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Der Geburtstag sei für ihn kein Grund zu feiern, versichert Palm. Die letzten Geburtstage, die ihm wirklich Freude bereitet hätten, seien der 14. und der 16. Geburtstag gewesen - weil diese ihm jeweils das Tor zu ihm zuvor aus Altersgründen verwehrten Kinoerlebnissen öffneten. Er erfreue sich vorwiegend an seiner Arbeit. "Meine Frau schimpft deshalb immer und sagt, ich soll endlich weniger tun und das Leben mehr genießen." Zumindest am Geburtstag hört er auf sie. Den feiert das Paar in Malaga, und Kurt Palm freut sich schon auf die Osterprozession. "Da schlägt der Ministrant in mir durch."
Dabei gäbe es genug zu tun. "Ich kann mich über mangelnde Arbeit nicht beklagen." Mit seinem im vergangenen Sommer erschienenen Buch "Trockenes Feld" absolviert er bis Herbst noch 15 Lesungen und eröffnet am 9. Mai das Lesefest "Rund um die Burg". In dem autobiografischen Band schlägt er einen ganz neuen Ton an und arbeitet seine Familiengeschichte auf. Der 1955 in Vöcklabruck Geborene ist Sohn von aus Slawonien vertriebenen und Ende des Zweiten Weltkriegs in der oberösterreichischen Provinz gestrandeten Eltern, denen er - so muss man es sagen - als Jugendlicher das Leben schwer machte.
In dem Buch, dessen Erfolg "uns alle überrascht hat", holt er Familiengeheimnisse und "transgenerationale Traumata" ans Licht und erfüllt damit, so empfindet er es, seine Aufgabe der "Störung der symbolischen Ordnung" seiner Familie. "Ich habe nie verstanden, warum ich als 18-Jähriger zur KPÖ gegangen bin", erzählt er. Heute deutet er es als Widerstandshandlung gegen die Vergangenheit, in der etwa sein Vater als 18-Jähriger zur SS-Polizei eingezogen wurde, um am Balkan und in Frankreich gegen Partisanen eingesetzt zu werden.
Der Sohn studierte in Salzburg Germanistik und Publizistik und war sechs Jahre lang Vorsitzender des Kommunistischen Studentenverbands in der Mozartstadt. Heute schlägt sein Herz zwar weiterhin links, möchte er aber "nichts mehr mit dem Parteiapparat zu tun haben". Aus der KPÖ ist er ausgetreten, doch seit dem Vorjahr sitzt er für die KPÖ Plus in der Delegiertenversammlung des Festspielfonds. Das zahnlose Gremium, das am 16. Juni seine nächste Sitzung hat, empfindet er als "Groteske", sein Vorschlag, anlässlich 80 Jahre Kriegsende heuer nicht die laut Kritikern NS-belastete Salzburger Landeshymne, sondern etwa ein Lied von Bert Brecht und Hanns Eisler zu spielen, sei brüsk abgeschmettert worden.
"Vom Boykott zur Anerkennung. Brecht und Österreich" hieß die 1983 erschienene Buchausgabe der Dissertation Palms, die ihm den Weg zum Theater eröffnete. Eine Anstellung an Claus Peymanns Burgtheater sei schon nach ein paar Monaten "schrecklich schiefgegangen", dafür habe er in der Freien Szene rasch Fuß gefasst, so Palm: "Der Dschungel hat mich immer mehr interessiert als die geräumte Hauptstraße."
Die Jahre von 1989, als er die Theatergruppe "Sparverein Die Unz-Ertrennlichen" gründete, bis 1996, als das von ihm inszenierte TV-Talkformat "Phettbergs Nette Leit Show" nach 24 Folgen beendet wurde, war auch nach seinem eigenen Empfinden jene Zeit, an der in der Stadt Wien kaum jemand an Kurt Palm vorbeikam. "Das war damals state of the art. Aber ich habe immer dann aufgehört, wenn es begonnen hat, routiniert zu werden."
Nach einer Einladung, bei den Wiener Festwochen Oper zu inszenieren ("Der wilde Jäger"), begann Palms nächste Karriere, die ihn als Regisseur an große Häuser wie das Landestheater Linz, das Schauspielhaus Graz oder die Oper in Dublin ("Die Fledermaus") führte. Bald stellte er wieder "die Wiederkehr des Ewiggleichen" fest und sattelte erneut um. "Manchmal denke ich mir, dass ich mit den großen Inszenierungen vielleicht zu früh aufgehört habe - aber dann wären andere Sachen nicht gekommen."
"Andere Sachen" - wie etwa eigenwillige Bücher über James Joyce, Adalbert Stifter oder Wolfgang Amadeus Mozart. "Ich wollte immer wieder was Neues ausprobieren." Mit dem später auch verfilmten Krimi "Bad Fucking" startete er 2010 als Autor durch und landete einen veritablen Bestseller. Es folgten u.a. "Strandbadrevolution" über (s)eine Jugend in den 70ern (eine geplante Verfilmung kam letztlich doch nicht zustande) und die Thriller "Monster" und "Der Hai im System", 2023 mit dem Leo-Perutz-Preis ausgezeichnet und der laut Palm "aufgelegten" Verfilmung weiter harrend.
Filme hat er auch gedreht, etwa die Flann O'Brien-Verfilmung "In Schwimmen-zwei-Vögel" (1997) oder "Hermes Phettberg, Elender" (2007). Das Kapitel habe er jedoch abgeschlossen, die Filmbranche habe sich zu sehr verändert, konstatiert er.
Am Linzer Theater Phönix, wo er in den vergangenen Jahren immer wieder eigene Uraufführungen herausbrachte, war zuletzt 2022 "This is the End, my Friend", eine "dystopische Horrorklamotte über das Ende der Menschheit", zu sehen - die szenische Zusammenfassung seiner These, "dass der Mensch ein Fehler der Natur ist". "Es könnte so paradiesisch sein, es ist alles dafür angerichtet. Aber irgendwann ist es schiefgegangen", resümiert Kurt Palm, der seine Lebenserfahrung auch so zusammenfassen kann: "Wenn irgendwo 100 Leute auf einem Haufen sind, dann sind 50 Idioten darunter."
Kurt Palm hat ein neues Stück fertig, "das aber noch kein Theater hat": In "Glücklich ist, wer vergisst" erzählen acht ehemalige Schauspieler und Sänger einander aus ihrem Leben - in einem Sanatorium, das vielleicht keines ist, wie auch sonst Schein und Sein in vielem auseinanderklaffen. Auch das Exposé für den nächsten Roman gibt es bereits. "Der Hang" setzt die Serie von trashigen Horrorgeschichten fort und lässt ein Ferienhaus Risse bekommen, eine Familie zerbrechen und eine Mäusekolonie ihrer drohenden Vernichtung entgegensehen. Frühestmöglicher Erscheinungstermin ist Herbst 2026.
Kurt Palm, fast neun Jahre jünger als der regierende US-Präsident, ist zwar noch immer voller Energie hat sich aber damit abgefunden, dass sich Strukturen und Ästhetiken geändert haben und die Altspatzen nicht mehr so gefragt sind. Beim Wiener Kultursommer sei zuletzt ein auf seinem Buch "Trockenes Feld" basierendes Projekt abgelehnt worden, erzählt er - traurig, aber nicht verbittert. "Wir haben unsere Chancen gehabt - und ich glaube, ich habe sie weitgehend genutzt."
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)