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"Desinformations-Tsunami" von Lawrow bei OSZE-Treffen

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Russlands Außenminister hatte dem Westen einiges mitzuteilen
©APA/APA/AFP/ALBERTO PIZZOLI
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Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat beim OSZE-Ministerrat scharfe Attacken gegen den Westen und das "Nazi-Regime in Kiew" geritten. Die Prinzipien der Helsinki-Schlussakte seien für die NATO "nur leere Worte", sagte er am Donnerstag bei der Tagung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auf Malta. Mehrere Außenminister verurteilten Lawrows Tirade, US-Chefdiplomat Antony Blinken sprach von einem "Desinformations-Tsunami".

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Lawrow beklagte in seiner Rede einen neuen Kalten Krieg, der sich in einen "heißen" verwandeln könne und zog eine vernichtende Bilanz über die OSZE, die aus seiner Sicht "in keinem Bereich mehr eine sinnvolle Rolle" spiele. Zugleich zählte er auf, worum sich die Organisation kümmern sollte: Den "Rassismus" der ukrainischen Regierung, die Aufklärung der Explosionen an der Nord-Stream-Pipeline oder die Vorgänge im Kiewer Vorort Butscha, wo im April 2022 "Leichen sorgfältig ausgelegt wurden und Journalisten auf dem Tablett serviert wurden".

Diese offenkundige Leugnung des russischen Massakers an der dortigen Zivilbevölkerung sorgte unter anderem bei Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) für Empörung. Er wich in seinem Beitrag vom vorbereiteten Text ab, um Lawrows Aussagen "über die barbarischen Taten der russischen Truppen in Butscha und anderen Orten der Ukraine" scharf zurückzuweisen. Seine deutsche Kollegin Annalena Baerbock sprach von "unerträglichen Lügen" Lawrows. "Sie können sich selbst etwas vormachen, aber uns, den 1,3 Milliarden Menschen (im OSZE-Raum) können Sie nichts vormachen", sagte sie nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa.

Lawrow warf den westlichen Staaten vor, die menschen- und völkerrechtlichen Prinzipien der während des Kalten Krieges in Helsinki unterzeichneten Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa "selektiv" anzuwenden, um ihre Hegemonie in Europa, aber auch dem Indopazifik auszudehnen. So warf er der NATO auch vor, mit ihren Luftangriffen auf Serbien im Jahr 1999 "einen mitteleuropäischen Staat zum Zerfall gebracht zu haben". Dass die Angriffe mehrere Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens erfolgten und eine Reaktion auf die Vertreibung der albanischen Bevölkerung im Kosovo waren, erwähnte der russische Chefdiplomat nicht.

Blinken wies die Aussagen seines russischen Amtskollegen scharf zurück. Man solle sich durch den "Desinformations-Tsunami" nicht täuschen lassen, dass es Russland nicht um die eigene Sicherheit gehe, sondern es ein imperiales Projekt verfolge, "um die Ukraine von der Landkarte zu löschen". So habe Machthaber Wladimir Putin schon im Jahr 2014 gesagt, dass das ukrainische Volk "Teil des russischen Volkes" sei. 2021 habe er die Ukraine als "künstlichen Staat" gebrandmarkt, der eines Tages mit Mutter Russland vereint sein werde. Die USA würden die Prinzipien von Helsinki verteidigen und auch die freie Wahl der Ukrainer in Bezug auf ihre Zukunft.

Bereits vor Blinken hatte als erster Redner des Plenums der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha das Wort ergriffen. Ohne ihn namentlich zu erwähnen, bezeichnete er Lawrow als "Kriegsverbrecher". Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski äußerte schon vor dem Treffen die Erwartung, dass Lawrow seinen Beitrag zur Verbreitung von "Lügen" nützen werde. Mehrere Chefdiplomaten, darunter Sybiha, verließen während der Rede aus Protest den Saal.

