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Die Mächtigen

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Obwohl der Handlungsbedarf enorm wäre – Stichwort Staatsverschuldung, um nur eines zu nennen – ist bei den Regierungsverhandlungen kein rascher Fortschritt zu erwarten. Nicht nur, weil die Ausgangslage nach der Wahl schwierig ist, sondern auch, weil dabei auf die Befindlichkeiten der einflussreichen Landeshauptleute Rücksicht genommen wird. Die Folge: Stillstand wegen Dauerwahlkampfs

Nach der Landtagswahl in Vorarl­berg gab es ein kurzes Durchatmen. Die ÖVP verlor nicht so stark wie befürchtet und bleibt auf Platz eins. Aber die starken Zugewinne der FPÖ – plus 14 Prozentpunkte – zeigen, dass die tektonischen Verschiebungen in Österreichs Innenpolitik bis ins ferne Ländle reichen. Niederösterreich, Salzburg, Vorarlberg: überall schossen die blauen Balken bei den Landtagswahlen in die Höhe. Eine Bedrohung für die traditionellen Machtbastionen der ehemaligen Großparteien ÖVP und SPÖ.

Daher ist nun Fingerspitzengefühl gefragt. Ein Indiz dafür, dass die Bundes- den Länderinteressen folgen müssen, gab es bereits vergangene Woche: Nicht einmal die von Bundespräsident Alexander Van der Bellen angeordneten Mediationsgespräche zwischen den Parteichefs Herbert Kickl, Karl Nehammer und Andreas Babler sollten vor der Vorarlberg-Wahl stattfinden. Nur ja nicht dazwischenfunken, wenn es im seit 1945 durchgehend schwarz regierten Bundesland für die ÖVP Spitz auf Knopf steht.

Egal, wie groß die Herausforderungen im Bund eigentlich wären, es gibt bei ÖVP und SPÖ immer einen besorgten Seitenblick Richtung Bundesländer. Denn dort sitzen die eigentlich Mächtigen der beiden Parteien. Denen es mehr oder weniger egal ist, „wer unter ihnen Kanzler ist“, wie gerne kalauert wird. Und die „ihren“ Mitgliedern der Bundesregierung mal öffentlich, mal diskret ausrichten, was sie für richtig halten.

Und das könnte auch bewirken, dass in den nächsten fünf Wochen nicht mit großen Fortschritten bei den Regierungsverhandlungen zu rechnen ist. Denn am

24. November ist Landtagswahl in der Steiermark. Und danach stehen im Jänner schon die Landtagswahl im Burgenland, die Gemeinderatswahlen in Niederösterreich und im Herbst 2025 die für die SPÖ wichtige Wahl in Wien an. Irgendwo ist, gemäß der österreichischen Verfasstheit, immer Wahl, und damit ein Grund für Stillstand oder Rücksichtnahme gegeben.

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Machtverhältnisse: Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner gibt in der ÖVP den Ton an. Der heutige Bundesparteichef Karl Nehammer war von 2013 bis 2015 als „Abteilungsleiter Kommunal“ in der ÖVP-Niederösterreich tätig

 © Foto: ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com

Kampf um die Steiermark

Nun ist es aber erst einmal die Steiermark, die ÖVP und SPÖ nervös macht.Das Bundesland ist ein traditioneller Swing State. Umfragen weisen aus, dass die drei großen Parteien – ÖVP, FPÖ und SPÖ – etwa gleichauf liegen, einige sogar, dass die FPÖ die Nase vorne hat. Das Ergebnis der Nationalratswahl am 29. September zeigt eindeutig, wohin der Trend geht: Kickls FPÖ erreichte in der Steiermark 32,2 Prozent der Stimmen, die ÖVP fiel von rund 39 Prozent auf 27 Prozent zurück.

Der steirische ÖVP-Landeshauptmann Christopher Drexler versucht seit Monaten, die Themen Migration und Sicherheit zu betonen und sich gleichzeitig als „vernünftige“ Alternative zur FPÖ zu positionieren. Die Strategie wurde nach dem schlechten Abschneiden der ÖVP bei der Nationalratswahl noch einmal verschärft: Drexler rief einen „Zweikampf“ zwischen sich und FPÖ-Spitzenkandidat Mario Kunasek aus. Signale aus der Bundespolitik sind da nicht erwünscht.

Denn würde die Bundes-ÖVP in den nächsten Wochen mit der FPÖ in Verhandlungen treten, wäre Drexlers Kurs konterkariert. Zeichnete sich andererseits eine Zusammenarbeit mit der SPÖ ab, könnten empörte FPÖ-Wählerinnen und -Wähler Kunasek zu einem noch besseren Ergebnis verhelfen. Bleibt also eine österreichische Lösung: keine Koalition im Bund, bevor die Wahl in der Steiermark geschlagen ist.

