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Alles Mörtel? Der Abklatsch vom Klatsch-TV

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Peter Plaikner

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Ausgerechnet der Kanal für „Kultur und Information“ übertrug die Gedenkstunde für Richard Lugner aus dem Stephansdom. Die mangelnde Klatsch-Distanz des ORF ist ein historisch bedingtes Erfolgsgeheimnis. Doch diese Medienzeiten sind vorbei

Wer braucht noch „Das Dschungelcamp“, mit dessen Jubiläumsausgabe der meteorologische TV-Herbst begonnen hat? Als es vor 20 Jahren gestartet wurde, konnte niemand ahnen, dass 50 Tropennächte keine exotische Kulisse benötigen. Wien tut’s heute auch. Und was von hier an Promi-Fernsehen kam, mutete schon einst exotisch an. Bereits vor dem Dschungel-Trash des großen RTL mit dem 2003 noch stärksten Marktanteil in Deutschland hatte das kleine ATV die Latte für Österreichs Schlüsselloch-Perspektive tiefer gelegt: „Die Lugners“ wurden ein Quoten-Zugpferd für den hier ersten bundesweit terrestrisch empfangbaren Privatsender. Entsprechend nachvollziehbar ist der Aufwand, mit dem das mittlerweile zum Konkurrenten Puls 4 gehörende Programm den Tod des Baumeisters betrauerte.

Die Bussi-Bussi-Innovation

Unklar bleibt bis heute, warum ORF III – Untertitel „Kultur und Information“ – als „Host-Broadcaster“ (Selbstdarstellung) der Live-Übertragung einer Gedenkstunde für Richard Lugner im Stephansdom fungierte. Bei stiller Verwunderung wäre es auch geblieben, hätte sich nicht FPÖ-Stiftungsrat Peter Westenthaler maßlos über ORF-Routinier Roland Adrowitzer echauffiert, der an der Zeremonie etwas „zum Fremdschämen“ empfand. Und sogar das wäre im Seichten der tropentäglichen öffentlichen Wahrnehmung verdunstet, hätte sich nicht ORF-III-Chef Peter Schöber für die nachvollziehbare Einschätzung des journalistischen Haudegens dann schriftlich entschuldigt: „Sollten (…) Formulierungen gefallen sein, die die Gefühle der Hinterbliebenen verletzt haben, so bedauern wir das ausdrücklich.“

Das klingt sensibel und pietätvoll. Doch da der Geschäftsführer nur selten an die Öffentlichkeit geht, sind nun manche Prioritäten des ORF zu hinterfragen. Als er im Herbst 1987 erstmals die „Seitenblicke“ ausstrahlte, war dies ein halbes Jahr vor „Bundesland heute“. Noch vor der Regionalisierung gab es also eine Boulevardisierung als uneingestandene Abwehrreaktion gegen das deutsche Privat-TV. Der Erfolg dieser Wiener Bussi-Bussi-Innovation faszinierte Programmacher von München bis Hamburg. Letztlich wurde das Flair des Originals aber nirgends erreicht. Der öffentlich-rechtliche Dammbruch half auch im Wettbewerb mit der „Krone“ und ihrem „Adabei“ – damals noch Roman Schliesser.

Vorwärts in die Vergangenheit

Im enormen Erfolg der von Teddy Podgorski erfundenen „Seitenblicke“ liegt der historische Schlüssel zur mangelnden Klatsch-Distanz des ORF. Sie wiederum hat die Rolle von Lugner samt Vereinnahmung des Opernballs mitermöglicht. Sein Spitzname „Mörtel“ geht aber nicht von ungefähr auf Schliessers einstigen „Adabei“-Nachfolger Michael Jeannée zurück, der in der „Krone“ weiter ohne Ablaufdatum ausgeistert. Die Zeiten sind vorbei. Mehr noch, als Social Media zu Boulevardisierung von Journalismus führt, setzt es neue Maßstäbe der Society-Wahrnehmung. Die Übertragung der Lugner-Gedenkstunde war ein Abklatsch von Vergangenheit. Ein Kanal für „Kultur und Information“, der dauerhaft bestehen will, kann auf eine solche Selbststilisierung verzichten.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: pp@plaikner.at

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