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Das große Budgetloch

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Die Regierungsverhandler von ÖVP, SPÖ und NEOS ringen mit einem historischen Budgetdefizit. Fiskalratspräsident Christoph Badelt erklärt, wie es zu dem Milliardenloch kam, was jetzt auf dem Spiel steht und wie wir da wieder herauskommen

Wie groß ist das Budgetloch eigentlich?

Gar nicht so einfach zu beantworten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit könne man sagen, wie hoch der Konsolidierungsbedarf ist, den die EU jetzt von Österreich verlangt, erklärt Fiskalratspräsident Christoph Badelt. „Es gibt zwei Möglichkeiten: Mit einem Defizitverfahren liegt der Konsolidierungsbedarf bei insgesamt 8,9 Milliarden Euro für die Jahre 2025 bis 2028, davon im ersten Jahr 3,1 Milliarden. Wenn man nicht in dieses Verfahren geht, ist der Konsolidierungsbedarf um einiges höher, nämlich 15,8 Milliarden über die vier Jahre und allein im ersten Jahr 6,3 Milliarden.“

Bei diesen beiden Zahlen – 3,1 bzw. 6,3 Milliarden Euro für das Jahr 2025 – landet man also, wenn man Budgetloch als jenen Betrag definiert, den Österreich wegen der EU-Fiskalregeln konsolidieren muss, sagt Badelt. „Wenn Sie aber über das reden, was ökonomisch sinnvoll wäre, dann müsste der Betrag noch viel höher sein. Weil Sie ja, selbst wenn sie die EU-Fiskalregeln erfüllen, noch keinen Euro für irgendein Konjunktur- oder Zukunftsprogramm gewonnen haben. Wenn Sie auch da etwas tun wollen – womit zu rechnen ist –, müssen Sie noch mehr Geld finden.“

Faktum ist jedenfalls: Der Finanzierungshaushalt des Bundes weist laut Budgetdienst des Parlaments von Jänner bis September des Jahres 2024 einen Nettofinanzierungsbedarf von 15,4 Milliarden Euro auf. Zwar nahmen sowohl Ausgaben als auch Einnahmen gegenüber 2023 zu – erstere aber eben deutlich stärker als letztere. Als Gründe dafür nennt der Budgetdienst die steigenden Pensionsausgaben, den neuen Finanzausgleich, den höheren Personalaufwand sowie Mittelaufstockungen in Bereichen wie Klima und Sicherheit. Einnahmenseitig weisen insbesonders das Umsatzsteueraufkommen und den Immobiliensektor betreffende Abgaben eine schwache Entwicklung auf.

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Österreichs Budgetzahlen

Der Weg ins Defizit. Die Krisen der letzten Jahre schlagen sich nieder. 2018 budgetierte Österreich noch mit einem leichten Überschuss. Dann kamen Corona und die Energiekrise, der russische Angriffskrieg in der Ukraine erforderte höhere Militärausgaben und auch Klimamaßnahmen schlugen zu Buche. Parallel dazu wurden Maßnahmen beschlossen, die zu einer Verringerung der Einnahmen führten. Mit dem Ergebnis, dass das Budgetdefizit – also die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben – heuer über den von der Europäischen Union erlaubten drei Prozent liegen wird.

Warum sind die Zahlen so unterschiedlich?

Seit Monaten sorgen unterschiedliche Prognosen über die Höhe des Budgetdefizits 2024 für Verwirrung. Bereits im April warnte Badelt, dass der Fiskalrat für 2024 mit einem Budgetdefizit von 3,4 Prozent des (BIP) rechne. Finanzminister Brunner verwies damals auf Berechnungen, die ein Defizit zwischen 2,5 und 2,9 Prozent annahmen. Die Warnungen der Wirtschaftsforscher wurden im Verlauf des Jahres immer dringlicher, während die Politik kalmierte.

