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2nd Opinion: Zeigen, was ist

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Michael Fleischhacker

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Die ATV-Serie „Das Geschäft mit der Liebe“ ist schwer unter Beschuss geraten, man drängt auf seine Abschaffung. So sehr man das nachvollziehen kann, so sehr stellt sich die Frage, ob es nicht auch eine wichtige Aufgabe erfüllt. Zeigen, was ist.

Während sich alle Welt fragt, ob es gelingen kann, nach drei Jahren Krieg zwischen Russland und der Ukraine und Zehntausenden toten Soldaten auf beiden Seiten zumindest einen partiellen Waffenstillstand zustande zu bringen, diskutieren wir in Österreich darüber, ob es nicht an der Zeit wäre, die Trash-Serie „Das Geschäft mit der Liebe“ einzustellen, die seit eineinhalb Jahrzehnten auf dem Privatsender ATV läuft.

Man wird es niemandem verübeln, wenn er sagt, dass wir doch wirklich andere Sorgen hätten in einer Welt, deren Ordnung sich gerade vor unseren Augen in Luft auflöst, und dass es absurd ist, „Das Geschäft mit der Liebe“ und den Krieg in Europa in einem Atemzug zu nennen. Würde man das konsequent zu Ende denken, wäre es aber erstens eine Aufforderung dazu, jedes Übel im Kleinen unter der Katastrophe im Großen verschwinden zu lassen, und zweitens würde man übersehen, dass die Grobheit und Menschenverachtung, die sich in einer regionalen Trash-Produktion zeigt, und die Grobheit und Menschenverachtung, die sich in einem Krieg zur absoluten Monstrosität verdichtet, nicht aus dem Nichts kommen. Immer haben wir es mit Menschen zu tun, die aus den unterschiedlichsten Gründen jenseits der Normen agieren, von denen wir geglaubt haben, dass unsere auf- und abgeklärten Gesellschaften hinter sie nie mehr zurückkehren würden.

Medienkritik

„Das Geschäft mit der Liebe“ also. Ich hatte bis vor wenigen Tagen nicht einmal Ausschnitte dieses Formats je konsumiert, und mir wäre irgendwie lieber, wenn es dabei geblieben wäre. Aber wenn eine Debatte Fahrt aufnimmt, in der es um die eigene Branche und um Grundannahmen über die gesellschaftlichen Verhältnisse geht, kann man sich das nicht immer aussuchen.

Ausgelöst wurde die Debatte über „Das Geschäft mit der Liebe“ durch einen Recherche-Aufruf des Falter-Chefredakteurs Florian Klenk, den er mit einem Boykott-Aufruf verband – man möge sich nicht mehr an Diskussionssendungen in einem Sender beteiligen, der so etwas sende –, am Wochenende hat sich der Vizekanzler und Medienminister sehr kritisch geäußert. Der Sender hat angekündigt, das Format bis auf Weiteres auszusetzen, die Medienbehörde prüft, ob das Format gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt.

Die Frage ist nur, ob ein Problem mit dem Ende seiner Darstellung verschwindet

Das Ziel der Debatte scheint zu sein, das Format endgültig zu killen. Ich kann das nachvollziehen, denn ich habe noch nie etwas Grindigeres im Fernsehen gesehen als die paar Ausschnitte und Folgen von „Das Geschäft mit der Liebe“. Die Frage ist nur, ob ein Problem mit dem Ende seiner Darstellung verschwindet. Welches Problem? Das Problem ist, dass unsere, meine Vorstellung davon, dass wir in Österreich in einem Land leben, in dem Frauen und Männer unter den gleichen Bedingungen von Freiheit und Sicherheit leben, über weite Strecken eine Illusion ist.

Es sieht so aus, als hätte sich nicht nur die regelbasierte Weltordnung, die Krieg und Gewalt durch ein ausgeklügeltes System von Vereinbarungen und Übereinkünften ins Reich des Unwahrscheinlichen abdrängt, als Schönwetterveranstaltung herausgestellt, sondern auch unsere Vorstellung egalitärer Geschlechterverhältnisse und umfassender Akzeptanz jedweder sexuellen Orientierung. Der Trash-Müll der ATV-Serie ist die Spitze des Eisbergs, wer mit offenen Augen und Ohren durch die Welt geht, kommt nicht umhin zu bemerken, dass Frauenverachtung ein häufiges und offenbar gern gesehenes Phänomen ist.

Ähnliches gilt nach wie vor für den Alltag von Homosexuellen: Dass, wie die in diesen Tagen publizierten polizeilichen Ermittlungen gegen ein mutmaßlich rechtsextremes Netzwerk zeigten, in fast allen österreichischen Bundesländern Homosexuelle über längere Zeit verfolgt, bedrängt, misshandelt und mit Mord bedroht wurden, ist zwar nicht die Regel, aber Homophobie im Alltag ist keine Ausnahme. Es gibt die kulturanthropologische These vom „dünnen Firnis der Zivilisation“, die besagt, dass unter der Oberfläche der zivilisatorischen Errungenschaften die niedrigen Instinkte des Menschen wie ein unterirdischer Vulkan dahinbrodeln, der jeden Moment ausbrechen kann. So hat man sich die Menschheitskatastrophen des Ersten und des Zweiten Weltkriegs erklärt und all die Massaker in den Kriegen und Genoziden danach. Und auch, wenn man an die Möglichkeit des Fortschritts glaubt und sich mit Autoren wie Steven Pinker an die empirischen Belege hält, die zeigen, dass sich das Gesamtausmaß an Gewalt und Vernichtung im Lauf der Menschheitsgeschichte trotz aller Rückschläge verringert hat, enthebt einen das nicht der Verpflichtung, sich im Alltag zu positionieren.

Das müsste vor allem bedeuten, dass Männer, die ihre Frauenverachtung im Alltag ganz offen zu Schau stellen – und zwar nicht nur in den Milieus, die in Trash-Formaten wie „Das Geschäft mit der Liebe“ präsentiert werden, sondern durchaus auch und gar nicht zu knapp in den aufgeklärten Sphären des Kultur- und Medienbetriebs, auch von Männern zur Rede gestellt und gestoppt werden.

Man könnte daraus auch den Schluss ziehen, dass eine Einstellung von „Das Geschäft mit der Liebe“ nicht einmal wünschenswert wäre, denn das Format leistet in all seinem Elend und in all seiner Grindigkeit etwas, das eigentlich zu den Grundaufgaben des Journalismus gehört: Zeigen, was ist.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 13/2025 erschienen.

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