Kritik an der Bundes-SPÖ

Auch der steirische SPÖ-Chef Anton Lang hat sich zuletzt in der „Kleinen Zeitung“ zum Thema Koalition auf Bundesebene zu Wort gemeldet. Er empfiehlt seiner Partei den Gang in die Opposition und kritisiert SPÖ-Chef Andreas Babler. Dessen Zugang zu Vermögens- und Erbschaftssteuer sei „völlig falsch“ gewesen. Man habe zwar die richtigen Themen ausgesucht, diese aber nicht gut kommuniziert. „Und wenn man das jetzt alles mit einer Regierungsbeteiligung aufgibt, dann hat man keinen Pflock eingeschlagen. Dann ist es gescheiter, wenn die SPÖ in Opposition bleibt. Sonst sind wir unglaubwürdig bis zum Sankt Nimmerleinstag.“ Und er meint: „Wenn man die Parteiprogramme von ÖVP und SPÖ übereinanderlegt, gibt es gewaltige Unterschiede.“

Lang sitzt in der Steiermark derzeit noch in einer Koalition mit der ÖVP. Bei der Nationalratswahl kam die SPÖ in der Steiermark auf 18,6 Prozent, in den – allerdings schon weiter zurückliegenden – Umfragen für die Landtagswahl liegt sie bei rund 20 Prozent.

Welchen Nutzen Lang für die anstehende Wahl genau aus seiner Oppositionsansage erwartet? Unklar. Der starke Mann der SPÖ, Michael Ludwig, hat seiner Partei jedenfalls bereits am Wahlabend den Eintritt in Regierungsverhandlungen mit der ÖVP verordnet.

„Die bundespolitische Hintergrundbeleuchtung ist für Landtagswahlen immer von entscheidender Bedeutung,“ brachte Steiermarks ÖVP-Landeshauptmann Drexler im News-Interview Anfang September die Zusammenhänge noch einmal auf den Punkt. Er hoffe, dass Karl Nehammer ein gutes Wahlergebnis bei der Nationalratswahl erreichen werde. Dann aber sei es notwendig, „den Steirerinnen und Steirern klarzumachen, nun geht es um die Steiermark.“

Nun geht es um die Steiermark: Dieser Satz gilt nicht nur den Wählerinnen und Wählern, die doch bitte vom Bundestrend absehen und die aktuelle steirische ÖVP-SPÖ-Landesregierung wiederwählen mögen. Er richtet sich auch an die Bundespolitik. Vor Landtagswahlen, so ein ungeschriebenes Gesetz, passiert im Bund nichts, was den Wahlausgang gefährden könnte. Da aber ständig irgendwo Wahlen stattfinden, werden wichtige und unpopuläre Beschlüsse oft nicht – oder verspätet – gefasst.

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Rote Vorgabe: Der Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig stellte sich zunächst hinter Pamela Rendi-Wagner, dann unterstützte er Andreas Babler. Am Abend der Nationalratswahl gab er die Linie Richtung Koalitions-verhandlungen vor

 © ERWIN SCHERIAU / APA / picturedesk.com

Impfpflicht & Lockdown

Beispiele aus der Vergangenheit: etwa das Zusammenspiel von Bundesregierung und Ländern während der Coronapandemie. Da lehnten Landesfürsten im März 2021 trotz steigender Fallzahlen und überlasteter Intensivstationen schärfere Maßnahmen ab, weil sie ihren Bürgerinnen und Bürgern keinen weiteren Lockdown erklären wollten. Im Frühherbst des gleichen Jahres ging die Bundesregierung wieder zögerlich gegen die mittlerweile vierte Coronawelle vor, weil im September in Oberösterreich Landtagswahlen anstanden und hier die Skepsis gegen die Impfung und Einschränkungen im öffentlichen Leben besonders ausgeprägt war.

Dafür ließen die Landeshauptleute im November die Muskeln spielen und brachten bei einem Treffen mit dem damaligen Bundeskanzler Alexander Schallenberg und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein die Corona-Impfpflicht auf den Weg. Darüber, dass diese keine gute Idee war, sind sich heute alle Verantwortungsträger einig. Das Kalkül der Länderchefs lautete allerdings: Durch die Impfpflicht sei ein weiterer Lockdown auch für Geimpfte besser zu verkaufen. Was für ein Irrtum.

Der frühere Rechnungshofpräsident Franz Fiedler meinte damals im Gespräch mit News: „Es ist ein extremer Nachteil, wenn Partikularinteressen der Länder über die Gesamtverantwortung für den Staat hinausgehen. Man muss sich die Frage stellen: Sind sich die Landeshauptleute ihrer gesamtösterreichischen Verantwortung bewusst?“

Und die heutige Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker mahnte: „Nach der Coronakrise wird darüber zu reden sein, welche Lehren wir für die Zusammenarbeit (zwischen Bund und Ländern, Anm.) im Staat ziehen müssen. Ohne Tabus.“ Passiert ist seither: wenig.

