Wenn das Machtkartell aus ÖVP, SPÖ und Sozialpartnerschaft ernsthaft um seine Macht fürchten muss, wird in Österreich stets die Parole ausgegeben: „Weiter wie bisher“ ist keine Option. Dabei dient diese Parole in erster Linie dazu, sicherzustellen, dass es so weitergeht wie immer
Sehr oft hört man dieser Tage, dass ein „Weiter wie bisher“ angesichts der Welt im Allgemeinen und der steirischen Wahlergebnisse im Besonderen nun nicht mehr möglich sei. Man hat das auch schon vor zwei Monaten gehört, als die österreichische Nationalratswahl ungefähr so ausgegangen ist wie die steirische Landtagswahl, und vor 25 Jahren hat man es auch gehört, als Wolfgang Schüssel das Unerhörte getan hat und als Drittplatzierter Bundeskanzler wurde, und auch vor bald 40 Jahren, als ein oberösterreichischer Kärntner in Innsbruck den europäischen Rechtspopulismus erfunden hat. Man hat es immer gehört, wenn sich das österreichische Machtkartell aus ÖVP, SPÖ und Sozialpartnerschaft durch eine erstarkende Opposition bedroht gefühlt hat.
Was seither passiert ist, seit zwei Monaten, seit 25 Jahren und seit 40 Jahren, kann man nicht besser beschreiben als mit der Wendung „Weiter wie bisher“: Der Bundespräsident taktiert pseudoüberparteilich, die niederösterreichische ÖVP beschließt, Kanzler zu bleiben, die Sozialpartner holen gut abgelegene Papiere aus den Schubladen, um sich wieder einmal auf Koalitionsverhandlungen vorzubereiten, Gewerkschafter und Wirtschaftskammerfunktionäre besprechen eine neue Zeit. Am Ende war also ein „Weiter wie bisher“ jedenfalls immer möglich, vielleicht sogar manchmal notwendig.
Paradoxe Intervention
Die Geschichte ist eine ironische Gesprächspartnerin, und so darf es einen nicht wundern, dass öffentliche Akteure wie Spitzenpolitiker in der öffentlichen Kommunikation vermehrt auf paradoxe Interventionen setzen. Die Formulierung, dass ein „Weiter wie bisher“ nun nicht mehr möglich sei, zielt eigentlich darauf ab, genau dieses „Weiter wie bisher“ möglich zu machen. Hätte der bisherige Bundeskanzler tatsächlich den Eindruck, dass es so nicht mehr weitergehen kann, würde er ja nicht mehr Bundeskanzler sein wollen. Aber dass es so nicht weitergehen kann, hat nach dem Selbstverständnis derer, die dafür verantwortlich sind, wie es gerade geht, nichts mit ihnen zu tun. Man nennt das in der neueren politikwissenschaftlichen Forschung den Drexler-Effekt, der in mancherlei Hinsicht von den Wirkungen des Doppler-Effekts gar nicht so leicht zu unterscheiden ist.
Aber die Idee, dass man selbst die Garantie dafür sein könnte, dass es nicht weitergeht, wie bisher, ist sehr ambivalent, fast möchte man sie therapeutisch nennen. Fehlt nur noch, dass sich die Regierenden zu einer Demonstration zusammenfinden und unter dem Transparent Nieder mit uns! vor dem Bundeskanzleramt demonstrieren.
Wenn man die Sache aus einer gewissen poetischen Distanz betrachtet, könnte man die kämpferische Parole „So geht’s nicht weiter“ auch für eine Selbstverständlichkeit halten: So geht es ohnehin nie weiter, würde zum Beispiel der Dichter und Maler Anselm Glück sagen, und deshalb schrieb er vor vielen Jahren auf eines seiner Sprachbilder: Immer ist jetzt. Das nächste Jetzt ist immer ein anderes Jetzt als dieses Jetzt, und deshalb müsste man sich eigentlich keine Sorgen machen, dass es so weitergeht wie bisher. Aber so poetisch ist die Welt nicht und schon gar nicht die Politik, denn dort regiert nicht die Poesie, aber die Parole.
Unterstützt wird die Politik in der Parolisierung des Poetischen von den Medien, die heutzutage zwischen Einflüsterer und Lautsprecher oszillieren, nicht wirklich zu erkennen geben, ob sie die Welt beobachten und erklären, oder doch umkrempeln und verbessern wollen. Der Spiegel, der sich als Zentralorgan der deutschen Weltverbesserung zu verstehen scheint, produzierte vor ziemlich genau acht Jahren, als Donald Trump zum ersten Mal zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, eine Titelseite, auf der zu sehen ist, wie der Gewählte als Komet mit einem strohblonden Haarschweif auf die Erde zurast, und der Titel lautete: Das Ende der Welt (wie wir sie kannten). Bescheidenheit ist eine Zier, doch besser lebt man ohne ihr, sagt der Hamburger, und auch die Spiegel-Parole ist, wenn man ein wenig genauer hinschaut, eine poetisch-banale Selbstverständlichkeit, die zur ultimativen Drohkulisse aufgeblasen wurde: Jeder Augenblick, jedes bewusste Wahrnehmen von irgendetwas, ist das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Wer das nicht erfahren kann, ist entweder tot oder ein Ideologe.
Weiter wie immer
Was den politischen Alltag in Österreich betrifft, so scheinen sich die Wege gerade zu trennen: In Wien arbeitet man daran, es nach dem marketinggesteuerten Intermezzo, das die österreichische Politik dem Konzept Kurz zu verdanken hatte, wieder so zu machen, wie davor. Das Projekt lautet: „Weiter wie bisher“ ist keine Option, also lieber „Weiter wie immer“. In der Steiermark hingegen scheint man langsam zur Kenntnis zu nehmen, dass sich das irgendwann nicht mehr ausgeht, nicht einmal in der Bauern-opfertheorie. Was schlimmer ist, wird man sehen. Das Hauptproblem scheint mir aber zu sein, dass fast jeder im Land das Gefühl hat, dass es so, wie es ist, nicht weitergehen sollte, dass man aber auch niemandem, der da ist, zutraut, dass er es anders macht als bisher. Das ist der Stoff, aus dem der Aufstand ist.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 48/2024 erschienen.