Der zeitgenössische Sänger Andreas Gabalier erhält von einer Gesellschaft bayerischer Faschingsnarren einen Orden, der nach dem grandiosen, daher heute völlig vergessenen Komiker Karl Valentin benannt ist. Eine Randnotiz, möchte man meinen. Eine Ehrung wie ein Erdbeben!
Wenn man in diesen Tagen die Zeitungen durchforstet und die Onlineportale durchsurft, so entsteht der Eindruck, die Welt, zumindest aber deren österreichischer Teil, sei in drei Lager gespalten: jenes, das Andreas Gabalier am liebsten die Lederhosen ausziehen würde und ihn für einen gefährlichen Massenverführer hält; jenes, dem der Mann mit den kleinkarierten Schneuztücheln herzlich wurscht ist -eine schweigende Mehrheit zwar, doch in lauten Zeiten wie diesen völlig irrelevant; und jenes stetig anwachsende Lager, das diesen Andreas Gabalier bedingungslos verehrt. Vergöttert -und wenn ja, warum?
Schwester Sabine, 66 Jahre alt und seit 47 Jahren Nonne, steht hier stellvertretend für Österreichs drittes Lager. Fragt man Gabaliers Manager Sepp Adlmann, wer der größte lebende Fan seines Schützlings sei, so nennt er spontan sie. "Mein Herz hat gepumpert wie bei einem kleinen Mäderl, so aufgeregt war ich", schreibt die in Wien lebende Klosterschwester dem in Graz lebenden Künstler am 13. September 2009 um 17.41 Uhr anlässlich eines kleinen Konzertes auf dem Heldenplatz in sein virtuelles Gästebuch. "Es war so schön, das Leuchten in deinen Augen zu sehen, ich hab einfach gespürt, mit welcher Begeisterung du Musik machst, und das auf eine so schlichte und natürliche Weise."
Und Gabalier, damals noch eher schüchtern-verschämter Newcomer als breit grinsender Superstar, antwortet: "Es hat mich auch sehr gefreut, eine Klosterschwester im Publikum begrüßen zu dürfen! Meine Mama hat auch 25 Jahre in der Klosterschule Mariengasse in Graz unterrichtet, und dort beten auch gaaanz liebe Schwestern für mich. Und das freut mich sehr!"
Das religiöse Moment
Die Freude ist wechselseitig. Und krisenresistent. 20 knallrote Bene-A4-Ringmappen hat Schwester Sabine seither mit Zeitungsschnipseln, ausführlichen biografischen Notizen und ganz persönlichen Erfahrungen und Bemerkungen zu Gabalier gefüllt. Vierzig Gabalier-Konzerte hat sie besucht. An die 300 Soundfiles mit Gabalier-Interviews hat sie angelegt. Und wenn sie zu ihrer schwarzen Kutte die roten Gabalier-Sonnenbrillen, die elegante Gabalier-Armbanduhr für Damen und das markante Gabalier-Taschentuch trägt, so hat das, im Gegensatz zum Faschingsorden, nichts mit Karneval und krampfiger Kostümierung zu tun. Die dunkle Ordenstracht steht für ihre Beziehung zum Herrgott. Die grellen Einsprengsel stehen für -ja, wofür eigentlich?
"Ich habe nicht nach einem Idol gesucht, das ich anhimmeln kann", sagt Schwester Sabine. "Nein, er ist kein Glaubensbringer. Aber trotzdem verkörpert Andreas Gabalier für mich die Hoffnung -auf ein positives Weiterleben trotz Trauer, trotz Zorn. Und ja, wenn Sie so wollen, ist das durchaus ein religiöses Moment."
Theresa, so hieß Schwester Sabine vor ihrem Eintritt in den Orden mit Vornamen. Sie stammt vom Land, gerade einmal vier Häuser und eine Wallfahrtskirche auf einem sanften Hügel im Mühlviertel, das ist - bescheiden, aber beschaulich -die Welt ihrer Kindheit. Fast deckungsgleich mit der Welt in Gabaliers Liedern.
"Da steht a Häuserl im Wald in der Wiesn, die scheensten Blumen blühen drum herum", singt er. "Es steht leer und fällt fast auseinander, verlassen, und ka Mensch weiß, warum."
