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Schlaglichter aus Cambridge

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Cambridge Universität, Kings College Kapelle
©Bild: iStockphoto.com/youaintseenme
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Das größte Problem der Studierenden in Cambridge, erzählte mir ein Verwandter -der hier sein Doktorat gemacht hat, doch unerwähnt bleiben möchte -, während wir an einem kühlen Sommertag durch die autofreie Altstadt bummelten und von einem College zum anderen gingen: "Du schaffst die Aufnahme als einer von Tausenden Bewerbern, warst im Gymnasium immer der Beste und hast die Schule mit Auszeichnung abgeschlossen, und sowohl Lehrer als auch Eltern lobten und bewunderten dich als Genie. Dann fängst du endlich in Cambridge mit dem Studium an und musst feststellen - du bist eigentlich im besten Fall nur Durchschnitt, hier sind alle mindestens so gescheit und sehr, sehr viele noch viel gescheiter." Daran würden viele Studenten bereits im ersten Jahr scheitern.

Nobelpreisträger

Mit 130.000 Einwohnern, davon 25.000 Studierenden, ist Cambridge am Fluss Cam etwas kleiner als Salzburg und liegt 80 Kilometer nördlich von London. Die University of Cambridge ist organisatorisch mit keiner Universität in Österreich oder Deutschland vergleichbar. Sie besteht aus 31 unabhängigen Colleges, jedes entscheidet über die Aufnahme von Studierenden und das Lehrpersonal. Das offizielle Gründungsdatum des ersten College, Peterhouse, ist 1284.

Das akademische Niveau dieser Institution zeigt der Vergleich der Nobelpreisträger. Österreich hat etwa 20 Nobelpreisträger, Cambridge allein 130 -ohne die anderen Universitäten Großbritanniens. 47 "Head of States", Könige, Präsidenten und Premierminister haben hier studiert. Mit der Universität Oxford und den Londoner Universitäten Imperial College, King's College, der London School of Economics und dem University College London bildet es das sogenannte akademische Golden Triangle mit der weltweit größten Konzentration an Nobelpreisträgern, Erfindungen und Entdeckungen.

In jedem College studieren 150 bis 700 Studenten, dazu kommen Master-Studenten und Doktoranden. Von Beginn an unterwerfen sich Studierende einem enormen, für manche unerträglichen Druck. Klassenunterricht gibt es kaum. Jeder Student/jede Studentin hat zwei-bis dreimal pro Woche einen persönlichen Termin mit dem Professor, schreibt einen Essay bis zur nächsten Sitzung, der dann besprochen wird. Das klingt einerseits wie die perfekte Betreuung, verursacht allerdings bei vielen Studierenden Panik und Verunsicherung, jede Woche mit den Besten der Welt in seinem Fach konfrontiert zu werden. Wer den Abschluss schafft, hat ausgesorgt und kann sich die Jobs aussuchen.

Betreten verboten

Im Juni finden die Jahresprüfungen statt, an denen die Studierenden aller Colleges teilnehmen. Das Ergebnis entscheidet über das weitere Studium. Studierenden, die zwar ein positives Ergebnis haben, jedoch nicht zu den Besten gehören, rät man, das College zu verlassen. Die Erfolgreichsten werden belohnt. Mit besseren Zimmern im Studentenheim, manchmal mit finanziellen Geschenken. Jede Art von Nebentätigkeit ist verboten, hundertprozentige Konzentration auf Studium und Forschung wird erwartet.

Mein Verwandter, privilegiert mit einem Ausweis, der alle Tore öffnet, von Touristen neidvoll beobachtet, führte mich durch das Trinity College, das berühmteste aller Colleges. Von Trinity allein kommen 34 Nobelpreisträger und vier Träger der Fields-Medaille, des Nobelpreises für Mathematik. Nach dem Eingang öffnet sich eine rechteckige Rasenfläche, eingeschlossen von ehrwürdigen, jahrhundertealten Gebäuden und einem mit Säulen geschützten Rundgang. "Geh ja nicht über den Rasen", warnte mich mein Verwandter, "den dürfen nur Professoren betreten, Studenten müssen rundherum gehen." Ich dachte, es sei ein Scherz, doch er belehrte mich über die strengen Hierarchien.

In den meisten Speisesälen gäbe es lange Tische für Studierende und einen Extratisch auf einem höheren Podium für die Fellows - wie das akademische Personal heißt. Unterschiedliche Weine und unterschiedliches Essen würden serviert. Studenten müssten aufstehen, wenn die Fellows den Saal betreten, und aufhören zu essen, wenn diese den Saal verließen.

