Es gibt glückliche Paare, denen man nie im Leben zutrauen würde, was jetzt kommt. Es geschieht wirklich gar nicht so selten, dass mir in Einzelgesprächen Eheleute ein lebenslang gehütetes Geheimnis verraten
Zum Beispiel Magda: Sie ist seit über 30 Jahren glücklich mit Ehemann Ronny. Sie haben alles, was man sich so vorstellt. Haus mit Pool, Kinder und Enkelkinder. Den Garten und den Hund nicht zu vergessen. Aber Ronny hütet ein Geheimnis, das er mir in den getrennt voneinander geführten Gesprächen einer Paartherapie folgendermaßen erklärt: „Eigentlich war Magda nie meine große Liebe, sondern Victoria. Und das ist so seit meiner Jugend.“ Treffen wolle er seine „wahre Liebe“ zwar. Aber Victoria ihn nicht, aus Angst, die unterdrückten Gefühle könnten als Tsunami alles mühsam Aufgebaute zertrümmern. Auch Victoria ist verheiratet.
Anders verhält es sich bei Hannes und Anita. Er hatte eine Außenbeziehung mit Sonja, die offiziell endete, aber heimlich weitergeht, seit Anita dahinterkam. Hannes entschied sich wegen Haus und Garten, aber auch, um nicht den Kontakt zu den Kindern zu verlieren, für die Ehe mit Anita. Hannes und Ronny haben ein Phantom der großen wahren Liebe im Kopf, während sie ihr Leben mit anderen weiterführen. Aber ist es nur ein Traum und phantomhaft, oder existiert die große, einzig wahre Liebe wirklich?
Und jetzt die Vorteile der vielleicht nicht ganz so großen, aber vielleicht umso wahrhaftigeren Liebe:
Realismus
Sie gehen realistischer an Ihre Beziehung heran. Das bedeutet auch, dass Sie nicht dauerhaft unter exzessiven Glückshormonausschüttungen stehen. Bei jemandem, mit dem Sie nicht Ihren Alltag teilen, ist es einfacher, sich die prickelnde Anziehung schon durch die Faktoren der Unerreichbarkeit, des Verbotenen und der Verlustangst, Ihr etabliertes Leben zu verspielen, zu erhalten. In Ihrer Dauerbeziehung geht zwar die Idealisierung zurück, aber fällt im Alltag vieles leichter.
Slow-Love-Prinzip
Mit seiner Jugendliebe Victoria, die er die „Liebe seines Lebens“ nennt, wäre Ronny seinem eigenen Dafürhalten nach nicht glücklich geworden. Denn: Es sei „von allem viel zu viel“ gewesen. Das Liebesleben zu viel, dann seine Eifersucht und jede Menge Konflikte. Mit Magda gehe es nach dem Slow-Love-Prinzip einer unaufgeregten, aber bedingungslosen Wertschätzung zwar ruhiger und wohl auch weniger leidenschaftlich zu. Ronny bereut aber nicht die Entscheidung für Magda, die auch als Mutter und Ehefrau großartig sei.
Betroffene bekennen an der Stelle oft, gar nicht zu wissen, warum sie denjenigen oder diejenige geheiratet hätten. Und oftmals eben nicht aus romantischer Liebe, sondern weil „es sich so ergeben“ oder „weil es sich gerade richtig angefühlt“ habe. Moment mal. Was haben wir da soeben gesagt? Ist es dann nicht vielleicht andersherum und die zuletzt genannten Empfindungen sind die Indikatoren der wahren großen Liebe. Was meinen Sie?