Mit dem neuen Kanzler ist Ruhe und Gelassenheit eingekehrt in der österreichischen Politik. Zunehmend wird aber auch klar, was für den 65-Jährigen gefährlich werden könnte
ANALYSE DER WOCHE
Österreichische Politik ist lange von Getriebenen bestimmt worden, die gerne blendeten und mehr Wert auf Darstellung als auf Inhalt legten, denen es tagein, tagaus eher nur um eigene Umfragewerte und das Niedermachen von Mitbewerbern ging. Dann kam Christian Stocker: Der nunmehrige Kanzler und ÖVP-Obmann wirkt ruhig, gelassen, ja immerzu freundlich. Seine Funktionen hat er nicht angestrebt, sie sind ihm zugefallen. Als Chef der Dreiparteienkoalition ist es ihm ein Anliegen, Kompromissfähigkeit zu betonen.
Das kommt an. Gerade in turbulenten Zeiten wie diesen. Die bürgerliche „Presse“ berichtet erfreut, „sogar“ der links-liberale „Standard“ sei begeistert. Dieser hat Stocker zumindest Anerkennung gezollt und geschrieben, dass sich „ein unprätentiöser Typ“ wie er als Kanzler noch „als Segen“ erweisen könnte.
Der 65-Jährige hat aber auch Seiten, die gefährlich werden könnten für ihn. Er scheut sich nicht, dazu beizutragen, dass ausgerechnet sein Vorgänger Karl Nehammer, der die gegenwärtige Budgetkrise mitverschuldet hat, zu einer Führungsposition in der Europäischen Investitionsbank kommt. Damit riskiert er Glaubwürdigkeit: Es scheint, Parteifreundschaft sei ihm wichtiger, als im Sinne der Allgemeinheit von einer solchen Freunderlwirtschaft von gestern abzusehen.
Parallel dazu steht er unter Druck, Entscheidungsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen zu demonstrieren, also auch unfreundlich zu sein, wenn es sein muss. Nicht zuletzt in der ÖVP. Länder legen sich bei der Budgetsanierung quer, Bauern gegen das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur--Staaten, auf das Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) drängt: Dafür, hier Klarheit zu sorgen, ist Stocker als Kanzler und Parteiobmann zuständig.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 15/2025 erschienen.