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Schlaglichter: Verloren in der Übersetzung

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©Bild: NEWS/Ricardo Herrgott

Wenn politische Botschaften an der Realität einer multikulturellen Großstadt scheitern: Eine Szene in der Wiener U6 zeigt, wie Sprachlosigkeit zur wirksamsten Waffe gegen Hass werden kann.

In der U-Bahn-Station Nußdorfer Straße, an einem Mittwochnachmittag, stiegen zwei vermummte Gestalten ein, mit dem schwarz-weiß karierten Tuch – Kufiya – um das Gesicht gewickelt, die Kapuze der Jacke über den Kopf gezogen, standen sie bei den Türen, ich neben ihnen. Man konnte kaum ihre Augen sehen.

„Are there zionist pigs on the train?“, brüllte einer der beiden plötzlich mit eigenartigem Akzent, schottisch oder irisch, stellte sich auf die Zehenspitzen, um auch gehört zu werden. Wer allerdings am späten Nachmittag in Wien die U6 benutzt, wird erfahrungsgemäß aufgrund der Gespräche der Reisenden vermuten, dass diese aus einem Kulturkreis kommen oder in einem leben, in dem kaum Englisch mit irisch-schottischem Akzent gesprochen wird.

Der Größere

Da niemand reagierte, die Vermummten jedoch ihr Geschrei wiederholten, dazwischen lachten, sagte ich scherzhaft: „Euch versteht niemand, I could translate, if you want me to.“ Der Größere der beiden starrte kurz mich an, brüllte dann wieder: „Are there zionist pigs on the train?“

„You should ask in German, Turkish, or Arabic“, erklärte ich ihnen. Die Situation verdrehte sich ins Absurde. „Shut up!“, fuhr mich der Kleinere an. Sie brüllten und lachten wieder, bis ein stämmiger, junger Mann mit seitlich am Kopf hochgeschorenen, schwarzen Haaren die beiden in einer Sprache anschrie, die weder ich verstand, noch die beiden Vermummten – doch die meisten der dicht gedrängt stehenden Fahrgäste, denn sie murmelten zustimmend. 

„All zionist pigs are Nazis!“, sagte der kleinere Vermummte zu dem stämmigen, jungen Mann mit hochgeschorenen, schwarzen Haaren, der nun mich fragte: „Was wollen die beiden Idioten, was soll das mit Nazis?“ In perfektem Deutsch. „Er meint, wir alle sind Schweine und Nazis, keine Ahnung, was die beiden wollen“, sagte ich zu dem stämmigen, jungen Mann mit hochgeschorenen, schwarzen Haaren und ignorierte – nervös und zufällig – die ursprüngliche Bedeutung der Botschaft der Vermummten. Er rief etwas in den Waggon, das so wie vorher weder ich noch die beiden Vermummten verstehen konnten.

Der Kleinere

Es wurde lauter im Zug. Eine Mutter versuchte, mit ihrem Sohn das Innere des Wagens zu erreichen, Frauen wichen zurück. Vor den beiden Vermummten, und damit auch vor mir, der ich mich dummerweise eingemischt hatte, bildete sich eine Wand von Männern, die aufgeregt zueinander sprachen und weder ich noch die beiden Vermummten verstehen konnten. „Wenn wir die Station erreichen, geh einen Schritt zur Seite“, sagte plötzlich der stämmige, junge Mann mit den hochgeschorenen, schwarzen Haaren, „die verstehen doch kein Deutsch, oder?“ Ich schüttelte verneinend den Kopf.

Wir erreichten die nächste Station, Währinger Straße. Die Türen öffneten sich, ich ging einen Schritt zur Seite, zwei der Männer stießen mit voller Wucht die beiden Vermummten aus dem Wagen, sodass sie rücklings auf die Plattform fielen – und beschützten so an diesem Mittwochnachmittag den wahrscheinlich einzigen Zionisten in der U6, der angeblich gefährlichsten U-Bahn von Wien.

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Der Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 17/2025 erschienen.

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