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2nd Opinion: Willkommen im Weltuntergang

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7 min

Karl Kraus und Gustav Mahler wie ChatGPT sie sieht.

©KI-generiertes Bild von ChatGPT/DALL·E

Ein langhaariger Wehrunfähiger führt die Deutschen in den Krieg gegen Russland, Europa besinnt sich auf die Macht des Fiskus und vor uns liegt der letzte Sommer ohne Krieg. Da gibt’s nur eines: Auf nach Wien.

Wer noch nicht in Wien wohnt, sollte es sich jetzt überlegen: „Wenn die Welt einmal untergehen sollte“, soll einst Gustav Mahler, Hofoperndirektor uns hassliebender Wiener, gesagt haben, „ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles 50 Jahre später.“ Das Zitat wird, mit einer auf zehn Jahre verkürzten Zeitangabe bezüglich des verspäteten Weltuntergangstermins, auch Karl Kraus zugeschrieben, dessen Hassliebe zu Wien allerdings nur seine Hassliebe zu Karl Kraus widerspiegelte.

Mahler und Kraus, also der Übergang von der Spätromantik zur Moderne und der Übergang von der Selbstironie zum Selbsthass, markieren zwei wesentliche Pfeiler des europäischen Selbstbewusstseins, und dass man das Zitat, wie jedes gute Zitat, jederzeit auch Oscar Wilde oder Winston Churchill zuschreiben würde, macht das Bild fast schon vollständig: Schöpferische Leidenschaft, quälerische Selbstreflexion, leichtfüßige Schwermütigkeit und die Bereitschaft zur Größe sind die wesentlichen Bestandteile dessen, was man als eine die Zeiten und Imperien überdauernde europäische Identität bezeichnen könnte.

Falls Sie Schwierigkeiten haben, diese Einschätzung mit dem Wirken Ursula von der Leyens in Einklang zu bringen, kann ich Sie beruhigen: Das Problem liegt nicht auf Ihrer Seite.

Mahler und Kraus: Der Übergang von der Spätromantik zur Moderne und der Übergang von der Selbstironie zum Selbsthass

Untergänge

Wien, der Weltuntergang und Europa scheinen seit jeher zusammenzugehören, und selten bekam man das so deutlich vor Augen geführt wie in diesen Tagen. Peter Sloterdijk, dessen Vorlesungen am Collège de France im vergangenen Herbst als Buch erschienen sind (Der Kontinent ohne Eigenschaften), bezeichnete Europa kürzlich in einem Interview als „Klub der gedemütigten Imperien von einst“. Man kann das live mitverfolgen, in Farbe sozusagen, wenn der französische Präsident seine Truppen abschreitet, wie einst der ungefähr gleich große Bonaparte, während ihm die französischen Gerichte politisch den Arsch retten müssen. Oder wenn der Ministerpräsident des Vereinigten Königreichs über britische Truppen in der Ukraine spricht, als käme er gerade von einer Inspektionsreise zu den britischen Überseegebieten zurück.

Es ist noch keine eineinhalb Jahrzehnte her, dass Europa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde – auf den üblichen Anruf beim Preisträger hat man damals angeblich verzichtet, weil man nicht gewusst hätte, wo man anrufen soll, und sich eine solche Nachricht ohnehin recht schnell herum-spricht –, und wenn damals einer gesagt hätte, dass 13 Jahre später die Grünen unter der Leitung eines langhaarigen Wehrunfähigen im Dreiteiler (1990 wurde Toni Hofreiter vom Bundeswehrarzt ausgemustert) Deutschland in den Krieg gegen Russland führen würden, hätte er jedenfalls mit der Einlieferung in eine einschlägige Anstalt rechnen müssen. Heute findet bloß noch eine Hausdurchsuchung statt, wenn man einen Grünen Schwachkopf nennt.

Da ist doch vieles durcheinandergekommen in den letzten Jahren, und es sieht sehr danach aus, als wollte sich ein Gutteil des politischen Personals vom äußersten Westen bis zum fernen Osten gleichzeitig in eine Art Schlussgefecht stürzen, in dem es um Herrschaft oder Untergang geht. Amerika gegen China, mit oder ohne Russland weiß man noch nicht, jeder Birkenstockaktivist von einst ist heute Geopolitiker. Europa will wieder zur Großmacht werden und sich mit 800 Milliarden Euro verschulden, um sich das Abschreckungspotenzial wiederanzueignen, das es sieben Jahrzehnte lang der sozialstaatlichen Überrüstung geopfert hat. Irgendjemand muss in den Archiven auf den berühmten Satz eines mittelalterlichen Reichsbeamten gestoßen sein, der da sagte: Ubi est fiscus, ibi est imperium, wo die Steuer wohnt, da wohnt die Macht.

Schon vor 20 Jahren ventilierte übrigens Peter Sloterdijk in seinem Essay „Falls Europa erwacht“ die Vorstellung einer transatlantischen translatio imperii: Fiskus, Macht und Wissen hätten den Ozean überquert und dort das Imperium neu begründet, das zuvor über die Jahrhunderte in Europa weitergereicht worden war. Ablesen könne man das an der römisch-imperialen Architektur von Washington.

Es ist gar nicht so leicht, sich einigermaßen ruhig und rational zu verhalten in einer explosiv gewordenen Atmosphäre, in der sich historisch-revanchistische Ambitionen, zeitgenössischer Machtinstinkt und der Wunsch, es endlich einmal richtig zu machen, zur Endzeitstimmung verdichten. Man möchte allen Beteiligten raten, sich ein bisschen einzukriegen, weil der Weltuntergang, den man sich nur lang genug herbeifantasiert, irgendwann auch tatsächlich stattfindet. Es könnte aber auch alles anders sein, sagte Alfred Adler, und so könnte es natürlich auch sein, dass wir tatsächlich auf die große Explosion zusteuern und der letzte Sommer in Frieden, den der Historiker Sönke Neitzel den Deutschen für heuer in Aussicht gestellt hat, eigentlich schon letztes Jahr verbraucht worden ist. Unsereiner wäre dann einer der wenigen Blinden, die nicht gesehen haben, was jeder sehen konnte.

Ich habe dennoch vor, ruhig zu bleiben. Ich lebe ja schon in Wien, mehr denn je, möchte ich sagen.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 14/2025 erschienen.

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