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2nd OPINION: Wer entscheidet darüber, was politisch relevant ist?

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Andreas Babler

©IMAGO / Zoonar
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Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt, sagte Thomas Bernhard. Andreas Babler fordert eine Bankomatgarantie und sagt: Jeder ältere Mensch sollte das Recht auf einen Banktermin haben. Über politische Relevanz, richtige Flughöhe und die Frage, ob der Staat alle Probleme aller Menschen lösen kann und soll

Fragen der politischen Relevanz sind oft rhetorische Fragen. Wenn man jemanden, mit dem man eine politische Diskussion führt, fragt, ob das Anliegen, für das er sich gerade einsetzt – mehr Radwege für den Hindukusch, neue Richtlinien für die Grundsicherung, die rechtliche Gestaltung der österreichischen Rolle im Weltraum – im Vergleich zu afrikanischen Hungerkatastrophen oder zur Verfolgung von Andersdenkenden in den brutalen Diktaturen der Welt wirklich relevant ist, kann man sein Gegenüber leicht und billig in Verlegenheit bringen. Was Thomas Bernhard über alles sagte – „Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt“ – gilt selbstverständlich auch für die Politik. Wenn man an die Abertausenden Toten denkt, die jeden Tag der Sinnlosigkeit und Grausamkeit eines blinden Schicksals oder einer sehenden Bösartigkeit zum Opfer fallen, kann man wirklich alles, was derzeit und schon seit Langem in diesem Land passiert, einfach vergessen.

Manchmal kommt das auch unbeabsichtigt zum Ausdruck. Als ich am Wochenanfang den Morgen-Nachrichtenüberblick der österreichischen Tageszeitung meines Vertrauens konsultierte, las ich diesen Titel: „Israel warnt – Babler nimmt Banken ins Visier – Florida fürchtet katastrophale Überschwemmungen“. Tatsächlich könnte man geneigt sein, den Vorschlag einer „Bankomatgarantie“ und anderer Erleichterungen für ältere Bankkunden, die nicht alle Bankgeschäfte online erledigen können, mit dem der Spitzenkandidat der österreichischen Sozialdemokratie den Intensivwahlkampf eröffnet hat, angesichts der makroökonomischen und sicherheitspolitischen Großherausforderungen, die vor uns und der Welt stehen, für etwas kleinteilig – oder eben nicht besonders relevant – halten.

Andererseits: Würde Andreas Babler oder sonst eine Spitzenkandidatin im österreichischen Wahlkampf die Welt wissen lassen, was seiner oder ihrer Meinung nach im Nahen Osten, in der globalen Klimapolitik oder gegen die dräuende Rezessionsgefahr in den Vereinigten Staaten zu tun wäre, würde man vermutlich leicht belustigt feststellen, dass die Herren Netanjahu, Jinping und Powell ganz sicher sehr dringend auf den Ratschlag aus Traiskirchen oder Bad Aussee gewartet hätten.

Wer entscheidet darüber, was politisch relevant ist? Die Einzelne? Das Internet? Armin Wolf?

Politisch relevant zu bleiben, heißt nicht zuletzt, möglichst immer die richtige Flughöhe zu erwischen. Und die richtige Flughöhe erkennt man daran, dass das Thema, die Person, die das Thema behandelt, und die Menschen, für die das Thema persönlich wichtig ist, sich ungefähr im selben Teil des bewohnten Universums aufhalten. Wer zu weit über den Horizont der eigenen Wirksamkeit hinausgrast, wird leicht als größenwahnsinnig wahrgenommen (ungefähr so, wie der Regionalzeitungsaußenpolitikredakteur, der in den 80er-Jahren seinen Kommentar mit dem legendären Verdikt „So nicht, Herr Gorbatschow!“ beendete). Wer hingegen als österreichischer Kanzlerkandidat über einen Bankomaten im südsteirischen Großklein debattieren möchte, kann sich dem Verdacht aussetzen, dass er als Bürgermeister immer schon am besten aufgehoben war.

An diesem Punkt würde ich gerne eine Lanze für Andreas Babler und sein Thema „Banken und alte Menschen“ brechen, denn ich weiß, wie viele andere auch, dass das tatsächlich ein relevantes Thema ist. Für viele ältere Menschen hat der Umstieg vieler Dienstleistungsunternehmen auf die mehrheitlich oder ausschließlich digitale Zurverfügungstellung ihrer Dienstleistung schwere negative Konsequenzen. Ältere Menschen sind für den Spitzenkandidaten der Sozialdemokratie eine sehr relevante Zielgruppe, vielleicht sogar die relevanteste. Und es handelt sich dabei um ein Thema, das sich eigentlich nur regional lösen lässt, denn eine europäi- sche Richtlinie für das Recht auf einen Banktermin ohne Mehrkosten wird eventuell noch ein bisschen auf sich warten lassen.

Und hier kommt das Problem: Dass ein Thema politisch relevant ist, heißt nicht automatisch, dass der damit verbundene Lösungsvorschlag gut ist. Wer versucht, etwas, das sich als negative Begleiterscheinung einer an sich positiven Entwicklung herausgestellt hat, gesetzlich wieder einzufangen, wird damit eher keinen Erfolg haben. Wie und warum soll man Unternehmen dazu zwingen, Dienstleistungen, die höhere Kosten produzieren, zum gleichen Preis anzubieten wie Dienstleistungen, die geringere Kosten produzieren? Wie soll der Gesetzgeber zwischen Personen unterscheiden, die ihre Bankgeschäfte nicht online erledigen wollen und solchen, die es nicht können? Wird man, wenn man die Aufstellung eines Bankomaten gesetzlich erzwungen hat, auch die Ansiedelung von Geschäften gesetzlich regeln, in denen man mit Bargeld zahlen kann? Mir scheint, dass über die Identifizierung eines Problems hinaus in dieser Thematik noch nicht sehr viel nachgedacht wurde.

Allerdings, und an dieser Stelle steht es im Relevanz-Match mindestens 2:1 für Andreas Babler: Die Frage, ob jedes Problem für jeden Menschen der Staat lösen soll oder kann, ist wirklich relevant. Ob Herrn Bablers Antwort – nämlich: ja – für die Mehrheit richtig ist, werden wir in knapp zwei Monaten wissen.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: redaktion@news.at

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 32/2024 erschienen.

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