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Hans-Peter Wipplinger: „Ich möchte Kunstgeschichte weiterschreiben.“

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©Matt Observe
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Vom Sängerknaben zum Direktor des Leopold Museum – als Ausstellungsmacher stellt sich Hans-Peter Wipplinger stets neuen Fragestellungen und begibt sich damit auf immer neues Forschungs-terrain. Warum er lieber Geschichten erzählt, statt selbst Kunst zu machen und welch entscheidende Rolle das Narrativ dabei spielt.

Vis-à-vis der sofort ins Auge fallenden Martha Jungwirth – eine Leihgabe, schließlich pflegt man ein freundschaftliches Verhältnis – präsentiert sich eine skulpturale Nagelarbeit an den Wänden seines Büros. Der an einer Kette herabhängende Hammer enttarnt den vermeintlichen Uecker als Yoko Ono. Painting to Hammer a Nail (In) – so Onos kollektive Aufforderung an Ausstellungsbesucherinnen und -besucher, einen Nagel in den Bildträger zu schlagen. Entstanden ist die Arbeit, ein persönliches Erinnerungsstück, 2005 im Zuge ihrer ersten großen Retrospektive in Deutschland im Museum Moderner Kunst in Passau. Eine von insgesamt drei Werkschauen, die Hans-Peter Wipplinger gemeinsam mit der japanischen Künstlerin und Lennon-Witwe seit Beginn der 2000er realisierte.

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Erinnerungsstück. Yoko Onos Painting to Hammer a Nail (In) erinnert an die 2005 von Wipplinger kuratierte Ausstellung in Passau – heute ziert die Arbeit sein Büro.

 © Yoko Ono 2005, Fotografie: Matt Observe

Kennengelernt haben die beiden einander während Wipplingers Zeit in New York, wo er Anfang des neuen Jahrtausends am New Museum of Contemporary Art den Museumsbetrieb kennen und lieben lernte. Nach wie vor pflegt man eine Freundschaft – gratuliert einander zu Geburtstagen, schreibt Weihnachtskarten. Genau dieses Zwischenmenschliche ist es, das Wipplingers Faszination an der Kunst respektive seinem Beruf ausmacht: „Dieses Unmittelbare war der Grund, warum ich überhaupt erst in diesem Bereich Fuß gefasst habe“, so der Kunsthistoriker, Museumsdirektor und Ausstellungsmacher. „Ich finde den Kontakt zu Künstlerinnen und Künstlern – ganz gleich, welcher Richtung – unglaublich bereichernd, weil er persönliche Sichtachsen und Blickwinkel verändert. Kunstschaffende haben diese einzigartige Sensorik, um Phänomene der Gegenwart wahrzunehmen, zu interpretieren und letztlich in ihrer Kunst zu deuten – diesen sich im unmittelbaren Gespräch auftuenden Erfahrungshorizont kannst du dir nur schwer anlesen.“

Der Weg in die Kunst

Die künstlerischen Weichen des gebürtigen Schärdingers wären bereits früh gestellt gewesen. „Ich bin damals im Musikunterricht positiv aufgefallen“, schmunzelt er. Dem großmütterlichen Impuls folgend, wurde er schließlich erfolgreich bei den Sängerknaben vorstellig, lernte Querflöte und Klavier. Und würde man es nicht besser wissen, ließe Wipplingers heutige Erscheinung – markante Brille, mit vorsätzlicher Willkür leicht zerzaustes Haar, Tendenz zu dunkler Kleidungswahl – eigentlich auf den stereotypen Künstlerhabitus schließen. Eigentlich. Denn die grundlegende Voraussetzung fehlt: „Um in der Kunst bestehen und als Perfektionist zu den Besten gehören zu können, braucht es einen ungemeinen Kunstproduktionswillen – den habe ich nie verspürt. Ich produziere lieber Ausstellungen.“

Auch hier ist es das Unmittelbare, das Miteinander, das beglückt: „Du arbeitest immer im Team – von Ausstellungsarchitektur über Lichttechnik bis hin zu den Künstlerinnen und Künstlern, so sie noch leben. Im Atelier bist du hingegen meist allein.“ Keine Option für den 56-Jährigen, der seit seiner Zeit als Sängerknabe nach dem „bereichernden Gemeinschaftsgefühl“ von damals strebt. Außerdem gebe es kaum Schöneres, als das eigene Brennen in Form eines überspringenden Funkens auf das Ausstellungspublikum auszuweiten. Wenn das gelingt, ist die Arbeit geglückt: „Ich mache die Ausstellung ja nicht für mich, sondern für ein Publikum“, so Wipplingers zentrale Prämisse. „Das Ganze ist schließlich kein Egotrip.“

Karriere in der Kunst

Wipplingers Qualitätsanspruch scheint karrierefördernd – seit 2003 bekleidet er leitende Funktionen in der deutschsprachigen Museumslandschaft. Dem Museum Moderner Kunst in Passau, das er bis 2007 führte, folgte die Direktion der Kunsthalle Krems.

2015 setzt er sich im Rahmen einer Ausschreibung gegen 19 Mitbewerberinnen und Mitbewerber durch und wird vom Stiftungsvorstand des Leopold Museum zum museologischen Direktor bestellt. Ein Dimensionssprung. Nicht bloß die Ausstellungsfläche vervierfacht sich: „Man muss sich der historischen Bedeutung dieser beachtlichen Sammlung namhafter Urheber, für die man sich fortan verantwortlich zeichnet, gewahr werden.“ 

Das Profil eines Museumsdirektors hat sich stark verändert – vom Kunsthistoriker im Elfenbeinturm zum Kulturmanager.

