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UNICEF-Geschäftsführer Christoph Jünger: „Es funktioniert, was wir tun“

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13 min

©UNICEF/James Nkhoma
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Wie schafft man es, inmitten globaler Krisen die Hoffnung zu bewahren und echte Veränderung zu erreichen? Christoph Jünger, Geschäftsführer von UNICEF Österreich, über große Lösungen für kleine Menschen

Herr Jünger, Sie sind seit drei Jahren Geschäftsführer von UNICEF Österreich. Da erlebt man sicher einiges. Welcher Moment aus dieser Zeit ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Besonders in Erinnerung bleibt mir der Beginn des Ukraine-Krieges. Noch am Tag davor glaubten wir nicht, dass es so weit kommt. Als es geschah, waren wir tief betroffen. Uns war klar, was das für unsere Arbeit, das Land und vor allem die Kinder und Jugendlichen dort bedeuten würde. Innerhalb kürzester Zeit wuchs der Umfang unseres Programms für die Ukraine von 15 Millionen auf knapp eine Milliarde US-Dollar. Wir richteten Auffangzentren an den Grenzen ein und versorgten Millionen Flüchtende mit Unterkünften, Nahrung, Medikamenten, aber auch psychologischer Unterstützung.

Gab es im vergangenen Jahr ein Projekt, das Ihnen besonders am Herzen lag?

Ja, die solarbetriebenen Wasserpumpen in Malawi. Nach dem Zyklon 2023 hielten diese Systeme stand, sodass die betroffenen Dörfer kaum Cholera-Fälle hatten. Solche Projekte bewirken enorm viel: Sauberes Wasser reduziert Krankheiten. Kinder, vor allem Mädchen, können länger in der Schule bleiben, da sie nicht ständig Wasser holen müssen. In einem der Dörfer, wo wir diese Wasserpumpen installiert haben, gibt es ein Gesundheitszentrum. Vor den Pumpen gab es dort weder Strom noch fließendes Wasser. Dort werden auch Kinder entbunden, eigentlich unglaublich. Und aufgrund des solarbetriebenen Systems konnten wir dort eine Wasserversorgung herstellen. So was verändert ganze Ortschaften nachhaltig.

In welchen Weltregionen war UNICEF 2024 noch besonders aktiv?

Überall, wo Krisen herrschen. Aktuell zählen Sudan, Ukraine, Gaza, Syrien zu unseren Schwerpunkten. In Syrien sehen wir momentan viel Positives. Trotzdem sehen wir auch, dass dort seit 28. November 370.000 Menschen vertrieben wurden, viele davon Frauen und Kinder. 370.000, in nur zwei Wochen! Deshalb sind wir sehr besorgt, wie sich die Situation dort entwickeln wird. Wir hoffen das Beste, aber Syrien ist einer unserer Schwerpunkte, und wird es auch im neuen Jahr bleiben. Afghanistan zeichnet für Syrien ein Stück weit ein Negativszenario vor. Ich hoffe wirklich nicht, dass es in Syrien so kommt. Aber wir hatten dort eine ähnliche Situation wie jetzt in Syrien, die Taliban haben sich moderat gegeben, sind dann aber sukzessive repressiver geworden. Afghanistan ist ein weiterer großer Schwerpunkt unserer Arbeit. Und auch in medial wenig beachteten Krisenherden sind wir tätig, wie der Demokratischen Republik Kongo und Äthiopien.

Sie haben den Nahen Osten und Gaza angesprochen. Dort gerieten Hilfsorganisationen wie UNRWA politisch zwischen die Fronten. Israel verhängte ein Arbeitsverbot über das Palästinenserhilfswerk, was UNICEF scharf kritisierte. Wie stehen Sie dazu?

