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Die Macht der ÖVP

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Die ÖVP hat bei der Nationalratswahl dramatisch verloren, wird aber trotzdem in der nächsten Regierung sitzen. Wie auch in den elf Regierungen davor. Was bedeutet es für eine Partei, wenn sie fast 40 Jahre durchgehend an der Macht ist?

Als das ÖVP-Ergebnis aufscheint, brandet im Festzelt vor der Parteizentrale Jubel auf. Über 26 Prozent, das könnte bedeuten, dass man es doch geschafft und sich gegen die FPÖ durchgesetzt hat. Wenige Sekunden später klettert der FPÖ-Balken auf über 29 Prozent und mit der guten Stimmung ist es schlagartig vorbei. Die bittere Erkenntnis, wenig überraschend und doch schwer zu akzeptieren, sickert langsam: Platz eins ist dahin. Die Volkspartei, mit Sebastian Kurz 2019 noch bei 37,5 Prozent, muss den größten Verlust in der Parteigeschichte hinnehmen.

Und doch wird die ÖVP mit größter Wahrscheinlichkeit der nächsten Regierung angehören, vielleicht sogar wieder den Kanzler stellen. Denn während die SPÖ eine Koalition mit der FPÖ ausschließt, ist die ÖVP prinzipiell zur Zusammenarbeit mit allen Parteien bereit. Was bedeutet: Eine stabile Regierung – egal ob eine blau-türkise oder eine türkis-rot-pinke Koalition – ist nur mit ÖVP-Beteiligung möglich. Seit Jänner 1987 befindet sich die ÖVP durchgehend in Regierungsverantwortung (abgesehen von dem Expertenintermezzo 2019).

Die ÖVP und die Republik Österreich sind eng verklammert.

Dass eine Partei so lange durchgehend (mit-)regiert, ist im europäischen Vergleich absolut unüblich, erklärt der Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik. Die ÖVP führe das Ranking mit großem Abstand an, gefolgt von einer liberalen Partei in Belgien, die seit 2003 in der Regierung sitzt. Fast zwanzig Jahre also, eine lange Zeit. Aber nichts im Vergleich zur ÖVP, die schon fast doppelt so lange Teil der Bundesregierung ist.

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Bittersüße Wahlfeier: Die ÖVP hat bei der Wahl dramatisch verloren- könnte aber trotzdem den nächsten Kanzler stellen

 © Christian Bruna/Getty Images

Vier Jahrzente ÖVP-Minister

Was bedeutet es, wenn eine politische Kraft so lange an der Macht ist?

„Die meisten Leute, die in der Partei aktiv sind, können sich gar nicht mehr an eine Zeit erinnern, in der die ÖVP in Opposition war,“ sagte Ennser-Jedenastik. „Es ist für sie also selbstverständlich, dass sie regieren. Und es bedeutet, dass Teile der öffentlichen Verwaltung nie unter anderer politischer Führung gewesen sind. Bestimmte Ministerien haben in den letzten vier Jahrzehnten nur ÖVP-Minister gesehen.“

Die Organisation der ÖVP – Bünde, Kammern und die starke Verankerung in den Bundesländern – bildet dabei ein dichtes Netz, das die Partei zu einem sehr stabilen Machtfaktor macht. „Die ÖVP war in den letzten Jahren bei Wahlen und in Umfragen schon bei 20 Prozent, sie war aber auch bei 48 Prozent. Es geht also extrem hinauf und hinunter, dahinter steht aber ein System, das extrem viel Stabilität produziert.“

Hauptpriorität: Regierung

Ein System, das auch erhalten werden will. Der ÖVP „Machtbesessenheit“ vorzuwerfen, wie die FPÖ es gerne tut, ist insofern nicht nur polemische Zuspitzung, sondern auch einfach Beschreibung der Parteistruktur.

Normalerweise wollen Parteien dreierlei, sagt Ennser-Jedenastik: Wählerstimmen, Ämter sowie ihre Inhalte umsetzen. Bei der ÖVP gebe es aber eine sehr klare Gewichtung, was an erster Stelle kommt. „Die ÖVP hat immer wieder herbe Wahlniederlagen eingesteckt und sie hat Koalitionen gebildet, die ihr inhaltlich viel abverlangt haben. Was sie dagegen nie gemacht hat, ist zu sagen, wir gehen lieber in Opposition. Das ist für viele Leute in der Partei keine Option.“

Denn aus der Regierung ausscheiden, das würde bedeuten, das gesamte System zu gefährden.

1970 flog die ÖVP über Nacht aus der Alleinregierung und musste in die Opposition wechseln. Es dauerte ganze

17 Jahre, bis sie wieder in Regierungsverantwortung kam. Der, wenn auch nur temporäre, Abschied von der Macht fiel schwer. Denn: Die Volkspartei besteht aus einer vergleichsweise schwachen Bundes- und sehr starken Landesparteien, erklärt Parteienforscher Hubert Sickinger. Letztere seien darauf angewiesen, dass die Bundespartei in der Regierung ist, um Transfers gewährleisten und Klientel bedienen zu können.

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 © Waltl Grafik

Inhaltlicher Einfluss

Auch inhaltlich ist der Einfluss der ÖVP auf die Republik Österreich groß. „In den letzten 30 Jahren sind über 3.000 Gesetze beschlossen worden. Fast hundert Prozent davon mit Zustimmung der ÖVP. So gut wie alles, was in den letzten Jahrzehnten politisch beschlossen wurde, geschah also vielleicht nicht immer auf Betreiben oder Wunsch der ÖVP, aber zumindest mit ihrer Zustimmung,“ sagt Laurenz Ennser-Jedenastik.

Anders ausgedrückt: Überall dort, wo die ÖVP keine Änderungen wünscht – weil es z. B. gegen die Kerninteressen der Länder oder Bünde geht – bleibt alles beim Alten. Für ihre Größe ist die Österreichische Volkspartei damit vergleichsweise mächtig. „Die ÖVP hat auf Policy-Ebene immer mehr durchgesetzt, als es ihrer Stärke entsprochen hätte“, sagt Hubert Sickinger. „Dass dieses Land so ist, wie es ist, hat nicht nur, aber doch viel mit der ÖVP zu tun. Bei progressiven Werten hat sie immer gebremst. Die Misere in der Schulpolitik geht stark aufs Konto der ÖVP. Sie hat auch kein gesteigertes Interesse daran, Doppelgleisigkeiten im Föderalismus zu beseitigen.“

Demokratiepolitisch gesehen, meint Sickinger, wäre ein Rollenwechsel nach jahrzehntelanger Regierungsverantwortung gut. Auch, weil sehr lange Regierungserfahrung die Korruptionsanfälligkeit erhöht. „Ich unterstelle der ÖVP nicht per se, korrupt zu sein. Aber es entsteht eine gewisse Hybris. Länder, in denen kein Machtwechsel stattfindet, sind auch für Parteibuchwirtschaft anfälliger.“

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 40/2024 erschienen.

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