Die guten Zeiten, wo sind sie hin? Theresa versteht die Aufregung nicht, die entsteht, wenn Gabalier sagt, die Frauen sollten doch etwas länger daheim bei den Kindern bleiben. Sie versteht nicht, weshalb sich alle so aufplustern, wenn Gabalier sagt, als Manderl, das noch auf Weiberln steht, habe man es nicht leicht auf dieser Welt. Ja, und sein Postulat vom Kreuz an der Wand im christlichen Land - wie das jemand nicht verstehen kann, das versteht sie schon gar nicht. Vielleicht hat das irgendwie auch mit ihrem Job zu tun. Einzig dass Heinz-Christian Strache, immerhin Vizekanzler, für Gabalier stets so beredt in die Bresche springt, das versteht sie nur allzu gut: "Ich glaube schon, dass er den Andreas vereinnahmen will und so aus ihm einen politischen Künstler macht, der er nicht ist."
Theresa ist das jüngste von fünf Geschwistern, der Vater arbeitet für einen Wochenlohn von 450 Schilling in der Fabrik, die Mutter betreibt daheim eine kleine Landwirtschaft mit zwei Kühen, ein paar Schweinen und Hühnern. Sie erinnert sich an die erste Phase im Kloster und an die kleine Gastwirtschaft unmittelbar daneben: Die Stube beherbergt ein Radio, und das Radio beherbergt den Zeitgeist. "Rote Lippen soll man küssen" läuft da in einer Art Endlosschleife, Sir Cliff Richard auf Deutsch. Und "Sugar, Sugar Baby" von Peter Kraus.
"Kann ma beim Hulapalu die Sterndal sehn, sag mir, wie soll des gehn?", fragt sich gut ein halbes Jahrhundert später Andreas Gabalier.
Millionen Menschen gefällt das. Nicht wenige aber halten seine Musik für total reaktionär und seine Gefühle für eine Ansammlung abgegriffener Klischees. Und genau das, glaubt Gertraud aus der Steiermark -die ein Fanforum mit 14.000 Mitgliedern verwaltet -, kränkt Gabalier. Und was ihn kränkt, das kränkt auch sie. Und was sie kränkt, kränkt auch Schwester Sabine.
Grinsen als Schutzschild
"Er versteckt sich immer öfter hinter einem spöttischen Grinsen, weil ihm die Medien meistens unrecht tun", sagt Gertraud. Sie kennt Gabalier schon seit mehr als einem Jahrzehnt persönlich und auch seine Mutter, die sie zu Konzerten begleitet, und auch seinen Bruder Willi, dessen Hochzeit sie beiwohnen durfte. Und sie kennt auch Schwester Sabine, die sie am 26. Oktober 2010 in der Wiener Stadthalle zum ersten Mal traf. Das erste gemeinsame Konzert, "Musik in Rot-Weiß-Rot" hieß die Veranstaltung, und Gabalier war nur einer von vielen Bühnenacts.
Die Fotos, die Gertraud in der Frühzeit ihrer Gefolgschaft schoss und die sie nun wie einen zeithistorischen Schatz hortet -sie zeigen einen ganz anderen Gabalier, noch ohne Schneuztuch, ohne Sonnenbrille und Geweihmikrophon, ohne Mountainman-Muckis und Tanzposen, welche die Gegnerschaft hartnäckig an Hakenkreuze erinnern. Dafür aber "frisch und fröhlich", wie Gertraud sagt. "Den Andi, wie er halt wirklich ist."
Den wahren Andi, den kennt auch Schwester Sabine. Sie ist eine von jenen 80.000 pro Konzert, die fast jede Zeile auswendig kennen. Singen ja, klatschen ja, mit dem Handy leuchten ja, aber enthemmt kreischen wie ein Groupie, das lehnt sie, zumindest für sich, ganz entschieden ab. Sie selbst war zwar auch einmal verliebt, allerdings ohne den ganz großen Liebeskummer. Und ohne ernste Gefahr, ihr Leben im Dienste des Glaubens aufzugeben. Jeden Tag, auf dem Weg zur Schule, hielt sie an der Wallfahrtskirche inne, und auch wenn ihr der eine oder andere Einflüsterer von einer reichen Heirat und einem gemütlichen Job im Büro vorschwärmte: "Für mich war der Weg ins Kloster irgendwie ganz selbstverständlich, ganz normal."
