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So schrieb das Leben von Christiane F. Filmgeschichte

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©Bild: Mondadori via Getty Images
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Ihr Drogenschicksal ist weltweit bekannt. Dabei wurde "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" anfangs abgelehnt. Der Autor, der vor 40 Jahren um die Veröffentlichung des Dramas kämpfte, bangt bis heute um den berühmten Junkie.

So grauenhaft waren die Bilder, dass sie tagelange Gespräche auf dem Schulhof nach sich zogen. In Großaufnahme sah man, wie sich eine 13-Jährige Heroin spritzt. Wie ihr Körper auf Entzugserscheinungen mit minutenlangem Zittern reagiert.

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Ekelerregende Szenen in Nahaufnahme sorgten 1981 auf der Kinoleinwand für Aufsehen © Eurovideo/Solaris Film

Wie sie ihren Mageninhalt an Wände kotzt. Wie ihr Gesicht zur gefühllosen Fratze wird, während sie ihren ersten Freier bedient. Schmutzig, kompromisslos und ganz nah an der hässlichen Realität verfilmten Regisseur Uli Edel und Produzent Bernd Eichinger vor 40 Jahren die Geschichte der drogenabhängigen Christiane F.

Abschreckendes Pflichtprogramm

Derart ekelerregend war die Erzählung, die Filmgeschichte schrieb, dass "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" über Generationen zum abschreckenden Pflichtprogramm an Schulen zählte.

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Die Laiendarstellerin Natja Brunckhorst war selbst erst 13, als sie die Gleichaltrige Christiane F. spielte © Eurovideo/Solaris Film

Der Hype um den Film war noch größer als der Erfolg des vorangegangenen Buches. Zwischen 1978 und 1981 rangierte es 91 Wochen lang in den Bestsellerlisten. Die Geschichte von Drogensucht, Kinderprostitution und Herointod wurde zur kollektiven Erinnerung einer Generation, wie das Porträt von Westberlins dunklen Ecken als Vorhof zur Hölle.

"Guter Stoff" damals und heute

Zum runden Jubiläum nahm sich der Streamingdienst Amazon Prime Christiane F.s Drama an. Produzent Oliver Berben erzählt den Film als achtteilige Hochglanzserie nach. Dabei muss sich das 25-Millionen-Euro-Projekt den Vorwurf gefallen lassen, der Drogenlust näher zu kommen als dem Drogentod.

"Wie sexy darf ein Herointrip sein?", bringt es das "Redaktionsnetzwerk Deutschland" auf den Punkt. Und warum wird Altbekanntes aufgewärmt, statt sich der aktuellen Situation Betroffener zu stellen? Es sei einfach "guter Stoff", kommentierte Berben die Neufassung.

Tabulose Erzählung

Das sah die Chefredaktion des Magazins "Stern" 1978 anders. Im ersten Urteil über die tabulose Erzählung von Christiane F.s Geschichte lehnte sie die Reportage ab. Ob die Redakteure mit diesem Elend das Blatt ruinieren wollten, wurden sie vorwurfsvoll gefragt. Es war eine Zeit, in der die Behörden bei der Chefredaktion die Feststellung deponiert hatten, dass es in der Kurfürstenstraße keine Kinderprostitution gäbe.

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Der Mann, der die Geschichte von Deutschlands berühmtestem Junkie doch ans Licht zerrte, erzählte in einem raren Interview in der "Augsburger Allgemeinen" vor zwei Wochen von seiner Mühe. Horst Rieck war freier Journalist für das Magazin "Stern" und arbeitete an einer Reportage über Kinderprostitution, als er Christiane F. traf.

Man muss sich vorstellen, dass man damals nichts wusste

Die damals 16 Jährige war im Amtsgericht Moabit als Zeugin in einem Prozess gegen einen Geschäftsmann geladen. Ob es etwas über Kinderprostitution zu sagen hätte, fragte Rieck das Mädchen. "Und ob", war die Antwort. Tage später erzählte es Rieck am Telefonpräzise und fast druckreif, wie er sagt, seine Geschichte, die er "unglaublich" fand.

"Man muss sich vorstellen, dass man damals nichts wusste. Ab und zu gab es Meldungen von den Herointoten auf der Toilette, das war's", so Rieck. "Die Behörden versuchten, das klein zuhalten." Statt eine schnelle Reportage anzufertigen, vertiefte sich Rieck gemeinsam mit seinem Kollegen Kai Hermann zwei Monate lang in die Recherchen über das Leben der jungen Frau und ihrer Freunde. Die Redakteure führten Dutzende Gespräche, trafen die Clique und ließen sich sogar eine Pension zeigen, die die Mädchen mit ihren Freiern benutzten.

Die Chefredaktion lehnte die Reportage ab. Zu viel Elend. Die Redakteure gaben nicht auf. Sie wandten sich an "Stern" Herausgeber Henri Nannen, der abseits des Tagesgeschäfts noch immer über das Magazin wachte. "Und Nannen sagte: 'Drucken!'", erinnert sich Horst Rieck.

