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Dalai Lama mit neuem Buch: "Eine Stimme für die Entrechteten"

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Dalai Lama berichtet über schwierige Verhandlungen mit China
©APA/APA/AFP/MOHD ARHAAN ARCHER
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Es klingt wie eine Prophezeiung und eine Mahnung zugleich. Sein Nachfolger werde heute in der "freien Welt" geboren, schreibt der bald 90-jährige Dalai Lama in seinem neuen Buch "Eine Stimme für die Entrechteten" mit Blick auf China. In dem Buch betont das geistliche Oberhaupt Tibets, dass der Kampf um die eigene Handlungsmacht und Selbstverwaltung und letztlich um die Freiheit des tibetischen Volks weitergehen werde - ob mit ihm oder ohne ihn.

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Das Buch erscheine anlässlich des 75. Jahrestags der Invasion Tibets durch China, teilte der Herausgeber mit. Der 14. Dalai Lama beschreibt darin aus persönlicher Sicht die schwierigen Verhandlungen mit China über die Zukunft der Tibeter in den mehr als sieben Jahrzehnten seit dem Einmarsch der chinesischen Volksarmee im Oktober 1950.

Der Dalai Lama selbst lebt seit seiner Flucht ins Exil im Jahr 1959 als staatenloser Tibeter in Indien, das er als seine zweite Heimat bezeichnet. Den unmittelbaren Anstoß zu seiner Flucht hätten die Spannungen gegeben, die sich in der tibetischen Hauptstadt Lhasa aufgebaut und die am 10. März 1959 in einen Volksaufstand gemündet hätten, schreibt er. Seine Heimat sah der Dalai Lama bis heute nicht wieder.

Seine politische Führungsrolle hat der Sohn einer Bauernfamilie, dessen buddhistischer Mönchsname Tenzin Gyatso lautet, schon vor mehreren Jahren abgelegt, doch noch immer gilt er vielen als das personifizierte Symbol des tibetischen Widerstands gegen die chinesische Besetzung. Die Frage nach seinem möglichen Nachfolger ist deshalb von politischer Brisanz. Allerdings betont der Dalai Lama, was er schon früher gesagt hat: Die Tibeter sollten selbst entscheiden, ob die Institution des Dalai Lama abgeschafft werden sollte. "In diesem Fall wäre ich, wie ich erklärt habe, der letzte Dalai Lama."

Zu seinem 90. Geburtstag im Juli sollen nun nach seinem Wunsch die wichtigen spirituellen Lehrer (Lamas) der tibetischen religiösen Traditionen und die Öffentlichkeit zu der Frage konsultiert werden. Diese Haltung des Dalai Lama gilt auch als Mahnung an China, sich nicht in das System der Reinkarnation der Lamas einzumischen.

Mit dem Erscheinen des Buchs äußerte der Dalai Lama seine Hoffnung, neue Denkansätze in die Gespräche einbringen zu können. Durch die jahrelangen Verhandlungen mit den Machthabern in Peking habe er viel gelernt. Die US-Denkfabrik Council on Foreign Relations (Rat für ausländische Beziehungen) bezeichnete das Buch schon als das "Testament des Dalai Lama". Es sei zugleich sein "politischstes Buch".

Im Rückblick kommt der Dalai Lama zu einem vernichtenden Urteil. Er spricht China - im Buch diskursiv hervorgehoben - jeden notwendigen politischen Willen für ernsthafte Verhandlungen ab. Für China selbst gibt es dagegen keine Tibet-Frage. Für Peking ist das tibetische Hochland Teil des chinesischen Territoriums und der aktuelle Dalai Lama ein Spalter.

Der Dalai Lama schreibt von drei intensiven Verhandlungsphasen. Die erste war demnach in den 1950er-Jahren, als der Dalai Lama noch in Lhasa residierte. Nach tibetischer Zählung wurde er schon im Alter von 16 Jahren und nur einen Monat nach dem Einmarsch der chinesischen Volksarme zum politischen Oberhaupt der Tibeter ernannt. Auf Einladung Pekings traf er 1954 den Revolutionsführer Mao Zedong und andere Anführer des kommunistischen Landes.

Mit großen Hoffnungen verbanden die Tibeter den Antritt des einstigen chinesischen Staatsführers Deng Xiaoping Ende der 1970er-Jahre, der die Öffnung seines Landes in den darauffolgenden Jahren vorantrieb. 1979 habe dieser dem Bruder des Dalai Lama gesagt, dass sich über alles verhandeln lasse, mit Ausnahme der Unabhängigkeit Tibets, heißt es in dem Buch. Doch die Hoffnungen erfüllten sich auch diesmal nicht. Auch die letzte Serie von Verhandlungen im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts verliefen im Sand. Die Gespräche sind seit 2010 eingefroren.

Schon Anfang der 1970er-Jahre gelangte der Dalai Lama dabei zu der aus seiner Sicht folgerichtigen wie auch schmerzhaften Überzeugung, dass ein bewaffneter Widerstand gegen die übermächtigen Besatzer nicht zu der erhofften Freiheit Tibets führe. "Das wäre nicht praktikabel und praktisch Selbstmord."

Er selbst beschreibt sich zum einen als Pragmatiker und zum anderen als einen Pazifisten. Er sei nicht nur ein Schüler Buddhas, sondern auch ein großer Bewunderer des einstigen Anführers der indischen Unabhängigkeit, Mahatma Gandhi, und seiner Strategie des gewaltfreien Widerstands. Im Mittelpunkt seines Ansatzes eines "mittleren Wegs" steht dabei nach eigenen Worten die Suche nach einem Rahmen, "in dem die Tibeter als eigenes Volk in Würde mit ihrer einzigartigen Sprache, Kultur und Ökologie und ihrem buddhistischen Glauben überleben können".

Das Buch ist letztlich auch der Versuch, in die Denkart und Weltsicht des Dalai Lama einzuführen. Das Leben im Exil habe ihm auch zu neuen Perspektiven verholfen, schreibt er. Tibet werde nicht mehr das sein, was es vor der Unabhängigkeit gewesen war, sollten die Wünsche und Ziele in Erfüllung gehen. Er weist darauf hin, dass es sowohl einen gewählten politischen Führer der tibetischen Exilregierung als auch ein etabliertes tibetisches Exilparlament gebe. "Wäre ich in Lhasa als theokratischer Herrscher eines unabhängigen Tibet geblieben, gefangen als heiliger Dalai Lama in einem "goldenen Käfig" wäre ich heute wahrscheinlich ein völlig anderer Mensch."

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