Mehr als eine Million Menschen setzen ein klares Zeichen gegen rechts und die AfD. Es sind Bilder der Hoffnung in unruhigen Zeiten
Die Kulisse ist wahrlich bemerkenswert: 87.000 Menschen. Ein Menschenmeer. Das beeindruckt. Verwundert aber nicht. Schließlich geht es um viel. Um Ruhm. Ehre. Ein üppiges Preisgeld. Netter Nebeneffekt beim Staunen über halsbrecherische Fahrten in Bilderbuchkulisse: ein Gemeinschaftsgefühl, das immer dann entsteht, wenn man ganz nah beieinander und für eine Sache zusammensteht. Kurzum: ein Zustand, den man in unruhigen politischen und wirtschaftlichen Zeiten, wie wir sie gerade erleben, eher selten findet. Aber bei sportlichen Großereignissen wie dem 84. Hahnenkammrennen gelingt das. In schöner Regelmäßigkeit. Verlässlich. Weil es geht ja um etwas. Jedenfalls für Sportbegeisterte. Und natürlich geht es bei diesen Events auch immer um die Macht der Bilder: für die Welt draußen. Für das gute Gefühl nach innen.
Wie wichtig solche Bilder gerade in diesen Tagen und jenseits von Sportereignissen sind, haben ebenfalls am vergangenen Wochenende auf einer anderen Spielwiese in Summe rund 1,4 Millionen Menschen auf deutschen Straßen gezeigt. Westdeutschen wie ostdeutschen Straßen gleichermaßen. Spontan mobilisiert - und viel zahlreicher als erhofft - protestierten die Menschen zu Tausenden von München bis Leipzig, um ihre Sorge vor einem immer stärker werdenden Rechtsruck mit Blick auf die steigenden Umfragewerte der AfD und den von der Partei verbreiteten Hass kundzutun. Ausgelöst haben die Proteste Recherchen über ein Treffen von Rechtsextremisten, AfD-Politikern, Unternehmern, einzelnen Mitgliedern der CDU und der sehr konservativen Werteunion und dem führenden Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung, dem Österreicher Martin Sellner. Also jene Bewegung, die FPÖ-Chef Herbert Kickl gerne und ungeniert als "unterstützenswerte NGO" bezeichnet. Bei dem Treffen im November des Vorjahres in einer Potsdamer Villa standen unter der Federführung von Sellner "Remigrations"-Pläne zur Diskussion. Ein Vorhaben, das der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, dessen Landesverband vom deutschen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wurde, bereits 2018 in einem von ihm geschriebenen Buch beschwört. Er spricht hier von einem Remigrationsprojekt, das nur "mit Gewalt" zu schaffen sei und für das es eine " Politik der wohltemperierten Grausamkeit" brauche.
Im Scheinwerferlicht dieser neuen und alten Gedanken ist das, was gerade auf Deutschlands Straßen passiert, mehr als ein Hoffnungsschimmer. Es ist eine klare Grenzziehung gegenüber Rechtsextremismus. Es ist ein wichtiger Baustein in der Brandmauer zur AfD. Es ist ein Momentum. Ein Bedürfnis vieler. Jedenfalls der viel zitierten schweigenden Mehrheit. Nicht mehr und nicht weniger. Es sind mächtige Bilder. Bilder, die zeigen, dass es auch ein anderes Deutschland gibt. Es sind berührende Bilder. Bilder, die Ängste nehmen und Mut machen. Eben weil mehr als eine Million Menschen das alles nicht einfach achselzuckend zur Kenntnis nehmen, sondern ein Zeichen setzen. Jetzt. Gerade jetzt.
Das kann man einfach mal so stehen lassen. Ohne es allzu schönzureden. Ohne zu viele Hoffnungen damit zu verbinden. Ohne es kleinzureden - und ohne die prompte Begleitmusik, dass das eh nichts bringt, weil die Demonstrationen allein die politischen Verhältnisse nicht ändern.
Es sind gerade gute Tage für Deutschland. Tage, die als Vorbild taugen. Auch für die noch schweigende Mehrheit der Zivilgesellschaft in Österreich.
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