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2nd OPINION: Was darf man glauben, wer schreibt Geschichte?

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Donald Trumps Account auf X wird auf einem Smartphone gezeigt.

©IMAGO / Sipa USA
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Das gottlob missglückte Attentat auf Donald Trump mitsamt den Heldenbildern und Verschwörungserzählungen, die in seinem Gefolge die globalen Gemüter erhitzen, wirft Fragen auf, die sich seit jeher stellen, aber in jedem Zeitalter in eigener Gestalt: Was darf man glauben, was kann man wissen, wer schreibt Geschichte?

Die Nachricht vom Attentat auf Donald Trump erreichte mich dort, wo der Sambesi, einer der mythischen Flüsse Afrikas, zwischen Sambia und Simbabwe auf einer fast unvorstellbaren Breite in die Tiefe stürzt: Der „donnernde Rauch“, Victoria Falls, Livingstone. Das hier ist ehemaliges Kolonialgebiet, die Stadt ist nach dem britischen Afrikaforscher David Livingstone benannt, der die Fälle angeblich im Jahr 1855 als erster Europäer gesehen und nach der englischen Königin benannt hat. Zweiteres ist verbrieft, ersteres darf man bezweifeln, weil die Fälle schon in deutlich früher veröffentlichten Kartenwerken relativ genau verzeichnet sind.

Der missglückte Mordanschlag auf den Vielgehassten mitsamt den dabei produzierten Heldenbildern und Verschwörungserzählungen und die fälschliche Zuschreibung an den Vielgerühmten werfen, trotz 170 Jahren Zeitdifferenz, dieselbe Frage auf: Was darf man glauben, was kann man wissen, wer schreibt Geschichte?

Geschichte schreiben diejenigen, welche die Deutungshoheit über das Zeitgeschehen innehaben

Geschichte schreiben diejenigen, welche die Deutungshoheit über das Zeitgeschehen innehaben. Die Historiker späterer Zeiten werden bei ihrer Darstellung unserer heutigen Gegenwart auf das angewiesen sein, was ihnen an Dokumenten und Relikten überliefert wird. Abgesehen vom Horror vieler Archivare, die in der Digitalisierung ein großes Geschichtsvernichtungsinstrument erblicken, bedeutet das nur, dass unsere heutigen Medien die Geschichtsklitterung von morgen ins Werk setzen, denn niemand, der bei Trost ist, wird behaupten wollen, dass das, was von den großen Medienanstalten der Gegenwart als Wirklichkeit vorgestellt wird, das tatsächliche Geschehen der Zeit auch nur annähernd getreulich abbildet.

Wirklichkeitsdarstellung

An wenigen Figuren der Jetztzeit lässt sich das schwierige Verhältnis zwischen Wirklichkeitsdarstellung und Wirklichkeit besser ablesen als an Donald Trump und der Frage, warum so viele Millionen Amerikaner jemanden wählen können, den wir so sehr verachten. Wenn es nach ARD, ZDF und ORF ginge, hätte Donald Trump nie Präsident werden dürfen, und schon gar nicht dürfte er wiedergewählt werden. Da aber weder die ARD noch das ZDF und auch nicht der ORF in den Vereinigten Staaten wahlberechtigt sind, hat es stattgefunden und wird womöglich wieder stattfinden, nach dem Attentatsversuch vielleicht noch eher als zuvor.

Doch halt, woher wollen wir das wissen? Auf welcher empirischen Grundlage veröffentlichen die Leitartikler in München, Stuttgart und Klagenfurt die Foto: beigestellt Überzeugung, dass ein Sieg des Unaussprechlichen nun nicht mehr verhinderbar sei, während die Essayisten in Berlin und St. Pölten eisern dagegenhalten, dass mit dem Überkochen der Polarisierung in diesem Mordversuch endlich eine Chance zur Beruhigung der amerikanischen Gemüter verbunden sein würde, was am Ende die Chancen der Demokraten, mit welchem Spitzenkandidaten auch immer, bedeuten könnte?

Geschichtsklitterung

Was darf man glauben, was kann man wissen, wer schreibt Geschichte? Die Antwort lautet: Geschichte schreiben unter den Bedingungen des Medientotalitarismus diejenigen, die Peter Handke einmal die „Fernfuchtler“ genannt hat, die Schreibtischtäter der guten Gesinnung, die der Empirie nicht bedürfen, weil sie im Haltungsüberfluss leben.

Geschichtsklitterung durch aktuellen Journalismus gab es freilich schon zu Zeiten des David Livingstone: Henry Morton Stanley, der Mann, der den lange als verschollen gehandelten Forscher 1871 in der Nähe des Tanganjikasees mit den berühmt gewordenen, aber nie von unabhängiger Seite bestätigten Worten „Doctor Livingstone, I presume?“ begrüßte, war ein Abenteurer und Revolverjournalist erster Güte, der seine eigene Biografie an vielen Stellen schönte. Auf die Suche nach Livingstone wurde er vom Herausgeber des Boulevardblatts New York Herald geschickt, und später war er für fünf Jahre der Vertreter des belgischen Königs Leopold im Kongo und mithin der Einfädler und Durchfüh- rer eines der großen Menschheitsverbrechen der Kolonialgeschichte. Seinem Ruhm in Europa tat das zunächst keinen Abbruch, erst gegen Ende seines Lebens kam die Wahrheit langsam ans Licht.

Es ist immer schon unmöglich gewesen, alles zu überprüfen, was man an Informationen geliefert bekommt. Früher, weil die technischen Mittel nicht vorhanden waren, heute, weil die technischen Mittel so mächtig und die Informationen so zahlreich sind. Ohne Vertrauen in die Informationsvermittler ging es nie und geht es auch heute nicht. Wenn wahr ist, was der Kommunikationswissenschafter Bernhard Pörksen sagt, dass wir nämlich in einer „redaktionellen Gesellschaft“ leben, weil jeder Medienkonsument potenziell auch Medienproduzent ist, sollten wir uns also alle immer die wichtigste Frage stellen, die Redaktionen zu stellen haben: „Kann das sein?“ Die handelsübliche Hauptfrage lautet allerdings: „Soll das sein?“ Und das ist das Problem.

Kurz zurück zu David Livingstone: Er starb 1873 in einem Sumpfgebiet im Norden des heutigen Sambia elend an der Ruhr, immer noch auf der Suche nach den Quellen des Nils. Ich bin vor einer Woche durch dieses Gebiet gefahren, es war lange Zeit nicht durchquerbar. Die Bitten der sambischen Regierung, die Region mit Straßendämmen und einer Brücke zu erschließen, wurden von Europäern und Amerikanern mit dem Hinweis auf die Undurchführbarkeit eines solchen Unterfangens abgelehnt. Die Chinesen haben das Teil dann einfach gebaut. Es steht noch immer. Falls es wahr ist.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 29/2024 erschienen.

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