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Wenn eine Regierung geht: Was passiert mit Akten und Chats?

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©Matt Observe
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Neue Regierungsmitglieder kommen, die alten gehen. Doch was passiert mit Akten und Chats aus deren Amtszeit? Das Archivgesetz ist nicht streng genug. Wer löscht und schreddert, muss sich nicht vor Konsequenzen fürchten

Die einen verhandeln über ihre Posten in der nächsten Bundesregierung. Die anderen müssen ans Ausräumen denken. Noch vor Weihnachten wollen ÖVP, SPÖ und Neos ihre Koalition gebildet haben. Sind sie handelseins, die Ressorts aufgeteilt und die Ministerinnen und Minister nominiert, heißt es für die Amtsinhaber Kisten packen. Dabei geht es nicht nur darum, welche Erinnerungsstücke mitgenommen werden. Interessant sind die sogenannten Kabinettsakten. Anders als bei Verwaltungsakten, die elektronisch geführt und archiviert werden, handelt es sich dabei um jene Schriftstücke, die politische Entscheidungen und Absprachen betreffen. Doch was davon ins Staatsarchiv wandert, entscheiden die Regierungsmitglieder nach eigenem Gutdünken.

Bundesarchivgesetz veraltet

Das Bundesarchivgesetz, das die Vorgangsweise regelt, stammt aus dem Jahr 1999. Im Minutentakt via Handy gechattet wurde damals noch nicht. Allenfalls einzelne SMS gingen hin und her. Die erste Generation von iPhones kam in Europa erst im Herbst 2007 auf den Markt. WhatsApp gibt es seit 2009.

Heute haben Politikerinnen und Politiker sowie ihre Mitarbeiterstäbe allesamt mindestens ein Handy bei sich, kommuniziert wird damit permanent und schriftlich. Dass dabei schwerwiegende Entscheidungen intransparent getroffen werden, das Tafelsilber der Republik aufgeteilt wird, weiß man spätestens seit Chat-Nachrichten des früheren ÖVP-Mitarbeiters, Generalsekretärs im Finanzministerium und ÖBAG-Chefs Thomas Schmid. Und man weiß es nur deshalb, weil seine Nachrichten 2019 bei einer Hausdurchsuchung durch die WKStA gesichert wurden.

Wohlgemerkt: Gepackelt und gemauschelt wurde früher auch. Nicht in digitalen, sondern in echten Hinterzimmern. Und natürlich wurden auch im realen Leben solche Gespräche nicht dokumentiert. „Jedes Schriftl ein Giftl“, hieß es nonchalant.

Was muss ins Archiv?

Die Debatte darüber, ob Handynachrichten ins Archiv müssen, wird auch auf europäischer Ebene geführt. Die „New York Times“ klagt vor dem Gericht der Europäischen Union in Luxemburg auf Herausgabe von Nachrichten zwischen EU-Kommissionspräsidentin ­Ursula von der Leyen und Pfizer-Chef Albert Bourla aus dem Jahr 2021. Die beiden hatten via Textnachrichten kommuniziert, während über den Kauf von 1,8 Milliarden Dosen Corona-Impfstoff durch die EU verhandelt wurde. „NYT“-Journalisten wollen Einsicht in diesen Austausch. Die EU-Kommission verweigert mit der Begründung, in ihrem Besitz gäbe es keine solchen Nachrichten. Was den Rückschluss zulässt, dass sie gelöscht wurden. Schon als von der Leyen deutsche Verteidigungsministerin war, wurden Nachrichten auf ihrem Handy gelöscht. Ausgerechnet als sich die Ministerin auch mit einer „Berateraffäre“ herumschlagen musste.

