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2nd Opinion: Kompromiss ist nicht Demokratie

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Michael Fleischhacker

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Wer den Kompromiss für das Wesen der Demokratie hält, irrt: Der Kompromiss ist zwar das Wesen der Koalition, aber das Wesen der Demokratie ist der Macht- und Richtungswechsel. Wer das verwechselt, bekommt am Ende immer ein Problem mit dem Wähler.

Österreich hat eine neue Regierung, und diese Regierung hat ein Programm vorgelegt. Es trägt den Titel „JETZT DAS RICHTIGE TUN. Für Österreich“, was einem durchaus seltsam vorkommen kann, wenn man bedenkt, dass die Regierung von einer Partei angeführt wird, die seit dreieinhalb Jahrzehnten jeder österreichischen Regierung angehört hat und deshalb, könnte man meinen, bereits ausreichend Gelegenheit gehabt hätte, das Richtige für Österreich zu tun. Aber das ist natürlich irgendwie auch müßig, und jeder ÖVP-Politiker, der seinen Text gelernt hat, wird sagen, dass es sich ja nie um eine Alleinregierung gehandelt habe. Was ist also vom aktuellen Programm zu halten? Johannes Kopf, der Chef des Arbeitsmarktservices, sagte in einer Fernsehdiskussion, es erwecke den Eindruck eines vielversprechenden Drehbuchs für einen ambitionierten Film, dem bloß noch die Finanzierung fehlt. So kann man es mit einigem Wohlwollen sehen. Man kann aber vor dem Hintergrund des Zustandekommens dieser Regierung, ihrer personellen Zusammensetzung und der etwas tranigen Besinnungsprosa in der Einleitung auch feststellen, dass es sich, vor allem, was die ökonomisch relevanten Vorhaben betrifft, überwiegend um eine Sammlung von Absichtserklärungen handelt, aber nicht wirklich um ein Regierungsprogramm.

Endlich eine Regierung

Man hat den Eindruck, dass die überraschend wohlwollende Resonanz, die das Papier gefunden hat, in erster Linie der Tatsache geschuldet ist, dass das Land nach fünf Monaten endlich eine Regierung hat. Dass das nur ein Kompromiss werden kann, war jedem klar, jetzt fangen die einfach mal an, den Rest wird man schon sehen, scheint die Mehrheit der Beobachter zu denken, weiß ja ohnehin keiner, welche Krise demnächst um die Ecke biegt und neue Prioritäten verlangt. Das ist zwar prinzipiell nicht falsch, hat aber einen Haken: Die Erfahrung der vergangenen fünf Jahre zeigt, dass jede neue Krise den finanziellen Spielraum einengt, und wenn man schon unter den herrschenden Bedingungen nicht wirklich weiß, wie man die gesetzten Ziele erreichen soll, werden Absichtserklärungen schnell zum Brief ans Christkind.

Wodurch zeichnet sich ein gutes Programm aus? Dadurch, dass man die Gründe für die aktuellen Probleme korrekt analysiert und auf dieser Grundlage Maßnahmen entwickelt, mit denen man realistische Aussichten hat, das Problem zu lösen. Das große Problem der Republik ist derzeit, dass man als Reaktion auf zwei Großkrisen, nämlich die Pandemie und die durch den Ukraine-krieg verschärfte Energie- und Teuerungskrise, alle finanziellen Schleusen geöffnet und ein Gießkannenförderungsprinzip etabliert hat, das nie zurückgefahren wurde. Das 6,4-Milliarden-„Sparpaket“, das zu Beginn der Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP geschnürt wurde, wird eher nicht ausreichen, um eine nachhaltige Trendwende herbeizuführen, nicht einmal dann, wenn es bei den derzeit bekannten Defizitzahlen bleibt, was man lieber nicht als gegeben ansehen sollte. Die Radikalkur, die die öffentlichen Haushalte gebraucht hätten, um mittelfristig Spielräume für notwendige Investitionen im Bildungs- und Verteidigungsbereich zu schaffen, ist naturgemäß in einer Kompromisskoalition wie der jetzt ins Amt gekommenen nicht zu haben.

Durchaus überzeugend ist hingegen der Ansatz, der im Migrationskapitel des Regierungsprogramms gewählt wurde. Die Regierung will den Familiennachzug mit mehr oder weniger sofortiger Wirkung aussetzen, weil das Sozial- und das Bildungssystem nicht nur in Zukunft überfordert würden, sondern bereits überfordert sind. Man hat ein Problem erkannt, es korrekt analysiert und sich auf eine Maßnahme geeinigt, die das Potenzial hat, das Problem zu lösen oder zumindest zu lindern. Die Einwände von Juristen, dass die dafür zu deklarierende Notlage von der Europäischen Union nicht anerkannt werden könnte, sind natürlich legitim, aber bis zu einer allfälligen Klärung macht man, was man für richtig hält. So geht Regieren.

Es hätte dem Programm dieser ersten Dreierkoalition gutgetan, wenn dieser Ansatz auch auf anderen Gebieten gewählt worden wäre. Und es ist durchaus interessant, sich zu überlegen, warum in der Migrationspolitik möglich war, was anderswo schmerzlich vermisst wird. Die Antwort ist wohl: Das ist das Thema, bei dem man der FPÖ, die sich nach dem Scheitern ihres Vorsitzenden bei der -Regierungsbildung wieder in die bequeme Warteposition zurückgezogen hat, nichts schenken will.

Der Kompromiss ist zwar das Wesen der Koalition, aber die Demokratie lebt von der Möglichkeit des Macht- und Richtungswechsels.

Vom Bundespräsidenten abwärts wird jetzt von allen Spitzenpolitikern, auch von den Spitzen der drei Koalitionsparteien, das Lob des Kompromisses gesungen, der das Land über die Jahrzehnte zu einem der wirtschaftlich erfolgreichsten der Welt gemacht habe. Der Kompromiss, heißt es, sei das eigentliche Wesen der Demokratie. Ich würde gern widersprechen: Der Kompromiss ist zwar das Wesen der Koalition, aber die Demokratie lebt von der Möglichkeit des Macht- und Richtungswechsels. Wer das Wesen der Koalition mit dem Wesen der Demokratie verwechselt, wird am Ende immer ein Problem mit dem Wähler bekommen. 

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 Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.10/2025 erschienen.

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