Die Historien-Serie "Bridgerton" brach auf Netflix sämtliche Rekorde. Am 25. März erscheint die 2. Staffel, in der Anthonys Liebesleben im Fokus stehen wird. Obgleich die Produktion nicht den Anspruch erhebt, ein tatsächliches Abbild dieser Zeit zu liefern, wollten wir wissen, wie authentisch sie ist. Der Historiker Karl Vocelka analysiert den Netflix-Hit und klärt auf wie die gesellschaftliche Realität tatsächlich aussah. Eine spannende Zeitreise.
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Die Geschichte rund um Daphne Bridgerton und den Duke of Hastings spielt in der Londoner High Society während der Regency-Ära.
Die britische Monarchie wird in der Serie durch Königin Charlotte repräsentiert. Sie ist wie ein großer Teil der restlichen Schauspieler schwarz. Doch gab es überhaupt People of Color in der britischen Klassengesellschaft Anfang des 19. Jahrhunderts? Und wäre es Ihnen möglich gewesen, in den Rang einer Königin oder eines Herzogs aufzusteigen?
Karl Vocelka ist ein österreichischer Historiker und Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Wien. Seine Forschungs- und Publikationsschwerpunkte sind die Sozial- und Kulturgeschichte Zentraleuropas in der Frühen Neuzeit, die Geschichte der Habsburgermonarchie und die Eliten- und Frömmigkeitsgeschichte.
1. Gab es überhaupt People of Color in der britischen Society?
„Es ist völlig undenkbar, dass im 19. Jahrhundert irgendjemand schwarzer Hautfarbe Königin von England geworden wäre. Sogar heute wäre das noch ein absolutes Tabu im britischen Adel“, sagt der Historiker und Habsburg-Experte Karl Vocelka. Wissenschaftlichen Arbeiten über englische Geschichte verfasse er zwar nicht, gibt er zu bedenken, jedoch kenne er sich in der europäischen Adelswelt gut aus.
So gebe es heute mit Herzogin Meghan eine schwarze Frau, die in die britische Königsfamilie eingeheiratet habe. Doch die Bürde war – aus welchen Gründen auch immer – zu schwer. Prinz Harry und seine Frau Meghan haben jüngst ihren endgültigen Rückzug aus dem britischen Königshaus erklärt.
Zurück zur gesellschaftlichen Realität in die Regency-Ära: Selbst ein Adeliger niedrigen Standes hätte vermutlich niemals eine Frau aus den britischen Kolonien geheiratet, auch wenn es theoretisch möglich gewesen wäre. „Es wäre in der damaligen Gesellschaft sein Ruin gewesen“, sagt Karl Vocelka. Denn in letzter Instanz wäre es eine rassistische Gesellschaft gewesen und People of Color galten damals nicht als ebenbürtig mit den Weißen.
"Die Bürde des Weißen Mannes"
So unglaublich das heute klingt, so war es damals schlicht die Meinung der Bevölkerung. Das berühmte, wie umstrittene Gedicht von Rudyard Kipling The White Man’s Burden (dt.: „Die Bürde des Weißen Mannes“) veranschaulicht den Gedankengang der vergangen Zeit. So wurden in dem siebenstrophigen Gedicht, die weißen Männer dazu aufgerufen, andere Völker zu kolonisieren und zu regieren. Und jene Politik des Imperalismus wurde als ein edles Unterfangen gerechtfertigt.
Dass diese Position auch in der Welt der Habsburger präsent war, unterstreicht die Geschichte von Angelo Soliman. Er war ein afrikanischer Häuptlingssohn der versklavt wurde. Ein österreichischer Adeliger kaufte ihn frei und integrierte den großartigen Schachspieler und hoch gebildeten Mann in die elitäre Gesellschaft. 1781 wurde Soliman sogar in die Freimaurerloge in Wien aufgenommen.
Posthum zum „Wilden“ degradiert
Trotz seiner Verankerung in der Wiener Gesellschaft wurde nach seinem Tod klar, dass er nie wirklich Teil dieser feinen Gesellschaft war. So wurde er einfach ausgestopft – wie ein Tier. Und es kommt noch schlimmer: Sein präparierter Leichnam – wurde nicht mit feinem Zwirn sondern mit Lendenschurz, Federkrone und Muschelketten bekleidet. Der ausgestopfte „Wilde“ wurde schließlich von Kaiser Franz für das k. k. Hof-Naturalienkabinett erworben.
2. Zeremonie „Juwel der Saison“ wahr oder falsch?
Der Rang der Debütantinnen der Ballsaison hängt in der Serie von dem Urteil der britischen Königin ab. So wurde die schöne Hauptprotagonistin „Daphne Bridgerton“ in einer offiziellen Zeremonie zum „Juwel der Saison“ erkoren. Alle Damen der Londoner High Society im heiratsfähigen Alter mussten bei der Königin vorsprechen. Gab es derartige Zeremonien tatsächlich? Hätte eine Königin wirklich öffentlich ihr Urteil abgegeben?