Es gibt eine große Prämisse, die über unserer Arbeit steht: Wir sind politisch äquidistant. Unser Fokus liegt ausschließlich auf Kinderrechten. UNRWA spielt in Gaza eine zentrale Rolle, da es nicht nur Nothilfe leistet, sondern auch Teil des sozialen Systems in der Region ist. Ohne UNRWA wäre Hilfe in Gaza und anderen Gebieten schwer möglich. Wir mischen uns nicht in politische Diskussionen ein, das ist nicht unser Ziel und unser Mandat, sondern konzentrieren uns darauf, die Bedingungen für Kinder, Jugendliche und ihre Familien zu verbessern.

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 © Andreas Tischler / picturedesk.com

Christoph Jünger

Wie viele Ressourcen setzt UNICEF in Österreich ein, und wofür?

In wohlhabenden Ländern wie Österreich liegt der Fokus auf das Eintreten für die Verankerung von Kinderrechten. In Österreich ist Partizipation ein Kernthema: Wir haben da zwei Zertifizierungsprogramme, Kinderfreundliche Gemeinden und Kinderrechteschulen.

Für die Gemeinden wünschen wir uns, dass Kinder in den Dialog mit der Politik institutionalisiert mit einbezogen werden, und nicht nur über sie, sondern auch mit ihnen geredet wird. Dass sie etwa bei der Planung von Spielplätzen miteinbezogen werden – etwa im Rahmen der Kinderparlamente. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme, die in sehr vielen Gemeinden gemacht wird.

Mit den Kinderrechteschulen wollen wir erreichen, dass Kinder und Jugendliche nach ein paar Jahren in ihre Schule reingehen und sagen, das ist nicht irgendeine Schule, sondern es ist unsere Schule. Dazu analysiert die Schule unter Partizipation von Kindern und Jugendlichen ihre Situation, gestaltet daraus ein Programm und führt konkrete Maßnahmen durch. Das Zertifikat gilt drei Jahre, dann muss die Schule sich rezertifizieren. So baut man in der Gemeinde oder auch in der Schule Wissen auf: Was ist ein Kinderrecht? Welche Rechte haben Kinder?

UNICEF finanziert sich ausschließlich durch Spenden. Die Auswahl an Organisationen ist riesig – warum sollte man gerade an UNICEF spenden?

UNICEF ist die größte globale Organisation, die für Kinder arbeitet. Damit haben wir sehr große Hebel in der Hand. Wir bleiben langfristig in Krisengebieten und verändern Systeme nachhaltig. Zudem können wir aufgrund unserer politischen Äquidistanz in Regionen tätig werden, die für andere schwer zugänglich sind. Das wäre die logische Argumentation. Darüber hinaus genießen wir hohes Vertrauen. Bei uns kann man sicher sein, dass die Mittel, die wir bekommen, gut eingesetzt werden. Wir setzen uns für Kinder und Jugendliche mit ihren Familien ein, egal in welchen Gegenden, auch wenn es für unsere Mitarbeiterinnen oft auch sehr gefährlich ist, wir bleiben einfach da und hauen uns rein mit allen verfügbaren Mitteln.

Machen wir es konkret: Was kann UNICEF mit einer Spende von 100 Euro bewirken?

Nehmen wir diese kleinen Erdnusspastepackerln. Mit drei, vier Packerl am Tag kann ich ein Kind aus der Mangelernährung herausholen. Nach einem Monat sind sie wieder gut genährt und können überleben. Das ist ein Überlebenselixier für Hunderttausende von Kindern und Jugendlichen. Und es kostet so gut wie nichts. Gut 30 Cent für ein Packerl. Mit 100 Euro kann ich also drei Kinder 40 Tage lang ernähren. Das ist die Realität in vielen Ländern, wo wir tätig sind, zum Beispiel im Sudan.

Wir leben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Spenden die Leute trotzdem?

