Der Wählerwille ist ein weites Land. Was der Wähler wirklich will, kann er oft selber nicht sagen, und er muss es auch nicht: Es reicht, wenn er klarmacht, was er nicht will, denn Demokratie bedeutet in erster Linie, dass man eine Regierung abwählen kann. Das ist in unseren Breiten gar nicht mehr so leicht, wie man dieser Tage live erleben kann
Was der Wähler wirklich will, weiß niemand so genau, heißt es oft, und das mag tatsächlich stimmen, denn „der Wähler“ existiert ja nur als Individuum, weshalb die Erforschung des „Wählerwillens“ als Ausdruck eines erkenn- und formulierbaren Kollektivwunschs sehr schnell in die Irre führt. Trotzdem bleibt das die Frage, die nach Wahlen alle umtreibt: Warum haben die Wählerinnen gewählt, wie sie gewählt haben? Welche Regierungszusammensetzung hatten sie im Sinn? Welche Programme möchten sie umgesetzt sehen?
Zu den Vorteilen der direkten Demokratie gehört, dass sie weniger geheimnisvoll ist. Wenn es, wie in der Schweiz, auf kommunaler Eben selbstverständlich ist, große Vorhaben in Infrastruktur, Kultur oder Bildung, die entsprechend großen öffentlichen Mittelaufwand bedingen, zur Abstimmung zu bringen, hat das den Vorteil, dass man unmittelbar weiß, was die Wählerinnen wollen und was nicht. Schließlich müssen sie dann ja auch die für die zusätzlichen Ausgaben benötigten Einnahmen im Wege von erhöhten Steuern stemmen. Die Frage, was der Wähler will, wird da schnörkellos beantwortet, mit ja oder nein. Das schafft Klarheit, und selbst die Nichtteilnahme an der Abstimmung (die bange Frage: Was wollte der Nichtwähler?) bedarf keiner Interpretation: Sie bedeutet ein Nein.
Andere Debatten
Die Kombination von indirekter Demokratie und Feudalföderalismus, die wir in Österreich haben, führt zu anderen Debatten. Ich erinnere mich noch, dass in der Gegend, aus der ich stamme, nach einem großen Unwetter mit schweren Schäden in der Gemeinde diskutiert wurde, ob man zur Vermeidung künftiger Schäden ein relativ groß angelegtes Verbauungsprojekt starten sollte. Das Hauptargument der Gemeinde war: Bezahlt wird das ohnehin von Bund und Land, man kriege das gewissermaßen gratis. So argumentieren sehr oft Politiker, die bei anderer Gelegenheit die Vollkaskomentalität der Bevölkerung beweinen.
Es gehört zu den Merkmalen der repräsentativen Demokratie, wie wir sie hier und heute leben, dass der Wähler nicht dazu gezwungen werden kann, zu sagen, was er wirklich will, weshalb man es hinterher auch wirklich oft schwer sagen kann. Die Wählerin delegiert nicht nur ihre Stimme für einen gewissen Zeitraum an ihren Repräsentanten, sondern damit letztendlich auch die Formulierung ihres Willens. Was immer die Abgeordnete X während einer Legislaturperiode an Wünschen und Anträgen formuliert, muss auch als das genommen werden, was die Wählerin Y wirklich will. Beim nächsten Mal reicht es der Wählerin deshalb möglicherweise auch, laut und deutlich zu sagen, was sie nicht will. Das tut sie immer öfter und immer deutlicher.
In der repräsentativen Demokratie gibt es mit dem Trend, dass Wahlergebnisse immer öfter hauptsächlich sagen, was die Bürger nicht wollen, ein kleines Problem: Ohne die Parteien, denen man gerade gesagt hat, dass man sie nicht will, kann man keine Regierung bilden, weil auch die Zeit der absoluten Mehrheiten in den westlichen Demokratien längst vorbei ist. Irgendeiner der Verlierer wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch der nächsten Regierung angehören, vor allem, wenn man, wie in Österreich und Deutschland, so klug ist, diejenigen, von denen man weiß, dass sie wahrscheinlich zu den Siegern gehören werden, von vornherein von einer Regierungsteilnahme ausschließt. Das ist zwar innerhalb unseres Systems vollkommen legitim, führt aber mittelfristig zu nichts, wie wir bald sehen werden.
Keine Unklarheiten
Darin liegt der Vorteil von starken Präsidialsystemen mit Zweiparteiensystemen wie in den Vereinigten Staaten oder forcierten Mehrheitswahlsystemen wie im Vereinigten Königreich: Es gibt zwar viele verlorene Stimmen, wenn man auch mit weniger als 50 Prozent der Stimmen mit absoluter Mehrheit regieren kann, aber es gibt keine Unklarheiten über die Verantwortung für das Scheitern einer Regierung. Das letztklassige Schuldzuweisungstheater der krachend gescheiterten deutschen Ampelregierung wird einem da genauso erspart wie die Regierungsbildungs-Löwingerbühne hierzulande, wo immer, wenn einer das Zimmer verlässt, der andere über ihn schimpft, bis der Dritte hereinkommt, und dann, wenn der Zweite rausgegangen ist, der Erste und der Dritte sich darüber auslassen, was denn nicht der eben Abgegangene für ein Hiasl sei, was der aber hört, weswegen er sich hinterher bei den Zusehern beklagt, wie ungerecht die Welt ist.
Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass man die Regierung abwählen kann, und dass es mit der Demokratie nicht besonders gut steht, erkennt man nicht zuletzt daran, dass die Regierung, die man gerade abgewählt hat, in veränderter Zusammensetzung bei der Hintertür wieder hereinkommt. Das macht die Menschen genauso zornig, wie wenn man ihnen sagt, dass die Partei oder der Kandidat, die oder den sie gewählt haben, moralisch unqualifiziert oder zu dämlich sei, um zu regieren. Dazuzusagen, dass man damit nichts gegen die Wähler gesagt haben will, macht die Sache nicht wirklich besser, im Gegenteil: So dämlich, wie die Propagandisten des Establishments sie darstellen, können die Trump-, AfD- oder FPÖ-Wahler ja gar nicht sein.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 46/2024 erschienen.