Zwar konnten politisch Interessierte im Vorjahr beobachten, wie sich Bund und Länder bei der Neuverhandlung des Finanzausgleichs, also der Verteilung der Steuereinnahmen, bekriegten. Das Ergebnis dieses Gezerres ist aber vor allem eines nicht: für die Steuerzahlerinnen und -zahler verständlich und transparent. Und die Länder erreichten, dass es keine Sanktionen gibt, wenn vereinbarte Ziele nicht eingehalten werden.

Undurchsichtige Verhältnisse

Jene, die in Sachen Staatsfinanzen den Durchblick haben, also die Experten von Wifo, Zentrum für Verwaltungsforschung und Fiskalrat, sehen im Finanzausgleich 2024 verpasste Chancen. Fiskalratpräsident Christoph Badelt kritisierte bei der Präsentation der knapp 600 Seiten starken Schwarte „Finanzausgleich 2024: Ein Handbuch“ wieder einmal die unübersichtlichen Finanzströme zwischen Bund und Ländern: „Alle haben großen Spaß daran, ihre finanziellen Probleme nach Möglichkeit auf die anderen abzuschieben.“

Eine Reform der Kompetenzverteilung, Zielvorgaben samt Konsequenzen bei Nicht-Erreichen oder die Einführung einer Steuerautonomie der Länder seien einmal mehr verabsäumt worden. Vor allem der letzte Punkt ist den Experten ein Anliegen: Wer Steuergelder selbst einheben darf oder muss, hat auch beim Ausgeben eine andere Haltung. Derzeit werden Steuereinnahmen nach einem bestimmten Schlüssel auf die Gebietskörperschaften aufgeteilt. Das bedeutet auch: Beschließt die Regierung eine Steuererhöhung, um das Bundesbudget zu sanieren, wächst auch das Kuchenstück der Länder automatisch mit.

Apropos Budgetsanierung: Hier könnte man bei den Förderungen Doppelgleisigkeiten beseitigen, meint Margit Schratzenstaller vom Wifo. Allerdings stehen die Wissenschaftler vor weißen Flecken auf der Förderlandkarte, berichtet sie. Während man weiß, wofür der Bund Geld ausgibt, liefern die Länder ihre Förderdaten nicht. Der Schluss liegt nahe: Landeshauptleute wollen sich nicht in die Karten schauen lassen, wen oder was sie fördern. Die Regierungsverhandlungen seien ein gutes Zeitfenster für Reformen, hieß es beim Pressetermin der Wirtschaftswissenschaftler. Doch bei diesen Verhandlungen sitzen die Landeshauptleute zumindest indirekt immer mit am Tisch.

Über die Machtverhältnisse

Wobei nicht jeder Länderboss gleich viel zu sagen hat. In der ÖVP gilt Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner als jene Persönlichkeit, bei der Karl Nehammer spurt. Oberösterreich ist mit Klubobmann August Wöginger stark vertreten. In der SPÖ hat Wiens Bürgermeister Michael Ludwig nach einer Schwächephase rund um die Vorsitzendenkür im Vorjahr die parteiinterne Macht wieder an sich gebracht. Bei den Regierungsverhandlungen sitzt seine Vertraute Doris Bures mit am Tisch.

Zumindest in der SPÖ gibt es auch Landeshauptleute, deren Schicksal der Parteispitze möglicherweise weniger wichtig ist. Hans Peter Doskozil, notorischer Kritiker misslungener roter Kampagnen oder Inhalte, will bei der Landtagswahl am 19. Jänner 2025 die absolute Mehrheit im Burgenland verteidigen. Aber: Andreas Babler und Doskozil werden eher keine Freunde mehr. Schwächelt die SPÖ im Burgenland, würde wohl mancher Roter (im Bund und in Wien) eine gewisse Häme verspüren.

Auch im Burgenland hat die FPÖ mit dem ehemaligen Bundespräsidentschaftskandidaten Norbert Hofer auf Platz eins der Wahlliste große Ziele und träumt vom Ende der roten Macht. Tatsache ist: Die Blauen legen in den Ländern ebenso zu wie auf Bundesebene. Dass die ÖVP in Nieder- und Oberösterreich und Salzburg mit der FPÖ regiert, hat deren Aufschwung bei der Nationalratswahl nicht gebremst – falls das die Hoffnung der Schwarzen war.

Was passiert, wenn Blau gewinnt

Ist es also eine Frage der Zeit, bis Österreich den ersten blauen Landeshauptmann sieht? Und wie würde das das Wechselspiel zwischen Bund und Ländern beeinflussen? Eine schwarz-rote Bundesregierung (sollte es diese geben) nähme wohl bei blau regierten Ländern gleich viel weniger Rücksicht auf deren Befindlichkeiten. Und ein blauer Kanzler würde womöglich über kurz oder lang doch Teil eines von ihm kritisierten „Systems“ in Österreich werden – jenes Systems, das vorsieht, dass Bundespolitiker mit ihren Reformideen zurückstecken, sobald ein Zuruf aus den Ländern kommt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 42/2024 erschienen.

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