Ein halbes Jahr später gehen die Schätzungen – auf höherem Niveau – immer noch weit auseinander. Das Finanzministerium rechnete zuletzt mit 3,3 Prozent, der Fiskalrat mit 3,9 Prozent; die EU-Kommission lag mit 3,6 Prozent dazwischen. Der Budgetdienst des Parlaments betrachtet die Zahlen von Ministerium und Fiskalrats als „Untergrenze bzw. Obergrenze“. Badelt erklärte vor einigen Wochen bei einer Pressekonferenz, der Fiskalrat „glaube die Werte des Finanzministeriums nicht“. Wie das sein kann?

„Ich sage nicht, dass das Ministerium nicht ordentlich arbeitet. Aber wir sind davon überzeugt, dass unsere Schätzungen richtig sind, weil wir realistischere Annahmen machen. Unter anderem unterstellen wir, dass die Bundesländer keinen positiven Beitrag zu unserem Budget-Saldo bringen. Wobei man dazu sagen muss, dass wir nicht im Detail wissen, wie der letzte Wert, den das Ministerium nach Brüssel geschickt hat, berechnet wurde.“

Arbeiten im Finanzministerium einfach viele Optimisten oder gab es kurz vor der Nationalratswahl ein handfestes Interesse daran, nicht allzu negative Prognosen veröffentlichen zu müssen? „Diese Frage könnte ich nur durch Spekulationen beantworten.“

Glaube die Werte des Finanzministeriums nicht.

Christoph BadeltWirtschaftswissenschafter

Wer ist an dieser Entwicklung schuld?

„Es ist zweifellos so, dass dieses Budgetdefizit durch das Verhalten der Regierung, die jetzt noch verwaltungsmäßig im Amt ist, verursacht worden ist. Vor den Krisen hatten wir ein ausgeglichenes Budget“, sagt Badelt. „Eine andere Frage ist, wie man dieses Budgetdefizit bewertet. Faktum ist, dass sehr viele Ausgaben zur Krisenbewältigung getätigt wurden. Faktum ist aber auch, dass gleichzeitig Steuern reduziert wurden und durch die Abschaffung der kalten Progression eine Dynamik der Einnahmenseite herausgenommen wurde. Das passt schlussendlich nicht zusammen.“

Könnte man argumentieren, dass auch Vorgängerregierungen mitverantwortlich sind, weil sie es verabsäumt haben, rechtzeitig Reformen vorzunehmen? „Das ist schon fast eine philosophische Frage, weil Sie dann sehr viele Vorgängerregierungen in die Verantwortung nehmen müssten“, sagt Badelt. „Aber eines ist schon richtig, und das kann ich auch durch meine früheren Funktionen –u. a. als WIFO-Chef – bestätigen: Es wurden schon seit vielen Jahren von Ökonomen zahlreiche Grundsatzreformen einverlangt. Im Föderalismus, bei den Subventionen, bei den klimaschädlichen Förderungen, bei den Pensionen. Und es ist nie etwas passiert.“

Es wurden schon seit vielen Jahren von Ökonomen zahlreiche Grundsatzreformen einverlangt. Im Föderalismus, bei den Subventionen, bei den klimaschädlichen Förderungen, bei den Pensionen. Und es ist nie etwas passiert.

Christoph BadeltWirtschaftswissenschafter

Was passiert, wenn nichts passiert?

Die Einhaltung der Fiskalregeln ist eine rechtliche Verpflichtung gegenüber der Europäischen Union. „Man weiß aber nicht genau, wie heiß das wirklich gegessen wird, wenn man gegen diese Verpflichtung verstößt“, erklärt Badelt. „Es hat noch selten Strafzahlungen gegeben, aber es wäre eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts.“

Andererseits, schlittert Österreich in die Pleite, wenn nicht entschlossen gehandelt wird? „Es ist nicht so, dass die Staatspleite vor der Tür steht“, sagt Badelt. „Was aber schon passieren könnte: Je größer unser Defizit ist und je weniger wir in der Öffentlichkeit klar machen, dass es einen Pfad zur Sanierung gibt, desto schlechter werden wir am Kapitalmarkt beurteilt und desto höhere Zinsen muss die Republik bezahlen. Das sind die Effekte, um die es ökonomisch eigentlich geht.“

Wie saniert man einen Staatshaushalt?