Strengere Regeln

Im österreichischen Parlament liegt seit Juni 2021 ein Entschließungsantrag der Neos „betreffend Archivierung beruflicher Nachrichten und Kanäle oberster Staatsorgane“. In diesem wird auf Paragraf 5, Absatz 1 des Bundesarchivgesetzes verwiesen, wo es heißt: „Die Bundesdienststellen (...) haben, soweit völkerrechtliche Verpflichtungen dem nicht entgegenstehen, das gesamte Schriftgut, das bei der Erfüllung ihrer Aufgaben oder der ihrer Rechtsvorgänger angefallen ist und zur Erfüllung ihrer laufenden Aufgaben nicht mehr benötigt wird, auszusondern und dem Österreichischen Staatsarchiv (...) anzubieten.“ Das passiere in der Praxis aber nur unvollständig, heißt es im Antrag der Neos, weswegen sie forderten, dass Verfassungsministerin Karoline Edtstadler dem Nationalrat einen Gesetzesentwurf vorlegen müsse, der die „Durchsetzung einer Archivierungspflicht aller beruflichen Nachrichten und Kanäle oberster Staatsorgane“ vorsieht.

Der Antrag erlitt das typische Oppositionsschicksal: Er verstaubt im Verfassungsausschuss. Ein Fristsetzungs­antrag Anfang 2024 wurde von ÖVP, Grünen und FPÖ abgelehnt.

Das Verhalten früherer Regierungsmitglieder hat gezeigt, dass eine gesetzliche Bestimmung allein nicht reicht, weil ohne Konsequenzen weiterhin dagegen verstoßen wird. Etwa durch das Schreddern von Festplatten, das Vernichten von Unterlagen oder das Löschen von Chat-Verläufen.

Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper meint, das geltende Archivgesetz sei an sich von der „Grundintention her sinnvoll und notwendig. Landen die Kabinettsakten im Staatsarchiv, gibt es Nachvollziehbarkeit, Transparenz und dadurch auch eine Rechenschaft von Seiten der Politik. Bei einem U-Ausschuss könnte man dann auch Dokumente erhalten, die das Verhalten von Regierungsmitgliedern zeigen.“ Das Problem ist: Es gibt keine Sanktionen, wenn man nicht liefert. „Das Verhalten früherer Regierungsmitglieder hat gezeigt, dass eine gesetzliche Bestimmung allein nicht reicht, weil ohne Konsequenzen weiterhin dagegen verstoßen wird. Etwa durch das Schreddern von Festplatten, das Vernichten von Unterlagen oder das Löschen von Chat-Verläufen.“

Nach Ansicht Krispers sei auch im geltenden Gesetz digitales Schriftgut mit erfasst, was nicht alle Betroffene und Experten so sehen. Bei einer Novellierung wollen Neos das daher klar festschreiben. Die Ausrede, die Korrespondenzen zwischen Schmid und türkisen Spitzenpolitikern seien „privat“ gewesen, lässt sie nicht gelten: „Diese Korrespondenzen hatten auf Privathandys nichts verloren. Da wurde dieses eigene Fehlverhalten als Ausrede benützt. In einer korrekten Welt hätte es hier Protokolle geben müssen von entsprechenden Sitzungen, wo die zuständigen Politiker die Genese von Personalentscheidungen, etwa bei der ÖBAG, besprechen.“

30 Jahre Sperrfrist

Chats, Mails, digitale Terminkalender, die tatsächlich auch private Einträge wie Geburtstage, Treffen mit Freunden, Arzttermine enthalten könnten: Selbst wenn Klarheit über die Archivierungspflichte herrschte und die Regierungsmitglieder ans Staatsarchiv tatsächlich alles liefern – bis man in diesen Akten stöbern könnte, vergeht viel Zeit.

30 Jahre Sperrfrist sind im Gesetz festgelegt. Nur die ehemaligen Kanzler, Ministerinnen und Minister selbst können die Akte öffnen und Nachschau halten. Etwa, ob sie Teile an einen U-Ausschuss liefern lassen wollen. Der Eifer der Ehemaligen diesbezüglich war bisher eher gering.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2024 erschienen.

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