Ihr älterer Bruder, Joseph, wurde Pfarrer. Das war lange vor Andreas Gabaliers Geburt. Joseph starb jung, bereits mit 38, an einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse, da war Gabalier gerade einmal drei. "Er war Andreas dem Wesen nach sehr ähnlich und hatte auch ein ähnliches stimmliches Timbre", sagt Schwester Sabine. Und: "Er spielte ebenfalls Knopfharmonika und Gitarre und sang sehr gerne. Manchmal setzte er sich mit seiner Harmonika auf einen Baum und spielte da oben voller Freude."
Österreich, das Josephsland
Und Österreich, das ist unbestritten, ist ein Land voller Josephs. Gerade außerhalb der Ballungszentren, da gab und gibt es noch heute sehr viele Menschen, die Knopfharmonika spielen. Und Menschen, die Menschen kennen, die Knopfharmonika spielen. Auf Knöpfe tippen und in Erinnerungen kippen, Erinnerungen, die manchmal vielleicht ein bisserl behübscht, ein bisserl bekitscht, ein bisserl frisiert sind. Gschneizt und kamplt, würde der Andreas Gabalier sagen, der all diese Erinnerungen erfolgreich bündelt.
Aber er bündelt ausschließlich die guten, um sich, wie Schwester Sabine glaubt, von den eigenen schlechten abzulenken und zu erholen -um sich selbst zurück ins Leben zu holen. "Und damit auch all die anderen, die ähnliche Verluste verkraften mussten wie er."
Früher, als es ihm dreckig ging, zog er sich mit seiner Harmonika auf eine Almhütte zurück und brachte sich, nachdem ihn ein Cousin die Grundgriffe gelehrt hatte, den Rest langsam selber bei. All das weiß Schwester Sabine. Erst hatte sich der Vater das Leben genommen, zwei Jahre später auch noch die Schwester. Man darf das schreiben, ohne indiskret zu sein, Andreas Gabalier hat das selbst bei "Vera" im Fernsehen erzählt, es ist Teil der offiziellen Biografie.
Zwischen Trauer und Zorn
Schwester Sabine kannte Gabaliers Oma Maria gut, die beiden Frauen waren im Laufe der Jahre zu echten Vertrauten geworden, und sie kennt auch dessen Mutter Huberta gut. Nach einem Wien-Konzert übernachtete Huberta einmal bei Schwester Sabine, im Gegenzug lud Huberta sie in die Steiermark ein, um ihr das Graz ihres Sohnes zu zeigen. Und auch die Gräber.
Schwester Sabine glaubt zu wissen, wie nahe Gabalier all das wirklich ging, wie sehr und wie lange er mit dem Schicksal haderte, wie oft er zwischen Trauer und Zorn schwankte. Und dass er dabei auch immer wieder dem Herrgott, ihrem Herrgott, die Schuld gab - um sich dann, auch in der Musik, zu versöhnen. Dass Gabalier nicht verbitterte, das hält sie "für nicht weniger als ein kleines Wunder".
"Hinterm Horizont, wo ma daun für immer wohnt, hinterm Horizont wirst du für dei Leben belohnt, hinterm Horizont findest du die ewige Ruh, hinterm Horizont, wo ma daun ois Engerl wohnt", singt Andreas Gabalier.
Für einige ist hinterm Horizont auch weit jenseits der Schmerzgrenze. Aber ist es deswegen auch schon volkstümelnd und volksdümmelnd? "Es tut weh, wenn manche meinen, seine Texte als primitiv abqualifizieren zu müssen", sagt Schwester Sabine. "Das zeigt nur, dass sie sich nicht wirklich damit befasst haben oder dass sie den feinen Hintersinn nicht verstanden haben."
Schwester Sabine steht Tag für Tag pünktlich um 4.15 Uhr früh auf. Dann kleidet sie ihre ältere Schwester an, ihre richtige, denn auch die ging bereits als junge Frau ins Kloster und ist mittlerweile auf den Rollstuhl angewiesen. Dann folgt das Morgenlob. Manchmal spricht Schwester Sabine nur ein paar Psalmen, manchmal ganz still für sich, manchmal halblaut, manchmal sind es vorgeformte Gebete, manchmal ergibt sich daraus auch ein stummes Zwiegespräch mit Gott. Aber immer, immer schließt sie Andreas Gabalier in ihre Gebete mit ein.
Andreas Gabalier. Den Andi. Und auch die Menschen, die ihn verachten?"Vielleicht", sagt Schwester Sabine, "vielleicht sollte ich das - aber so weit bin ich noch nicht."
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 6/19
Kommentare
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