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Eine nichtige Debatte und ein schmerzender Verlust

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Heinz Sichrovsky

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Das Nicht-Thema des Genderns verschiebt notwendige Debatten in den Bereich des Kabarettistischen. Die Nachricht vom Tod des großen Burgtheaterdirektors Achim Benning rückt die Prioritäten zurecht

Ein barmherziger grippaler Infekt hat mich am vergangenen Dienstag davor bewahrt, unwiderruflich zum Prinzen Eugen der Anti-Gender-Bewegung, zum Oberbefehlshaber des Entsatzheers gegen die Suffragettenbelagerung nobilitiert zu werden. Wo mir doch - Ehrenwort - nichts ferner liegt! Jedenfalls sollte ich (der Wortkünstler Michael Dangl hat mich brillant vertreten) im neuen ORF-III-Format "Streitzeit" abermals auf die Gefahren professionell mangelhaft unterfütterter Sprachbehandlung verweisen. Allerdings hätte ich auch dort nichts anderes vorbringen können als eine Woche davor, da ich mit der fein argumentierenden Germanistin Susanne Hochreiter beim illustren Kollegen Armin Wolf im wahrgenommensten Informationsformat des ORF antreten durfte: Die Diskussion wie ihr Gegenstand sind grotesk überschätzt. Eine Nichtigkeit, die an linguistisches Klimakleben erinnert: nützt niemandem, bringt die Mehrheit gegen bedeutende Anliegen auf und verlagert die Gleichstellungsdebatte ins freiwillig oder unfreiwillig Kabarettistische.

Deshalb vergönne ich zwar jedem von Herzen, im persönlichen Sprachgebrauch beliebig viele der 72 nachgewiesenen Geschlechter abzubilden. Was allerdings den Amtsverkehr betrifft, neige ich dazu, dem Kanzler und sogar der niederösterreichischen Schandkoalition beizupflichten. Auch unerfreulichen Erscheinungen ist ja ein lichter Moment zuzubilligen (und vice versa darf dem lichten Moment daraus kein Nachteil erwachsen). Und nach meinem Verständnis richtet sich ein amtliches Schriftstück an jeden Bezugsberechtigten, auch an den steigenden Anteil funktionaler Analphabeten hiesiger oder auswärtiger Herkunft. Sie nun im Namen der Inklusion mit Demütigungs-Emojis in der Gestalt irregeleiteter Doppelpunkte und Sterne zu verwirren, ihnen damit jegliche Hoffnung auf das Erfassen des Mitgeteilten zu nehmen: Das ist ein Vorgang von schwer übertrefflichem Zynismus.

Im journalistischen Gebrauch kann ich von derlei Praktiken nur unverbindlich abraten: Die Sprache ist eine empfindliche Pflanze. Wer sich hier einerseits über Kanzlerverordnungen erregt, andererseits auf dem Verordnungsweg selber primitive ideologische Pflöcke in die Sprache einschlagen will: Der liefert uns hoffnungslos der Künstlichen Intelligenz aus, die alle diesbezüglichen Anforderungen leicht übererfüllen kann. Aber an Rhythmus, Farbe, Ironie und Doppelsinn wird der Blechtrottel noch eine Zeitlang verzweifeln. Das ist unsere Chance.

Die Folgen meiner diesbezüglichen öffentlich-rechtlichen Einlassungen waren jedenfalls betörend: Einen Tag lang konnte ich mich der Zuschriften und Passantenumhalsungen nicht erwehren, und drei Universitätsprofessoren der höchsten Namhaftigkeitskategorie haben mir schmeichelhaft versichert, sich in der ZiB2 seit Otto Waalkes' Offensive gegen Ingrid Thurnhers Knie nicht mehr so amüsiert zu haben. Andere haben sich aufgeregt. So habe ich es gern.

Da sitze ich, eine halbe Stunde vor Redaktionsschluss, über der Aufarbeitung von Unerheblichkeiten. Und in dieser Minute erreicht mich eine Nachricht von höchster Erheblichkeit: Achim Benning ist gestorben, Schauspieler, Regisseur und als Burgtheaterdirektor der Jahre 1976 bis 1986 eine Lichtgestalt von aufklärerischem Gardeformat. Wie sein schandbar unterschätzter Vorgänger Gerhard Klingenberg hat er das Haus gegen Sumperproteste ins 20. Jahrhundert geführt. Klingenberg hat Peymann, Strehler, Ronconi und Barrault geholt, unter Benning folgten Dorn, Neuenfels und Peter Palitzsch. Sein Atout war das singuläre Ensemble mit Michael Heltau, Erika Pluhar, Gertraud Jesserer, Fritz Muliar, Joachim Bissmeier, Franz Morak und allen, die im Schrecken vergessen zu haben ich mich entschuldige. Ein großer, unterschätzter Regisseur war er auch. Ich weiß nicht, wann ich Schnitzler in vergleichbarem Originalton gehört hätte, und dass er diesen Zauberklang auf Tschechow übertragen konnte, ist eines der Wunder seiner Direktion. Er hat Elias Canetti mit dem Land, das ihn vertrieben hatte, versöhnt. Und als Vaclav Havel daheim drangsaliert und eingesperrt wurde, war das Burgtheater seine künstlerische und moralische Raumstation. Man hat Benning dann ungerecht gegen den großen Nachfolger Claus Peymann ausgespielt: Schnell wird man hier vom Feind zum Idol, wenn damit jemand anderer geärgert werden kann.

Mir wurde von seiner Seite die Ehre einer späten Freundschaft zuteil. Im Dezember hatte ich ihn, den Verschwiegenen, zu einem Interview schon halb überredet. Jetzt bleibt mir die Erinnerung an seine klare, noble, zuinnerst ermutigende Eloquenz im Angesicht des körperlichen Verfalls. Dafür danke ich ihm.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at

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