Für Lawrow ist es der erste Besuch eines EU-Staates seit Beginn des russischen Aggressionskrieges in der Ukraine vor fast drei Jahren. Seine Einreise war umstritten, weil er mit EU-Sanktionen belegt ist. Vor zwei Jahren erteilte ihm der damalige polnische OSZE-Vorsitz kein Visum. Im Vorjahr kam er zum Treffen nach Nordmazedonien. Mit dabei war damals auch seine Sprecherin Maria Sacharowa, der nun aber die Einreise verweigert wurde, dem Vernehmen nach, weil die Schengen-Staaten kein Einvernehmen über die Aufhebung des geltenden Einreiseverbots erzielen konnten.

Schallenberg wies Kritik an der Teilnahme Lawrows zurück. Es gebe zwar große Auffassungsunterschiede in Europa, "aber es ist notwendig, dass irgendeine Form von Dialog, irgendeine Plattform weiterhin da ist, wo alle zusammenkommen", sagte er vor österreichischen Journalisten. Bei der Tagung werde vermehrt "Tag danach" in der Ukraine und die mögliche Rolle der OSZE gesprochen, berichtete er. "2025 wird ein spannendes Jahr, ein Jahr der Änderungen."

In seiner Rede legte Schallenberg ein klares Bekenntnis zur OSZE ab. "Je herausfordernder die geopolitische Landschaft, je schwieriger der Dialog mit anderen - umso wichtiger wird unsere Organisation." Angesichts des seit Jahren fehlenden Konsenses in zentralen Fragen wie dem Budget habe die OSZE "bemerkenswerte Resilienz" gezeigt und könne auch nach dem Krieg eine wichtige Rolle in der Ukraine spielen. Man dürfe sich "nie an diese himmelschreiende Verletzung der Schlussakte von Helsinki und der UNO-Charta gewöhnen. Dieser Krieg muss enden - sofort!", forderte Schallenberg einen "umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden" für die Ukraine.

Der amtierende OSZE-Vorsitzende Ian Borg bekräftigte zum Auftakt des zweitägigen Treffens die Forderung nach einem sofortigen Ende der russischen Aggression. Der maltesische Außenminister kam trotz der tiefen Divergenzen zwischen 57 Staaten nicht mit leeren Händen. So konnte im Vorfeld eine Einigung über die seit September vakanten OSZE-Topjobs erzielt werden, die am Freitag abgesegnet werden sollte. Der türkische Ex-Außenminister Feridun Sinirlioğlu soll neuer OSZE-Generalsekretär werden, die griechische Spitzendiplomatin Maria Telalian Chefin des Büros für Demokratie und Menschenrechte (ODIHR), der niederländische OSZE-Botschafter Christophe Kamp OSZE-Hochkommissar für nationale Minderheiten und der Norweger Jan Braathu OSZE-Medienbeauftragter.

Borg wird den Vorsitz am Freitag an seine finnische Amtskollegin Elina Valtonen übergeben. Das nächste Jahrestreffen nicht wie üblich im Vorsitzland Finnland stattfinden, sondern am OSZE-Stammsitz Wien. Valtonen dankte Österreich in einem APA-Interview für die Übernahme der Gastgeberrolle. Schallenberg äußerte in seinem Redebeitrag Vorfreude, seine Amtskollegen Ende 2025 in Wien begrüßen zu können.

Schallenberg traf am Rande des OSZE-Ministerrates erstmals mit der neuen EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas zusammen. Er führte auch bilaterale Gespräche mit seinen Kollegen aus Israel (Gideon Saar), Kasachstan (Murat Nurtleu), Armenien (Ararat Mirsojan) und seiner Kollegin aus Georgien (Maka Botschorischwili). Mit Nurtleu vereinbarte Schallenberg am Mittwochabend ein Rückübernahmeabkommen für Migranten ohne Bleiberecht.

TA'QALI - MALTA: FOTO: APA/APA/AFP/ALBERTO PIZZOLI

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