Traditionen

Es geht hier um Tradition und um Hierarchie. Bei der jährlichen Zeremonie für Absolventen wird niedergekniet, und die Hände werden gefaltet. Gesprochen wird in Latein. Die Farbe der Socken ist vorgeschrieben. Keine Muster. Bei der Form des weißen Hemdkragens wird Butterfly bevorzugt. Die Farbe der Kapuzen an den schwarzen Talaren zeigt an, welchen Abschluss an welchem College man gemacht hat.

Ein schwarzes Eisentor trennt den Fellows' Garden im Trinity College. Dort kann nicht einmal mein Verwandter mit seinem Ausweis hinein. Früher wurde hier Gemüse für die Mahlzeiten der Fellows angebaut, niemand außer den Professoren und Forschern darf den Garten betreten. Dort stand der Apfelbaum, unter dem Isaac Newton die Schwerkraft untersuchte. Ein paar Meter weiter, im seitlichen Gang des Trinity-Hauptgebäudes, dem Kolonnadengang, hat Newton zum ersten Mal versucht, die Schallgeschwindigkeit zu messen. Er stand 1680 - wie ich vor zwei Wochen -an einem Ende des bis heute unveränderten Ganges und klatschte in die Hände. Der Schall musste eine Länge von 64 Metern zurücklegen. Die reflektierten Schallwellen kamen zurück zu Newton. Die gesamte Strecke von 128 Metern konnte Newton messen. Er musste nur noch bestimmen, wie lang es dauerte, bis er nach dem Klatschen das Echo hören konnte.

Lord Byron

Die Geschichte der Colleges ist voll von Anekdoten. Der Dichter Lord Byron studierte hier 1805. Als man ihm verbot, einen Hund mitzubringen, brachte er einen dressierten Bären und erklärte, das sei laut Statuten nicht verboten. Als er den Bären behalten durfte, wollte er ihn als Studenten anmelden. Er schrieb an das College: "Ich habe einen neuen Freund, den besten der Welt, einen zahmen Bären. Als ich ihn mitgebracht habe, fragte er, was er hier tun sollte, und ich riet ihm, er sollte wie alle anderen hier studieren."

Desiderius Erasmus Roterodamus, einer der wichtigsten Philosophen und Theologen des 15./16. Jahrhunderts, beklagte sich über das schlechte Essen und die schlechten Weine sowie sein primitives, unbequemes Zimmer. Er schrieb: "Würden sie nicht so viele Hexen in England verbrennen, wäre mehr Holz übrig, um mein ewig kaltes Zimmer zu heizen." Nur die Hälfte der Studenten kommt aus UK, hier studiert die Elite aus 140 Ländern. Selbst die intelligentesten Spione kamen aus Cambridge. Unter dem Namen "The Cambridge Five" arbeiteten angesehene Professoren und Wissenschaftler von 1930 bis 1950 als KGB-Mitarbeiter und übermittelten Informationen an die Sowjetunion. Stephen Hawking studierte hier. Als seine Erkrankung schlimmer wurde, wollte er das Studium aufgeben. Seine Professoren überredeten ihn, weiterzumachen, und versprachen ihm jede Unterstützung. Er ist ein Symbol für das System Cambridge und Oxford. Begabung und Fleiß -in dieser Kombination - werden belohnt und gefördert. Wer nicht beides liefert, scheitert und wird mitleidlos nach Hause geschickt.

Wittgenstein

Der Philosoph Ludwig Wittgenstein ist der bekannteste Österreicher in Cambridge, wo er 1951 starb. Während des Zweiten Weltkriegs gab er seine Lehrtätigkeit auf und arbeitete anonym als Pfleger im Guy's-Krankenhaus in London. Er verteilte Medikamente, die Ärzte verschrieben hatten, und riet den Patienten angeblich, sie nicht zu nehmen. Einige Ärzte, die in Cambridge studiert hatten, erkannten ihn, doch er bat sie, ihn nicht zu verraten. Geplagt von Verzweiflung und Depressionen schrieb er 1942: "Ich habe keine Hoffnung für die Zukunft, vor mir liegt eine lange Zeit eines lebenden Toten, eine grässliche Zukunft, ohne Freunde und ohne Freude."

Cambridge ist der Traum aller Studierenden, und jeder, der aufgenommen wird, wird bewundert. Doch die Studienjahre sind geprägt von harter Arbeit, wenig Freizeit und dem ständigen Druck, nicht zu versagen, dem manche nicht standhalten. In den vergangenen Monaten gab es vier Todesfälle in Cambridge. Eine Kommission untersucht jetzt, ob es sich dabei um Unfälle oder Suizide handelt.

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