Als 2001 eröffnetes Museum im Besitz der Stiftung Leopold ist die Konstitution der Organisation eine andere als beispielsweise in Bundesmuseen. Vorteil oder Nachteil? „Sowohl als auch – einerseits sind wir von politischen Verhältnissen unabhängiger, bekommen dafür aber nur rund ein Drittel der Gelder“, so Wipplinger. Gemeinsam mit seinem kaufmännischen Konterpart, Moritz Stipsicz, ist er bemüht, die Vorteile dieser Medaille hervorzukehren. So ist man etwa mit rund 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern deutlich flexibler in Strukturierungsprozessen als mit 300. Man ist zwar „keine große Yacht, dafür aber ein leicht manövrierbares Schnellboot“. Reaktionsschnelligkeit, die gerade während herausfordernder Zeiten von Vorteil ist, wie etwa Pandemie und Energiekrise gezeigt haben. Ganz erholt hat man sich davon noch nicht – aktuelle Umfragen belegen den Rückgang osteuropäischer Besucherinnen und Besucher; die Energiepreise sinken nicht mehr auf Vor-Krisen-Niveau. Man sieht: Die Anforderungen an das Berufsbild eines Museumsdirektors haben sich verschärft – „vom Kunsthistoriker im Elfenbeinturm zum Kulturmanager“.

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Seit 2015 ist Hans-Peter Wipplinger museologischer Direktor des Leopold Museum.

 © Leopold Museum, Wien 2020/ Foto: Ouriel Morgensztern

Auf weitere fünf Jahre

Ende August wurde Hans-Peter Wipplinger um weitere fünf Jahre als museologischer Direktor des Hauses verlängert. Die Entscheidung dürfte keine schwere gewesen sein: Während der letzten neun Jahre haben sich die Zahlen an Besucherinnen und Besuchern nahezu verdoppelt, die internationale Medienpräsenz verdreifacht, die Zahl an Sponsoren versechsfacht, einige Leihgaben haben am Haus ihren dauerhaften Platz gefunden und es wurden Schenkungen in Höhe von 18 Millionen akquiriert. Außerdem hat Wipplinger das weltweit erste, biennal stattfindende Schiele-Symposium initiiert. „Somit sind wir nicht bloß die internationale Nummer eins im Bestand, sondern auch in der Forschung.“

Den eingeschlagenen Weg möchte der Museumsdirektor fortsetzen und internationale Präsentationen verstärkt in den Fokus rücken. Aber auch Ankäufe sind – wenn auch meist kein Leichtes – in Zukunft geplant. Wenngleich Gemälde von Schiele oder Klimt längst außerhalb des Budgetrahmens liegen. Die Kunst sei es ohnedies, Geschichte über Geschichten zu erzählen. So fokussiert Wipplinger auf Kontextualisierung: Im vergangenen Jahr konnte die Sammlung um zwei entscheidende Werke Max Oppenheimers, zwei Puzzleteile der Kunstgeschichte, wachsen. Nicht weniger spannend: Jan Štursa. „Ein tschechischer Künstler und Bekannter Schieles, die untereinander immer wieder Arbeiten getauscht haben und bei genauer Betrachtung durchaus Parallelitäten in der Figuration zeigen.“ Während Štursas Skulpturen bereits für vierstellige Eurobeträge zu haben sind, wechselte Klimts unvollendetes „Bildnis Fräulein Lieser“ im Frühjahr für 35 Millionen den Besitzer. Was Wipplinger damit einmal mehr verdeutlichen möchte: „Es braucht ein Narrativ – man kann Kunstgeschichte auch über kleinere Geschichten erzählen, die genauso relevant sind, wie die der big names.“

Letztere, die big names, sieht Wipplinger ohnehin viel mehr in politischer Verantwortung und appelliert: „Ein Fonds für den Erhalt und den Erwerb bedeutender Werke ist längst überfällig.“ Er versinnbildlicht: „Ein Autobahnkilometer schlägt im Mittel mit 10 Millionen Euro zu Buche – mit drei Kilometer, die sich im Übrigen abnutzen und saniert werden müssen, ließe sich hingegen kulturelles Erbe, ein Stück österreichische Identität, bewahren.“ Damit nicht noch mehr heimische Schätze das Schicksal Fräulein Liesers ereilt – die in Hongkong ihr neues Zuhause findet …

© Leopold Museum, Wien/Ouriel Morgensztern

Steckbrief

Hans-Peter Wipplinger

geboren
12.01.1968
Geburtsort
Schärding
Beruf
Museumsdirektor und Autor

Hans-Peter Wipplinger ist seit 2015 Direktor des renommierten Leopold Museums in Wien. Davor war der österreichische Kunsthistoriker von 2009 bis 2015 Direktor der Kunsthalle Krems. Wipplinger ist Gründer des Kunst- und Kommunikationsbüros "art:phalanx" und war Direktor des Museums Moderner Kunst Passau-Stiftung Wörlen (von 2003 bis 2007). Er kuratierte zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen, unter anderem Personalen zu Paula Modersohn-Becker, Yoko Ono, Joseph Beuys, William Kentridge, Daniel Spoerri, Anna Jermolaewa, Martha Jungwirth, Kiki Kogelnik, Erwin Wurm und Franz West. Außerdem war und ist Hans-Peter Wipplinger Mitglied in verschiedenen Jurys und Beiratsgremien, auch für das Bundesministerium für Kunst, Unterricht und Kultur.

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