Nach der Absage der Wiener Taylor-Swift-Konzerte wird ein "Wir" beschworen, das es nicht gibt. Vielen fällt es schwer, sich mit der Tatsache anzufreunden, dass der Krieg zurück ist, und zwar in doppelter Form: als Krieg der Kulturen und als neuer kalter Krieg. Es wäre klüger, ihn gewinnen zu wollen, statt ihn zu verleugnen.
Nach der Absage der Wiener Taylor-Swift-Konzerte bildete sich in Wien ein spontanes Wir aus jugendlichen Swift-Fans, denen jugendliche Anhänger der islamistischen Ideologie mit ihren gottlob vereitelten Plänen für einen Terroranschlag gewaltsam den Höhepunkt ihres Sommers genommen haben. Es war kein aggressives, nicht einmal ein besonders bitteres Wir, es war spontan, schön und beruhigend zugleich.
Problematischer sind die Wir-Begriffe, die in der öffentlichen Debatte in Stellung gebracht werden. Sobald ein Satz mit "Wir müssen jetzt" beginnt, ist Skepsis angebracht. Wenn Dinge passieren, die in ihrer Tragweite den gesellschaftlichen Alltagshorizont überschreiten, wird häufig auf dieses Wir zurückgegriffen. Das erste Wir in der Debatte war nah am Wir der Betroffenen und auf gewisse Weise harmlos: Der versuchte Anschlag auf die Konzertbesucher sei ein Anschlag auf uns alle und auf unsere Lebensweise, heißt es.
Da wird ein großzügig-inklusives Wir konstruiert, als dessen Gemeinsamkeit ein Lebensstil suggeriert wird, nämlich der "westliche", der Liberalität, Säkularität und Hedonismus auf mittlerem Konsumniveau vereint.
Dieses Wir gibt es nicht
Ich kann den Wunsch nach einem solchen Wir total nachvollziehen, es gibt nur ein kleines Problem damit: Dieses Wir gibt es nicht. Es ist die Phantasie des die öffentlichen Debatten beherrschenden Milieus, in dem tatsächlich Liberalität, Säkularität und Hedonismus auf mittlerem Konsumniveau die große Gemeinsamkeit bilden. Das beschriebene Milieu ist unter anderem die Hauptzielgruppe des Österreich-Ablegers der Hamburger Wochenschrift "Die Zeit". Alles ist da sehr liberal, humanistisch, nett und konstruktiv. Im aktuellen Österreich-Newsletter schreibt der sehr geschätzte Christian Ankowitsch, dass – genau – wir uns jetzt, nach der Absage der drei Taylor-Swift-Konzerte, eingestehen müssten: "Die Insel der Seligen war einmal. Zeit, erwachsen zu werden."
Was das heißt, "wäre jetzt Gegenstand einer großen, gemeinsamen, parteienübergreifenden und ideologielosen Debatte und Initiative, bei der die Idee im Zentrum stehen sollte, dass wir Unwiederbringliches und Wertvollstes zu verlieren haben", schreibt Ankowitsch, und es handle sich dabei um "keine Wiener Schnitzel und den ganzen, gerne zitierten Kram", sondern um "das selbstverständliche Recht, unversehrt und (im positiven Sinne) gedankenlos unseren friedlichen Absurditäten nachgehen zu können, worin auch immer sie bestehen mögen".
Nicht wir, die Polizei
Ich bin auch für das selbstverständliche Recht, dass jeder gedankenlos seinen friedlichen Absurditäten nachgehen darf, aber ich glaube erstens nicht, dass das die Ansicht der Mehrheitsbevölkerung ist, und zwar weder der autochthonen noch der zugewanderten. Zweitens glaube ich nicht, dass es sich durch eine gemeinsame oder parteiübergreifende, und schon gar nicht durch eine ideologielose Debatte und Initiative erreichen lässt, also nicht durch ein – auf welche Weise auch immer – herbeiphantasiertes Wir, sondern nur durch die Polizei und im Vorfeld durch einen Nachrichtendienst, der diesen Namen auch verdient. Wenn schon darüber debattiert werden soll, wie sich das Ausleben friedlicher Absurditäten für jedermann garantieren lässt, dann bestimmt nicht ideologielos, ganz im Gegenteil. Wie kommt man auf die Idee, dass man einer Ideologie, die genau das nicht will, auf eine ideologielose Weise begegnen soll? Klar wäre es schön, wenn wir noch in den 90ern lebten, als in den westlichen Gesellschaften für ein Jahrzehnt so gelebt wurde, als gäbe es kein Morgen, weil die Geschichte angeblich 1989 zu Ende gegangen ist. 35 Jahre später sind wir wieder in der Zeit vor 1989 angekommen, in einer harten Systemkonfrontation, einer Mischung aus Huntingtons Clash of Civilizations und einem New Cold War, bloß mit dem Unterschied, dass alle diese Konflikte nicht irgendwo stattfinden, sondern 24/7 direkt vor und in unseren Augen.
Der Krieg ist wieder da
Ich kann mich noch gut an die Debatten über Huntingtons Thesen erinnern. Die Vertreter des netten Liberalhumanismus auf mittlerem Konsumniveau meinten, es gehe darum, den Kampf den Kulturen zu verhindern. Ich hatte eher das Gefühl, man sollte dafür sorgen, dass ihn der Westen gewinnt und notfalls eine Art Menschenrechtsimperialismus etabliert, also die Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten notfalls auch mit militärischen Mitteln. Ich muss heute eingestehen, dass das nicht so besonders gut funktioniert hat, nicht nur in Afghanistan. Aber die Alternative, so zu tun, als gebe es diesen globalen Kulturkampf nicht, obwohl der mittlerweile sogar im niederösterreichischen Voralpenland angekommen ist, scheint mir keine vernünftige Alternative zu sein. "Si vis pacem, para bellum", sagten die Römer: Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor.
Eine besonders gute Idee wäre das vor allem, weil der Krieg bereits begonnen hat. Er findet in den sozialen Medien genauso statt wie in den professionellen, auf Schlachtfeldern und in Stadtbezirken, in unterschiedlicher Ausformung und Intensität. Das bedeutet natürlich nicht, dass der Wunsch nach einem friedfertigen Wir überflüssig oder gar unangemessen wäre. Das zu behaupten wäre purer Zynismus. Aber zur ignorieren, dass wir uns mitten in einer Phase der Rückkehr des Krieges befinden, wäre eine sträfliche Naivität.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 33/2024 erschienen.