Von Manhattan mit der D-Linie durch Brooklyn bis zur Endstation erreicht man das russische Viertel Brighton Beach. Bei wunderbarem Ausblick auf die Bucht von New York bieten Cafés auf der breiten Promenade roten und schwarzen Kaviar, Buzhnina, Shuba, schwarzen Tee und Blinis. Von hier aus arbeitete einst die Russian Pravta, die russische Mafia, auch „Potato Bag Gang“ genannt, die geschmuggelte Uhren, Schmuck und Gold aus der ehemaligen Sowjetunion anbot, doch unter den gefälschten Wertsachen fanden die Käufer später in den Taschen nur Kartoffeln.
In der Nähe von Brighton Beach erinnert eine Brücke, die die New Yorker Stadt teile Brooklyn und Staten Island verbindet, an den fast vergessenen Entdecker der Ostküste Nordamerikas – die Verrazzano-Narrows Bridge. Im Gegensatz zur dichten Skyline von Manhattan hat Staten Island großzügige Parkanlagen, Rehe und Hirsche grasen in den Wäldern zwischen den Siedlungen mit Einfamilienhäusern.
Giovanni da Verrazzano wurde 1485 auf dem Castello di Verrazzano geboren, der Burg seiner Familie südlich von Florenz. Es drängte ihn schon als jungen Mann aus Italien. Nach mehreren Jahren in Syrien und Ägypten, Gebiete, die als unerreichbar galten, meldete er sich in Frankreich zur Marine. 1507 traf er Franz I., den König Frankreichs, der ihm ein Schiff übergab, mit dem er spanische und portugiesische Schiffe überfallen sollte – sozusagen als „offizieller Seeräuber“ im Dienste des Königs.
Welthandel
Der Adel Frankreichs beobachtete damals argwöhnisch und voller Eifersucht die Erfolge der Entdecker Columbus, Vespucci und Magellan, die neue Handelswege nach Asien und Amerika suchten. Frankreich fürchtete, den Anschluss an den Welthandel zu versäumen.
Verrazzano überredete den französischen König, eine Expedition zu finanzieren, um die Umfahrung Nordamerikas in Richtung Asien zu finden und damit einen weitaus schnelleren Weg als die langwierige und gefährliche Reise um die Südspitze Afrikas.
Mit vier Schiffen machte sich Verrazzano auf den Weg nach Nord-Amerika. Zwei Schiffe verlor er in Stürmen und hohem Seegang. Die anderen beiden, die „Delfina“ und die „Normanda“, wurden von spanischen Schiffen angegriffen. Mit der „Delfina“, dem letzten der vier Schiffe, erreichte er am 17. Jänner 1524 die Küste von Florida.
Verrazzano hoffte, im Norden eine Wasserstraße oder Umfahrung des Landes in Richtung Westen zu finden, und fuhr die Küste entlang, bis er im April 1524 als erster Europäer die Bucht von New York er reichte. Er traute dem Fluss nicht, verzichtete auf eine Fahrt flussaufwärts, verließ die Bucht und suchte weiter nördlich an der Küste nach einer Durchfahrt.
Kannibalen
Im Herbst 1524 musste er mit Einbruch des Winters die Expedition an der kanadischen Küste abbrechen und kehrte nach Frank reich zurück. Er versuchte es mit anderen Forschungsreisen, landete 1526 in Brasilien und brachte große Mengen Baumaterial nach Frankreich. Im März 1528 erreichte er die Karibik. Dort entdeckte er eine fruchtbare, scheinbar unbesiedelte Insel in der Nähe von Jamaica. Bei dem Versuch, sie zu besetzen, überraschten ihn die Eingeborenen und nahmen ihn gefangen. Ein Teil der Gruppe konnte sich retten und musste mit ansehen, wie Verrazzano von Kannibalen zerteilt und verspeist wurde.
In den folgenden Jahrhunderten geriet Verrazzano in Vergessenheit. Wissenschaftler gingen davon aus, dass der englische Seefahrer Henry Hudson die Bucht von New York als Erster entdeckt hatte. Auch er war auf der Suche nach einem Weg nach Asien und fand 1609 an der Ostküste die Mündung eines breiten Flusses – heute der Hudson River zwischen Manhattan und New Jersey. Hudson glaubte, endlich eine Verbindung gefunden zu haben, fuhr weiter flussaufwärts, bis sein Schiff auf Grund lief.
Er gab jedoch nicht auf, versuchte es 1611 mit einer neuen Expedition, fuhr die Küste entlang nach Norden, bis er die nach ihm benannte Hudson Bay im heutigen Kanada erreichte. Auch ihn überraschte die Kälte des kanadischen Winters, doch er wollte nicht umkehren. Er war sich sicher, eine Durchfahrt gefunden zu haben. Ohne Nahrung und bei eisigen Temperaturen meuterte die Besatzung. Sie setzten Hudson und ein paar seiner Getreuen in ein Boot, gaben ihnen ein Gewehr und einen Kübel voll mit Getreide und kehrten zu rück nach England. Hudson ward nie mehr gesehen.
Entdecker
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts galt Verrazzano als der wenig glaubwürdige Draufgänger und Hudson als seriöser Entdecker. Erst um 1950 gelang es Wissenschaftlern durch Analyse des Briefwechsels zwischen Verrazzano und König Franz I., in denen Verrazzano den Verlauf der Küste, Pflanzen und Tierwelt beschrieben hatte, nachzuweisen, dass der Italiener tatsächlich der Entdecker der Bucht von New York war.
1959 begannen die Bauarbeiten für die Brücke nach Staten Island. Die Italian Historic Society forderte, endlich den wahren Entdecker von New York mit dieser Brücke zu ehren, doch Robert Moses, der einflussreiche Stadtplaner, lehnte die Initiative ab – es gebe nicht genügend wissenschaftliche Beweise.
Die Lobby der Italiener in den USA gab nicht auf, Kongress- und Senatsabgeordnete wie der Bürgermeister von New York wurden mit Petitionen konfrontiert, bis W. A. Harriman, der Gouverneur von New York, bekannt gab, die neue Brücke nach Verrazzano zu benennen.
Doch das war nicht das Ende. Der Student Robert Nash forderte 2016 mit einem Antrag an die Stadtverwaltung, dass der Name geändert werde. Bei der Eröffnung wurde Verrazzano nur mit einem Z geschrieben. 2018 bekam die Brücke endlich ihren jetzigen Namen und der Entdecker von New York die ihm gebührende Erinnerung und Anerkennung.