Anno Kusej erregte man sich in erster Linie über Abgänge. Im Herbst übernimmt Stefan Bachmann, und einige der Besten kommen zurück: Joachim Meyerhoff, Jens Harzer und Stefanie Reinsperger schlagen Heimatkurs ein
Was war das für ein Hallo, als Martin Kusej zwei Jahre vor Amtsantritt die künftige Ensemblestruktur des Burgtheaters skizzierte! Die gesamte Entwicklung seiner Direktionszeit bis zu deren abruptem Ende glühte da schon als Menetekel an der Wand, obwohl die Pandemie als Ausrede des Scheiterns noch lang nicht zur Verfügung stand: Die Hälfte der Suppe sei wegzuschütten, gab der ambitionierte Freizeitkoch zu verstehen. Er gedenke unter den Schauspielern beherzt den Löffel zu führen, und wenn es zwei Drittel seien, möge man ihn nicht beim Wort nehmen. Nach harter Zurechtweisung änderte sich das Kusej'sche Zutatenmanagement dann doch deutlich. Aber Fabian Krüger vermisst man bis heute. Und auch die Österreicher Alina Fritsch, Laurence Rupp und Petra Morzé mussten dran glauben: War es schon vorher eine Herausforderung gewesen, am Nationaltheater Nestroy und Schnitzler zu besetzen, so erweist sich die Aufgabe seither als zusehends hoffnungslos. Auch die Wohlgelauntheit, mit der Kusej die Abgänger von ihrem Schicksal in Kenntnis gesetzt hatte ("bevurst di ausn Fenster haust, kannst mi ja anruafn"), erregte Aufsehen.
Und nicht genug der Verhängnisse: Joachim Meyerhoff und Caroline Peters verabschiedeten sich ohne direkt-direktorales Zutun (aber deshalb nicht ohne Grund), und Nicholas Ofczarek wich in eine mehrjährige Karenz aus. Damit will ich freilich nicht angedeutet haben, dass mir das Verfahren des seit 2020 sozusagen amtierenden Volkstheaterdirektors Kay Voges sympathischer wäre: Höflicher Umgang sei das Um und Auf der Führungskunst, ließ er wissen, ehe er das gesamte Ensemble bis auf vier (unter ihnen der unkündbare Betriebsrat) auf die Straße komplimentierte.
Das spaltenlange Präludium dient, Sie haben es erraten, der Kontrastierung. Denn keineswegs zu früh - wenn auch offiziellerseits unbestätigt, weshalb das Folgende über hausinterne Kanäle an mich gelangt ist - zeichnen sich die Konturen der Direktion Stefan Bachmann ab.
Und da springt gleich ein fundamentaler Paradigmenwechsel ins Auge: Erregte man sich anno Kusej in erster Linie darüber, wer gehen müsse oder wolle, so konzentriert sich die Aufmerksamkeit jetzt in erster Linie darauf, wer im September 2024 kommen wird.
Und was man da hört, hat in erster Linie mit glücklicher Rückkehr zu tun: Joachim Meyerhoff, soeben wieder zum deutschsprachigen Schauspieler des Jahres gewählt, kommt zurück. Ebenso Jens Harzer, ein vergleichsloser Nervenenden-Akrobat und Sprachvirtuose, dem Bruno Ganz den Iffland-Ring vererbt hat. Und auch die in Berlin adorierte Stefanie Reinsperger, die das Ensemble schon vor Kusej verlassen hat, soll nach Hause kommen. Das sind Nachrichten, wie sie schöner nicht sein könnten. Und die Abgänge? 14 von 69, ist aus dem Burgtheater zu hören, wobei keiner der großen Namen in Zweifel gezogen wurde. Aber die magische Sophie von Kessel, die zu dessen besseren Zeiten mit Kusej aus München kam, wird wohl nicht bleiben wollen. Für Norman Hacker haben sich persönliche Verhältnisse verändert, man würde ihn vermissen. Stärker jedenfalls als Itay Tiran, der, von Kusej als Schauspieler und Regisseur an Schlüsselpositionen verpflichtet, in beiden Funktionen nur eingeschränkt überzeugen konnte. Franz Pätzold hat sich, seinem neugeborenen Kind zuliebe, für ein Karenzjahr nach Frankreich verändert. Ihn zurückzuholen wäre prioritär. Ein Glück: Der Kontakt zu Felix Kammerer bleibt, trotz unzähliger streikbedingt verschobener Drehtage in Hollywood, bestehen: Auch eine internationale Filmgröße braucht etwas wie Heimathaftung.
Ansonsten trifft es mehrheitlich die weniger bekannten Jungen, wobei hier dankenswert das letzte Wort noch nicht gesprochen worden ist: Bachmann hat mit jedem Mitglied des Ensembles ein Gespräch geführt und manchen vorsorglich die Nichtverlängerung avisiert.
Dass dem informellen Hausradio zufolge Lilith Häßle, Maresi Riegner und Safira Robens bleiben, ist eine gute Nachricht. Aber auch anderweitig sollte Bachmann Vorsicht walten lassen, so nachvollziehbar er auch Platz für eigene Zugänge braucht.
Denn das junge Ensemble hat sich in der Spätabenddämmerung der Direktion Kusej doch noch gefangen. Die Jahre davor war, schwammigen Diversitätsbestrebungen folgend, eine weitgehend amorphe Truppe formiert worden und hatte sich oft binnen Jahresfrist wieder empfohlen: Burgschauspieler zu sein war kein Benefiz mehr, das überschaubar anheimelnde Klima im Haus tat ein Übriges. Aber jetzt freut man sich wieder an Gesichtern, an frischen Persönlichkeiten: Lili Winderlich, Marcel Heuperman, Maximilian Pulst lösen das Prädikat "Burgschauspieler" vollinhaltlich ein. Mit ihnen würde man gern noch viele schöne Jahre verbringen.
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sichrovsky.heinz