Der "Stern" brachte die Geschichte des heroinabhängigen Mädchens aus der Hochhaussiedlung Gropiusstadt im Berliner Bezirk Neukölln 1978 als mehrteilige Reportage. Ein Jahr danach erschien im Stern Buchverlag "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" nachdem alle großen Verlage eine Veröffentlichung abgelehnt hatten. Dann machten Bestseller und Film Christiane F.s Geschichte berühmt.

Oft gewonnen, oft verloren

Sie erzählt von dem Mädchen, dessen Mutter vor dem gewalttätigen Vater zum neuen Freund flüchtet. Scheidungskind Christiane sucht Halt bei neuen Freunden, die ihr das Hochgefühl von Alkohol, Joints und Tabletten näherbringen. Sie verliebt sich in Detlef, der anfängt, Heroin zu konsumieren.

Beim Konzert ihres Helden David Bowie 1976 in der Deutschlandhalle nimmt auch Christiane im Alter von 13 Jahren zum ersten Mal Heroin. (Bowie spielte sich in der Verfilmung selbst.) Bald finanzieren beide mit Prostitution ihre Sucht. Nach zwei Jahren entdeckt Christianes Mutter das Geheimnis der Tochter. Es beginnt ein Wechselspiel von Entzug und Rückfall.

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Zwei Jahre nach dem Hype um den Film zeigte sich Christiane F. öffentlich.Sie versuchte ihr Glück als Sängerin © imago images / Photo12

Als der Film 1981 erschien, war Christiane F. 16 Jahre alt und lebte nach einem weiteren Entzug bei Verwandten in Schleswig Holstein. Horst Rieck sagte, dass er und die Kollegen ihre Identität zu ihrem Schutz damals bewusst geheim gehalten hatten: "Sie hat nach dem Schulabschluss eine Buchhändlerlehre begonnen, die sie abgebrochen hat. Ein paar Jahre später hatte sie Kontakte zu einer Band. Sie hat sich dann geoutet, um denen mit ihrer Prominenz zu helfen. Bis dahin ist sie gut zurechtgekommen."

Ihr Freund war damals Alexander Hacke, Musiker der Band Einstürzende Neubauten. Weil sie als Sängerin und Schauspielerin Erfolg suchte, trat Christiane Felscherinow 1983 unter vollem Namen in die Öffentlichkeit.

Der Teufelskreis der Drogensucht

Nach der Trennung von Hacke begann der Teufelskreis von Drogensucht und Entzug abermals. Sie saß eine Haftstrafe ab und genoss sechs drogenfreie Jahre in Griechenland. Dann schenkte ihr das Schicksal 1995 Sohn Philipp. Das große Glück beschrieb sie in ihrem Buch "Mein zweites Leben" 2013. "Ich wollte nie Kinder haben. Dann bin ich ins Methadon Programm gekommen, und plötzlich war der Eisprung wieder da", sagte sie im Gespräch zum Buch damals der "Welt".

Das Sorgerecht wurde ihr entzogen

Rieck hatte es damals abgelehnt, das zweite Buch mit Felscherinow zu verfassen. "Damals war sie wieder drogenabhängig. So wollte ich nicht mit ihr arbeiten", erklärt er der "Augsburger Allgemeinen". Nach zwölf Jahren Mutterglück hatte Christiane Felscherinow abermals zu harten Drogen gegriffen: Ihr war das Sorgerecht entzogen worden, weil sie mit dem Sohn nach Holland ziehen wollte. Philipp wuchs danach bei einer Pflegefamilie auf.

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Nach der Geburt ihres Sohnes 1996 erlebte sie ihre glücklichste Zeit ( © imago/Thomas Lebie

Christiane Felscherinow schrieb ihr Buch und zog sich danach 2014 gänzlich zurück. "Ich bin eine kranke Frau Anfang 50", begründete sie auf ihrer Homepage. Von ihrer Leberzirrhose schrieb sie dort, von einer Ansteckung mit Hepatitis C und von ihrer Angst, Opfer einer Online Hass Kampagne zu werden.

Auf irgendeine Art und Weise hat sie es geschafft, zu überleben

Journalist Horst Rieck ist bald 80 Jahre alt. Er hat regelmäßig Kontakt zu Christiane Felscherinow, zuletzt Mitte Februar. Auf die Frage, wie es ihr gehe, sagte er: "Ich bin nicht ihr Pressesprecher. Auf irgendeine Art und Weise hat sie es geschafft, zu überleben." Er habe nicht nur einen düsteren Blick auf die Frau, erzählt er, sie hätten zusammen auch viel gelacht. Dass ihre Geschichte ihn bis heute berührt wie keine andere danach, gibt er zu: "Ich fühle mich in irgendeiner Form zuständig. Ich kann das nicht abhaken."

Christiane Felscherinow ist 58 Jahre alt und die Einzige aus der im Film gezeigten Clique, die noch am Leben ist.

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