blaue Parteichef konnte sich zurücklehnen: Selbst wenn ÖVP, SPÖ und Neos ein Regierungsbündnis geschlossen hätten – seine Stunde wäre dann eben bei der nächsten Nationalratswahl gekommen.
Herbert Kickl hat ein Gespür für den richtigen Moment. Gezeigt hat sich das u. a. während der Coronapandemie. Im Gegensatz zum damaligen FPÖ-Chef Norbert Hofer setzte er auf die wachsende Gruppe jener, die mit den Bemühungen der Regierung, die Pandemie einzudämmen, unzufrieden waren. Aus einem Mann, der stabil in der zweiten Reihe der Partei platziert war, wurde langsam so etwas wie ein Volkstribun. Mahnungen, bei den Coronademos würden Rechtsradikale und Putin-Freunde mitmarschieren, waren ihm eher ein Ansporn. Bei einer Großdemo, die im Wiener Prater endete, war Kickl plötzlich umjubelter Einpeitscher und nicht mehr nur der Redenschreiber im Hintergrund. Ab da strebte er an die Parteispitze.
Wer ist Herbert Kickl?
Kickl wird 1968 in Kärnten geboren. Die Eltern sind Arbeiter, Kickl wächst als Einzelkind in Radenthein in einfachen Verhältnissen auf, schafft es dennoch als Erster in seiner Familie aufs Gymnasium – er gilt als klug und diskussionsfreudig. Die politische Gesinnung ist ihm nicht in die Wiege gelegt. Kickls Eltern fallen politisch nicht weiter auf, und auch Mitschülerinnen und Mitschüler – wie die spätere Grünen-Chefin Eva Glawischnig – rechnen nicht damit, dass er einmal bei der FPÖ landen wird. Einzig sein früh ausgeprägtes Faible für das Militärische könnte als Hinweis gedeutet werden.
Nach der Matura geht Kickl nach Wien, um zu studieren. Zunächst Politikwissenschaft und Publizistik, dann Philosophie. Er schließt sein Studium nicht ab, sondern heuert 1995 bei der Parteiakademie der FPÖ an. Als Außenseiter: Kickl gehört keiner Burschenschaft an, er stammt nicht aus altem Parteiadel. Aber er arbeitet sich nach oben. Sein Talent für scharfe Formulierungen fällt auf, bald schreibt Kickl Reden für Parteichef Jörg Haider. Auf sein Konto gehen berüchtigte Formulierungen wie „Ich verstehe überhaupt nicht, wie jemand, der so viel Dreck am Stecken hat, Ariel heißen kann“ – eine als antisemitisch kritisierte Anspielung auf den damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde. Trotz dieser „Erfolge“ bleibt Kickl ein Einzelgänger, unnahbar. Die Kickl-Biografen Gernot Bauer und Robert Treichler zitieren in ihrem Buch einen Parteigänger: „Er machte immer einen leicht aggressiven Eindruck. Er war der leicht empörte, kleine Mann aus Kärnten.“
2005, nach der Abspaltung von Jörg Haiders BZÖ, macht Kickl blitzartig Karriere und wird FPÖ-Generalsekretär unter Heinz-Christian Strache. Er orchestriert einen scharfen, islamfeindlichen Kurs, erklärt die EU zum deklarierten Feindbild der FPÖ und wird in den kommenden Jahren zum unverzichtbaren – und parteiintern gefürchteten – Mastermind hinter Frontman Strache.
Selbst bleibt er unsichtbar. Erst die türkis-blaue Regierungsbildung 2017 macht ihn auch öffentlich bekannt: Kurz vor Weihnachten wird Kickl als Innenminister angelobt. Die knapp eineinhalb Jahre, die er im Amt ist, zeigen, wo er politisch hinwill: Er lässt an Landespolizeidirektionen eine Anweisung erteilen, wonach die Kommunikation mit kritischen Medien „auf das Nötigste“ zu reduzieren sei. Er erklärt öffentlich, dass das Recht der Politik zu folgen habe, nicht umgekehrt. Er stellt die Europäische Menschenrechtskonvention infrage. Und er verantwortet die BVT-Affäre, in deren Folge der Inlandsgeheimdienst international diskreditiert und schließlich aufgelöst wird.
All das wird Kickl aber nicht zum Verhängnis. Es ist das Ibiza-Video, das ihn aus dem Amt befördert. Die ÖVP sucht einen Ausweg aus der Koalition und erklärt den Innenminister zur Persona non grata, mit der kein Staat (mehr) zu machen sei. Kickl wird entlassen. Und arbeitet bald mit neu gewonnener Lust am Rampenlicht daran, Norbert Hofer, Straches Nachfolger als FPÖ-Parteichef, aus dem Amt zu drängen. 2021 wird Kickl FPÖ-Obmann. Unter seiner Führung erholen sich die Blauen vom Ibiza-Tief und sind seit Ende 2022 in Umfragen auf Platz eins.