Die Idee der Serie ist plausibel. Natürlich sei es wichtig in der Ballsaison präsent zu sein. Mit dem Kontakt zum Herrscher oder zur Herrscherin hat man damals das Entrée in die Gesellschaft bekommen. „So ein ähnliches Zeremoniell gab es am Wiener Hofball, wo Franz Josef eine kleine Auswahl der Debütantinnen empfangen hat.“
Dass die Königin so wie in der Serie tatsächlich alle Debütantinnen persönlich begutachtete hält der Historiker für unwahrscheinlich. „Allein in Wien und Umgebung gab es zu dieser Zeit 300 bis 400 hochadelige Familien“, sagt er. Im britischen Empire war dieses Netzwerk an Adeligen deutlich höher. Und Königin Charlotte hätte niemals ein persönliches Urteil über die jungen Damen abgegeben. Die hochstellten Familien in irgendeiner Form zu brüskieren wäre nicht in ihrem Interesse gelegen. Im 19. Jahrhundert galten Distanz und Contenance als besonders wichtige Eigenschaften.
3. Jemanden den Hof machen - wie lief es ab?
In der Serie pilgerten die Junggesellen scharenweise ins Elternhaus und brachten Blumen und andere Aufmerksamkeiten. Dann wurde Konversation geführt oder musiziert. Doch wie wurde einer adeligen Dame zu jener Zeit tatsächlich der Hof gemacht? Gab es ein ähnliches Prozedere?
"So ist das definitiv nicht abgelaufen“, sagt der Historiker. Die High Society war in sich strukturiert. Man kannte sich untereinander. Und wusste welche Familien die gleiche soziale Position und den gleichen Lebensstil hatten. Und welche Ideologien sie verfolgten.
Zudem sei Heirat immer eine Sache gewesen, die zwischen zwei Vätern ausgemacht wurde. Eines müsse klar sein: Eheschließlungen wurden nicht dadurch zustande gebracht, dass man auf einen Ball geht und dort durch einen grandiosen Auftritt seinen Traummann findet, wie es in der Serie suggeriert wird.
4. Wie realistisch war eine Liebeshochzeit?
Die Heiratspolitik spielte in Europa zur damaligen Zeit eine große Rolle. In der Serie, bestimmte das Familienoberhaupt, also der älteste männliche Vertreter des Hauses, welche Verbindung einzugehen war. Liebeshochzeiten waren die Ausnahme – stimmt das? Wie kann man sich das vorstellen?
Damals habe es fast nur arrangierte Ehen gegeben. "Das war in der Oberschicht in ganz Europa gängige Praxis“, weiß Historiker und Habsburg-Experte Karl Vocelka. Und alle hatten das gleiche Ziel: Nämlich in einen höheren Stand einzuheiraten. Wenn eine Gräfin einen Herzog heiraten durfte, war es der Verdienst ihres Vaters. Ausschließlich sein Verhandlungsgeschick machte das möglich. Liebeshochzeiten waren die Ausnahme.
Kaiser Franz Josef: Liebe auf den ersten Blick
Ein Beispiel gibt es aber sogar in der Habsburgermonarchie: Kaiser Franz Josef, hätte eigentlich Sisis ältere Schwester Helene heiraten sollen. Beim ersten arrangierten Treffen in Bad Ischl im Sommer 1853 verliebte sich Franz Joseph jedoch in die als Begleitung mitreisende jüngere Schwester Elisabeth, die damals noch nicht einmal 16 Jahre alt war. Zumindest aus seiner Sicht war es eine Entscheidung aus Liebe. Für Sisi selbst vielmehr eine Bürde. Denn wie sehr sie unter den strengen Konventionen geprägte Leben am Wiener Hof leiden musste, ist bekannt.
5. Gesellschaftliche Realität: Gab es nur die Ehe?
Die Serie stellt die gesellschaftliche Realität der Frauen in der High Society so dar: Ihr einziges Ziel ist es einen Ehemann zu finden (also eine gute Partie zu machen) und Kinder (Erben) zu bekommen. War es tatsächlich so? Einige Protagonistinnen wollen ausbrechen, studieren und haben feministische Gedanken. Wäre so etwas überhaupt denkbar gewesen?
Ja, es herrschte ein absolut patriarchalische Gesellschaft. Von Gleichberechtigung könne keine Rede sein. Frauen durften zu jener Zeit nicht einmal ein Dokument unterschreiben. „Es war das Ziel der ganzen Familie, dass die Töchter einen Ehemann finden und eine möglichst gute Partie machen“, sagt Vocelka. Männliche Erben zu zeugen, die wichtigste Aufgabe der Frauen.
6. Flirten auf Bällen: Gar nicht notwendig
Auf einem Ball in Ohnmacht fallen um die Aufmerksamkeit eines Prinzen zu erregen - gab es solche „Tricks“ wirklich? In der Serie jedenfalls klappte das ManöverUnrealistisch ist die Szene nicht, denn in Ohnmacht fallen konnten Frauen damals relativ leicht. Sie waren ja immer in ein Mieder eingeschnürt. „Das Mieder wurde von Kindheit an getragen, was zu Deformationen der Rippen geführt hat und auch die Atmung eingeschränkt hat“, erklärt er. Als Beispiel dafür nennt er Kaiserin Sisi, die eine Taille von unvorstellbaren 50 cm hatte.