Eine Frage, die derzeit die Regierungsverhandler intensiv beschäftigt, ist jene nach der genauen Ausgestaltung der Budgetsanierung. Ganz grundsätzlich: Es gibt Maßnahmen, die sehr unterschiedlich schnell wirken und sehr unterschiedliche Beträge bringen, erklärt Christoph Badelt. „Wenn Sie eine Steuer­erhöhung durchführen, wirkt die im Allgemeinen sofort. Wenn die Regierung aber erst zum Beispiel im März zu arbeiten beginnt, kann sie frühestens im ­April erste Gesetze beschließen, die dann bestenfalls zur Jahresmitte effektiv werden. Bei den Ausgabenblöcken ist es ähnlich: Sie können versuchen, irgendwelche großen Blöcke herzunehmen und da gleich zwei Milliarden finden, oder sie gehen viele kleine Schritte und durchforsten jedes Ressort. Oder sie machen beides gleichzeitig. Aber zunächst, würde ich sagen, braucht es eine politische Einigung über die Mischung zwischen Einnahmen und Ausgaben.“

Empirisch gesehen sei es so, dass Budgetsanierungen, die von der Ausgabenseite her erfolgen, nachhaltiger sind als solche, die von der Einnahmenseite her erfolgen, erklärt Badelt. „Weil man sich an höhere Einnahmen sehr rasch gewöhnt und dann munter das Geld ausgibt. Die andere Seite ist aber, wie viel man auf der Ausgabenseite politisch verantworten kann, weil man das Geld ja irgendwem wegnimmt.“

Wo konkret setzt man den Sparstift an? Die Gretchenfrage bei allen Konsolidierungsprozessen. Und eine Frage der politischen Aushandlung. Das linke Moment-Institut hat zum Beispiel einen Plan für ein Sparpaket vorgelegt, bei dem eine allgemeine Vermögensteuer mit Einnahmen von 5,6 Milliarden Euro den größten Posten darstellt. Der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Aus­tria wiederum schlägt eine Einsparungsliste vor, die ausschließlich bei den Staatsausgaben ansetzt und u. a. eine Anhebung des Pensionsantrittsalters auf 67 Jahre vorsieht.

Man fragt sich, wie schlecht es den Staatsfinanzen gehen muss, damit man die innere Kraft ent­wickelt, diese Reformen anzugehen.

Christoph BadeltWirtschaftswissenschafter

Wie verhindert man so eine Situation künftig?

In Deutschland wird gerade über eine Reform der Schuldenbremse diskutiert. Auch in Österreich gibt es so ein Instrument. „Das wissen aber die wenigsten Leute, weil sie einfach nur gesetzlichen Charakter hat und immer außer Kraft gesetzt wurde. Ich bin auch kein großer Anhänger davon.“

Wo Badelt dagegen Reformpotenzial sieht: „Ich bin überzeugt, dass wir mit Änderungen im föderalen System – indem wir die Verantwortung für die Einnahmen und für die Ausgaben mehr zusammenführen – Anreize setzen würden, sparsamer zu sein.“ Sprich, die Bundesländer geben nicht nur Geld aus, sondern heben es dann auch ein. Ein System, das es in anderen Ländern bereits gibt. In Österreich, räumt Badelt ein, würde es eine Revolution bedeuten. „Man fragt sich, wie schlecht es den Staatsfinanzen gehen muss, damit man die innere Kraft ent­wickelt, diese Reformen anzugehen.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 50/2024 erschienen.

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