Schwarz-Blau: Es ist kompliziert
Schon mehrfach hat die FPÖ mit der ÖVP koaliert. Erst unter Wolfgang Schüssel, dann unter Sebastian Kurz auf Bundesebene. In den Ländern schließen die beiden Parteien ebenfalls immer wieder (umstrittene) Bündnisse. Inhaltlich – so sagen Vertreter beider Parteien oft – ist man sich schon lange nahe. Doch bei Herbert Kickl schaltet die ÖVP vor der Nationalratswahl auf maximalen Konfrontationskurs. Mit ihm als Parteichef werde es keine Koalition geben. Reihenweise kündigten die schwarzen Minister an, für so eine Koalition künftig nicht zur Verfügung zu stehen. (Man darf gespannt sein, wer von ihnen sich womöglich im künftigen Regierungsteam wiederfinden wird.)
Noch im Herbst donnerte der heutige geschäftsführende Obmann der ÖVP, Christian Stocker, im Nationalrat Richtung Kickl: „Es will sie keiner, es braucht sie keiner.“ Nun formuliert er devot: Würde die FPÖ die ÖVP zu Gesprächen einladen, sei man bereit. Kickl wiederum warb rund um die Wahl demonstrativ um jene in der ÖVP, die ohnehin zu Blau-Schwarz tendierten. Er präsentierte ein Wahlprogramm, dessen Wirtschaftspassagen auch aus dem ÖVP-Wirtschaftsbund oder der Wirtschaftskammer stammen könnten: weniger Bürokratie für Unternehmen, Absage an Besitzsteuern, weitere Senkung der KöSt, geringere Lohnnebenkosten sind da – ohne Vorschlag zur Gegenfinanzierung – aufgelistet. Nach den vorerst erfolglosen Sondierungsgesprächen mit der ÖVP im Oktober präsentierte Kickl noch einmal ein wirtschaftsaffines Verhandlungspapier samt stringentem Zeitplan. Gilt dieses Papier nach wie vor, könnte die neue Regierung rasch stehen.
Was der FPÖ-Wirtschaftsexperte sagt
Arnold Schiefer, Wirtschaftsexperte der FPÖ, sagte im Spätherbst – als ÖVP, SPÖ und Neos noch über die Tiefe des Budgetlochs stritten – im Interview mit dem trend: „Die FPÖ hat ein genaues Bild, was sie tun würde.“ Fünf Prozent könnten bei den Budgets der einzelnen Ministerien „locker“ gekürzt werden, meinte Schiefer. Und er ließ durchblicken, dass die FPÖ ihren Wählern wohl auch Sparmaßnahmen verkaufen könnte: „Politiker möchten geliebt werden und darum was zum Verteilen haben. Fein, aber es ist halt nichts mehr da. Davon abgesehen sind die Menschen nicht mehr so dumm. Sie wissen, dass es ihr Steuergeld ist, das der Politiker verteilt, und nicht sein Privatvermögen.“
Der Wirtschaftsflügel der ÖVP wird blaue Ideen wie diese gerne hören: „Den Investitionsfreibetrag beschränkt für die nächsten drei Jahre erhöhen, um bei größeren Betrieben den Kapitalabfluss schnell zu stoppen. Außerdem wollen wir eine steuerliche Entlastung für nicht entnommene Gewinne, um die Kapitalstrukturen zu stärken.“ Und, so Schiefer zur Verhandlungslinie: Man müsse „zuerst den finanziellen Rahmen definieren, dann festlegen, wo das Budget gleich bleibt und wo es weniger wird. Die meisten lustigen Ideen für die nächsten drei Jahre kann man sich so gleich sparen und ist relativ schnell fertig mit dem Verhandeln.“
Allerdings gibt es noch heikles Terrain zwischen FPÖ und ÖVP. Das Bekenntnis zur EU etwa. Oder die Unterstützung Österreichs für die von Russland angegriffene Ukraine. Der Bundespräsident hat Kickl am Montag zudem noch die Freiheit der Medien ans Herz gelegt. Genau ansehen wird man sich auch müssen, wie eine blau-schwarze Regierung das Justizministerium besetzt und was dort geplant ist.
Das Schreckgespenst Orbánistan
Tritt hier einfach nur eine rechtskonservative Regierung an? Oder gibt es Grund zur Sorge, Kickl werde Österreich nach ungarischem Vorbild umbauen – in eine antidemokratische, nationalistische „Festung“ am ideologischen Rande Europas? Kritische Beobachter befürchten eine Zeitenwende. Der frühere ÖVP-EU-Kommissar Franz Fischler sagte im Interview mit dem „Standard“: „Ich schließe nicht aus, dass wir irgendwann in den Geschichtsbüchern lesen werden, dass der Beginn des Jahres 2025 der Beginn der Dritten Republik in Österreich war. Mit Blau-Schwarz könnte sie beginnen.“
Publizist Paul Lendvai schrieb ebendort von „Steigbügelhaltern“, die bereit seien, „dem blauen Sieger bei der Abschaffung des verhassten ,Systems‘, der liberalen Demokratie, zu helfen.“ Die Details des FPÖ-ÖVP-Regierungsprogramms werden erst ausgearbeitet. Fix ist aber schon jetzt: Herbert Kickl, der „empörte Mann aus Kärnten“, wird alles daransetzen, Österreich nachhaltig zu verändern.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.01+02/2025 erschienen.