Beim Flirten auf den Bällen gab es subtilere Mittel um in Kontakt zu kommen. Etwa den Handschuh fallen zu lassen, den der Gentleman dann höflicherweise aufhebt. Das diente jedoch mehr dem Unterhaltungswert eines Abends. In Hinblick auf die Heiratspolitik des Adels seien all diese Versuche vergeblich geblieben. Die Frauen hatten schlussendlich nur selten ein Mitspracherecht bei der Wahl des Ehemannes.
7. Sex vor der Ehe: Für wen war ein "Gspusi" erlaubt?
In der beliebten Serie wird auch Sex vor der Ehe thematisiert. Für die Junggesellen der High Society stellte das kein Problem dar. In den Hinterzimmern der Salons waren Opernsängerinnen anzutreffen, mit denen man sich verabreden konnte. Umgekehrt markierte eine heimliche Liaison für die jungen Damen der Adelsgesellschaft sozusagen ihr Ende am „Hochzeitsmarkt“. Gab es dieses Dilemma tatsächlich?
Die Antwort lautet ja. Sexualität vor der Ehe war für gläubige Menschen zwar ein moralisches Problem, aber natürlich gab es auch zu jener Zeit Prostitution. Und auch sonst kam man sich durchaus näher. „Eine Liaison zu haben war für einen jungen Mann nicht problematisch. Zum Problem wurde es erst dann, wenn man jene Dame heiraten wollte“, erklärt der Historiker.
Erzherzog Johann liebte die Postmeisterstocher
Als Beispiel nennt er den Habsburger Erzherzog Johann, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts darauf beharrte, die bürgerliche Postmeisterstocher Anna Plochl aus Bad Aussee heiraten zu wollen. Er setzte es durch, doch er verlor seine Karrieremöglichkeiten in der Familie und seine Kinder waren keine Habsburger mehr. In anderen Fällen verloren die Erzherzoge wegen einer Mesalliance sogar ihre Titel und ihr Einkommen.
Sex: So erging es den Frauen
Leidenschaften und Begierden als Frau auszuleben, waren deutlich schwieriger und mit enormen Risiken verbunden. Denn eine adelige Frau zu heiraten, die ein uneheliches Kind hat, war in der Oberschicht absolut tabu. „Jene Frauen wurden in der Hofgesellschaft negativ konnotiert. Ganz ähnlich erging es geschiedenen Frauen. Obwohl die Scheidung im protestantischen England möglich war“, sagt Vocelka. Eine ungewollte Schwangerschaft hatte Folgen: Möglichst schnell musste die werdende Mutter verheiratet werden und natürlich in dieser Situation meist unter dem eigenen Stand.
Und es kam – vor allem in den niedrigen Schichten der Bevölkerung - noch dramatischer: „Im Kaisertum Österreich gab es eine relativ hohe Suizidrate bei ledigen Frauen die schwanger wurden. Damals sprach man von der klassischen Methode „Ins Wasser gehen“ – sich also aus Verzweiflung zu ertränken. Das veranschaulicht wie enorm groß der Druck war, in jener Gesellschaft zu leben, wo jeder über jeden etwas wusste und es kaum Privatsphäre gab.
8. Anonyme Gerüchteküche auf Papier gedruckt
Einen wichtigen Erzählstrang der Serie nimmt das Flugblatt der geheimnisvollen Lady Whistledown ein. Dort war der Klatsch und Tratsch der Londoner Society zu lesen. Aber Gab es solche anonymen Schmähblätter tatsächlich?
Hier ist eine eindeutige Antwort schwierig. Die Gerüchtebörse war natürlich wichtig. Die Neuigkeiten wurden bei persönlichen Treffen des Adels gerne ausgetauscht. Aber eher diskret und mit vorgehaltener Hand . „In Wien war die Zensur sehr streng. Von Franz Josef oder von einem seiner Verwandten gab es keine einzige bösartige Karikatur. In England hingegen wurde so etwas durchaus veröffentlicht“, fasst Karl Vocelka zusammen.
9. Wie passend ist der Soundtrack von „Bridgerton ?
Die Filmmusik des Kostümdramas ist sehr modern. Es handelt sich um klassisch instrumentalisierte Versionen von beliebten Chartsongs. Lieder von Ariana Grande über Maroon 5 bis Taylor Swift und Billie Eilish wurden zum passenden Streichquartett gemischt. Aber welche Komponisten und welche Instrumente waren zu jener Zeit tatsächlich populär?
Das tragende Element der klassischen Musik sind die Streicher, somit ist die moderne Interpretation in der Serie durchaus gelungen. Am Beginn des 19. Jahrhunderts habe man auch in England international erfolgreiche Tänze wie den Walzer gespielt. Welcher Komponist am populärsten war, ist nicht eindeutig zu beantworten. „Für Wien wäre es klarerweise Beethoven gewesen“, sagt der Historiker. Es sei jedenfalls davon auszugehen, dass auch Georg Friedrich Händel und Joseph Haydn, die lange Zeit in England lebten, dort sehr populär waren.
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