Die Rolle der katholischen Päpste oszilliert seit jeher zwischen Geopolitik und Kulturkampf. Der verstorbene Franziskus I. war eine Ikone der globalen NGO-Kultur, man wird sehen, wohin der Zeitgeist die Kirche in Zukunft weht.
Darüber, wann und bei welcher Gelegenheit der sowjetische Diktator Josef Stalin die berühmt gewordene Frage „Wie viele Divisionen hat der Papst?“ gestellt hat, gibt es, wie bei so vielen berühmten Zitaten, mehrere Versionen. Am verlässlichsten ist wahrscheinlich die Schilderung Winston Churchills in seinem monumentalen Memoirenwerk „Der Zweite Weltkrieg“. Derzufolge hat der französische Außenminister Pierre Laval bei einem Moskau-Besuch 1935 (es ging um den französisch-sowjetischen Nichtangriffspakt) angeregt, dass Stalin als Signal an den Papst und als Zeichen der Entspannung die Lage der von der Sowjetunion unterdrückten Katholiken verbessern möge, worauf Stalin ebendiese Frage gestellt haben soll: „Der Papst? Wie viele Divisionen hat er?“ Pius XII. soll übrigens, als er 1953 vom Tod Stalins erfuhr, wiederum gesagt haben: „Jetzt wird er sehen, wie viele Divisionen wir haben.“ Wie auch immer es sich genau abgespielt haben mag, Stalins Frage nach der politischen Macht des römischen Papstes ist gewissermaßen eine ewige Frage, und sie blieb naturgemäß auch nach dem Tod des Diktators aktuell. Ab 1978 wurde sie von einem polnischen Kardinal ziemlich eindrucksvoll beantwortet.
Die polnische Antwort
Karol Wojtyła, der Erzbischof von Krakau, wurde im Dreipäpstejahr (im Frühjahr starb Paul VI., sein Nachfolger Johannes Paul I., „der lächelnde Papst“, starb nach 33 Tagen im Amt) zum ersten slawischen Pontifex, und er trug mit seinem vehementen Eintreten für die Freiheit und gegen den Kommunismus neben dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan entscheidend zum Ende der Sowjetunion bei. Viele Historiker halten Johannes Paul II. deshalb für den weltpolitisch bedeutendsten Papst der vergangenen Jahrhunderte, und ich würde diese Einschätzung teilen.
Um die Regierungszeit von Papst Franziskus, der in den Morgenstunden des vergangenen Ostermontags gestorben ist, korrekt einzuordnen, muss man zunächst sehen, dass die politische Bedeutung des Papsttums in der Moderne immer zwischen Geopolitik und Kulturkampf oszillierte. Ganz ohne Jahreszahlen und Papstnummerierungen geht das leider nicht: Leo XIII. legte 1891 mit seiner Enzyklika „Rerum Novarum“ den Grundstein der katholischen Soziallehre als Antwort auf die sozialen Verwerfungen, die die industrielle Revolution hervorgerufen hatte. Pius XII., der als Kardinalstaatssekretär 1933 das Konkordat mit dem Deutschen Reich unterzeichnete, ist bis heute umstritten, weil er sich in den Augen seiner Kritiker nicht eindeutig genug gegen Hitler positionierte. Paul VI. brachte zwar das Zweite Vatikanische Konzil mit seinen Reformen zum Abschluss, wurde aber wegen seiner restriktiven Haltung zur Empfängnisverhütung zum negativ besetzten „Pillenpapst“. Auch Johannes Paul II. war nicht nur der Held im Kampf gegen den sowjetischen Totalitarismus, er stand gleichzeitig für seine konservative Haltung in allen innerkatholischen Streitfragen von der Verhütungs- über die Zölibatsfrage bis zur Rolle der Frauen in der katholischen Kirche in der Kritik. Sein wichtigster Mitstreiter im Kampf gegen jede Liberalisierung war übrigens der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, der als „Panzerkardinal“ apostrophierte Deutsche Joseph Ratzinger, der dann als Benedikt XVI. sein Nachfolger werden sollte, bis er 2013 zurücktrat und dem jetzt verstorbenen argentinischen Jesuiten Jorge Mario Bergoglio als Franziskus I. Platz machte.
Mit der Wahl eines Papstes geben die wahlberechtigten Kardinäle im Konklave letztendlich ihre Antwort auf die Fragen des Zeitgeistes und sie beziehen Position im immerwährenden Kulturkampf zwischen Konservativen und Progressiven. Geopolitisch ist die Rolle der katholischen Kirche mit der großen Wende von 1989 endgültig ausgespielt, und so war es nur folgerichtig, dass sich Franziskus nach dem eher von theologischer Extravaganz geprägten Pontifikat des deutschen Papstes zum Anwalt des progressiven NGO-Zeitgeistes machte: Klimaaktivisten und Antikapitalisten jedweder Provenienz feierten den Argentinier als Symbol des Wechsels der katholischen Kirche von der falschen Seite der Macht auf die richtige Seite der Moral.
Franziskus war auf gewisse Weise der ideale Papst für alle Nicht-Katholiken
Franziskus war auf gewisse Weise der ideale Papst für alle Nicht-Katholiken, eine Ikone des Zeitgeistes von Menschen, in deren Leben theologische Fragen keine Rolle spielten. Die deutsche Klimaaktivistin und Grün-Politikerin Luisa Neubauer beispielsweise bedauerte sehr, mit dem Verstorbenen einen verlässlichen Mitstreiter verloren zu haben.
Möglicherweise ist das der Weg, der es der katholischen Kirche ermöglicht hat, auf dem vorgezeichneten Weg in die Bedeutungslosigkeit noch ein paar Meter zu machen. Möglicherweise setzen sich im Konklave aber auch diejenigen durch, die sich mehr davon versprechen, auf der neuen Rückwärtswelle des Zeitgeistes mitzusurfen, die große Teile der westlich-spätmodernen Gesellschaften erfasst hat.
Geopolitisch hat der Papst nichts mehr zu melden. Aber vielleicht wird man sich im globalen Kulturkampf bald fragen: Wie viele Resolutionen hat der Papst?
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 17/2025 erschienen.