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2nd Opinion: Religion ist Krieg

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Michael Fleischhacker

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Es gehört zu den hartnäckigen Mythen der Neuzeit, dass man der Religion friedensstiftende Kräfte zuschreibt. Historisch und ideologisch ist seit jeher genau das Gegenteil der Fall: Religion ist ein Mittel zum Krieg.

Zu den berührenden Erzählungen aus früheren Zeiten gehören die Geschichten von gemeinsamen Weihnachtsfeiern und Osterandachten von Soldaten unterschiedlicher Nationalitäten zwischen den Fronten des Ersten Weltkriegs. Dieser Krieg war, stärker als der Zweite, der große Zivilisationsbruch für die europäischen Gesellschaften, er war das erschreckende, überraschende Ende einer Zeit, in der sich kaum noch jemand vorstellen konnte, dass es wirtschaftlich, kulturell und wissenschaftlich nicht aufwärts gehen würde.

Stefan Zweig beschreibt das in seinem Meisterwerk „Die Welt von gestern“, und Christopher Clarke macht in „Die Schlafwandler“ deutlich, wie unnötig dieser große Krieg gewesen ist. In der zweiten Flandernschlacht im Ypern-Bogen wurde 1915 erstmals Giftgas eingesetzt (Peter Sloterdijk erzählt in seinem Essay „Luftbeben“ davon, in dem es um die Entwicklung des Terrors geht, und dass Krieg im Wesentlichen Terror geworden ist, sahen und sehen wir überall von Dresden über Hiroshima bis Odessa und Gaza). In dieser großen Zivilisationskatastrophe, in der einige auch die große Bewährungsprobe von Männlichkeit und Tapferkeit sahen wie Ernst Jünger in seinem Kriegstagebuch „In Stahlgewittern“, ruhten also zu den großen christlichen Festen die Waffen.

Keine Friedensstifter nirgends

Ich kann mich erinnern, dass man uns im katholischen Gymnasium den Eindruck vermittelte, dass das frontübergreifende religiöse Geschehen ein wichtiges Zeichen für die friedensstiftende Kraft des Christentums sei. Und ich kann mich erinnern, dass wir das auch so sahen – weil uns niemand darauf aufmerksam gemacht hatte, dass es sich bei einem Krieg nicht um eine ausgebrochene Naturkatastrophe handelt, sondern um die sehr bewusst oder aber auch schlafwandlerisch in Kauf genommene Konsequenz einer Politik, die, um beim Ersten Weltkrieg zu bleiben, von Männern gemacht wurde, deren Legitimation auf einem Gottesgnadentum beruhte, das heutzutage außer dem amerikanischen und dem russischen Präsidenten kaum noch jemand offen als Grund seiner politischen Existenz zu erkennen gibt (in Österreich war vermutlich Erwin Pröll der Letzte dieser Art, Sebastian Kurz war so etwas wie die Marketingschwundstufe davon).

Wir waren also als Jugendliche nicht der Ansicht, dass Religion ein wesentliches Antriebsmittel des Kriegs ist, sondern die beste Möglichkeit, ihn zu verhindern oder zu beenden. Bildung funktioniert nicht immer.

Die Religion ist ein sich selbst heiligendes Mittel zu jedem Zweck

Religion per se ist nicht Frieden, Religion per se ist auch nicht Krieg, obwohl durch die religionsgeschichtliche Wende vom Poly- zum Monotheismus die Tendenz, Religion als Mittel zum Krieg einzusetzen, entscheidend an Fahrt aufgenommen hat. Der eine Gott ist immer ein eifersüchtiger Gott, und er will keine anderen Götter neben sich dulden, weshalb man sie und ihre Anhänger vom Angesicht der Erde tilgen muss. Religion ist ein Mittel zum Zweck, und in diesem Fall heiligt der Zweck die Mittel per se, will heißen, die Religion ist ein sich selbst heiligendes Mittel zu jedem Zweck.

Ich erspare Ihnen und mir eine genauere Betrachtung der Heiligsprechungsprozesse von Massenmördern, ich möchte auch niemanden für die Religion des fliegenden Spaghettimonsters begeistern, und ich bekenne freimütig, dass ich Atheisten vor allem deshalb schätze, weil sie meiner Ansicht nach die letzten Strenggläubigen sind, die wir noch haben: Im Unterschied zum durchschnittlichen Weihfleischträger glaubt der Atheist wirklich was. Es geht in dieser österlichen Betrachtung aber nicht um die Frage, was jeder persönlich glaubt (mir reichen Kant und ein bisschen Weihrauch für mein religiöses Wohlbefinden), sondern um die öffentliche Rolle der Religion in einer Welt, die sich augenscheinlich in Auflösung befindet.

Und da scheint sich eine recht unheilige Allianz anzubahnen: Mit der Macht der konservativen Muslime, die in die europäischen Gesellschaften eingewandert sind, scheint sich auch die Macht des institutionellen Christentums wieder zu verfestigen. Ich rechne damit, dass in absehbarer Zeit der öffentliche Rundfunk sein konfessionelles Programm von der Porträtierung besonders lustiger Nonnen und malerischer Klostergärten um eine Reihe über die bestbesuchten Moscheen des Waldviertels erweitern wird müssen. Vermutlich wird man dann erklären, dass es sich gar nicht um religiöse Programme handle, sondern um kulturelle, so wie ja auch das Kreuz im Klassenzimmer im Zweifelsfall vom religiösen zum kulturellen Symbol umgedeutet wird, wenn es darum geht, die Trennung von Kirche und Staat, die in Österreich de facto nie stattgefunden hat, weiterhin zu verhindern.

Es ist im Verhältnis zwischen Politik und Religion, das angeblich im Zuge einer Säkularisierung zur beiderseitigen Zufriedenheit im Sinne einer wechselseitigen Unzuständigkeit geklärt wurde, bis heute nichts geklärt. Politik benutzt Religion, Religion gängelt Politik, jeder missbraucht jeden als Ausrede, wo es geht, und zu Ostern halten alle ihre Moralappelle ab, man möge doch endlich die Waffen schweigen lassen, die man vorher gesegnet hat.

Das ändert freilich nichts daran, dass ein sauber gesungenes Exsultet eine ordentlich gestaltete Osterliturgie ungemein bereichern kann.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 16/2025 erschienen

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