Wir sehen eine Kontraktion des Spendenmarkts, vor allem im internationalen Bereich. Der Fundraising-Verband gibt ja da immer den Spendenbericht raus, heuer sollen es minus fünf Prozent werden. Ich persönlich glaube nicht, dass das reicht. Und es gibt noch eine andere Dimension, nämlich die der lokalen Arbeit in Österreich versus der internationalen. Super, dass so viel Geld gesammelt wurde nach der Hochwasserkatastrophe im September, das bedeutet aber natürlich, dass weniger Geld für internationale Arbeit da ist. Gerade wenn das Geld knapp ist, konzentrieren sich Menschen stärker auf lokale Hilfe.

Trotzdem erleben wir, dass viele weiter spenden, selbst wenn es ihnen schwerfällt. Die rufen dann bei uns an und sagen, ich schaffe meinen Dauerauftrag nicht mehr, das sind 20 Euro im Monat, es tut mir so leid. Wirklich, wir kriegen solche Anrufe. Und man merkt, wie das den Menschen am Herzen liegt und wie es ihnen selber weh tut, wenn sie es gerade nicht schaffen. Das ist natürlich jetzt vermehrt der Fall. Wir merken, dass wir gut über die Inflationskrise gekommen sind, aber die Wirtschaftskrise ist jetzt schon deutlich angekommen.

Auch bei den Unternehmen merken wir die Krise, viele kämpfen und können deshalb weniger geben. Der Wind ist schon kälter und strenger geworden. Die Situation ist nicht katastrophal, gar nicht. Aber so wie es in allen Bereichen ist, ist es bei uns natürlich auch.

Wie erreichen Sie potenzielle Spender?

Oft noch ganz klassisch, per Brief nach Hause. Wir versuchen, viel mit Medien im Gespräch zu sein und unsere Themen dort zu präsentieren. Junge Menschen über Social Media. Und: Influencer, prominente Persönlichkeiten, die unsere Botschaft weitertragen und die sehr viel Glaubwürdigkeit haben.

Sie haben von Unternehmen gesprochen, mit denen Sie zusammenarbeiten oder die an Sie spenden. Gibt es da Tabus? Mit wem würden Sie auf keinen Fall kooperieren?

Ja, etwa mit Unternehmen aus der Waffen-, Glücksspiel- oder Tabakindustrie. UNICEF steht für klare Werte, und Partnerschaften, die diesen entgegenwirken, kommen für uns nicht infrage.

Häufig wird kritisiert, dass bei wohltätigen Organisationen zu viel Geld versickert. UNICEF Österreich hat 2023 gut 2 Millionen Euro für Spenden, Werbung und Verwaltung ausgegeben, gut 21 Prozent der Ausgaben. Der Anteil ist in den letzten Jahren leicht angestiegen und höher als bei UNICEF Schweiz und Deutschland. Wie stellen Sie sicher, dass möglichst viel Geld bei Bedürftigen ankommt?

Wir nutzen viele Pro-Bono-Angebote und versuchen, sehr ökonomisch zu arbeiten. Gleichzeitig wird aber von uns erwartet, dass wir professionell agieren, professionell reporten und in allen Bereichen professionell kommunizieren. Es ist daher eine gewisse Drucksitua-tion. Ohne Kommunikation bekommen wir keine Spenden, daran führt kein Weg vorbei. Wenn wir darauf verzichten würden, würde unser Spendenvolumen in allen Organisationen massiv sinken. Das wäre nicht im Sinne unserer Mission. Trotzdem sind wir in vielen Bereichen sehr schmal aufgestellt und arbeiten teilweise wirklich am Minimum, um sicherzustellen, dass möglichst viel Geld in die Programme fließt. Das ist unser erklärtes Ziel.

Was wünschen Sie sich für das kommende Jahr?

Wir können so viel erreichen. Wir reden immer über die Probleme, und das ist auch wichtig. Aber wir haben auch viel geschafft. Es funktioniert, was wir tun. Wir haben große Probleme, aber wir haben auch die großen Lösungen dafür. Daher wünsche ich mir mehr Aufmerksamkeit für unsere Arbeit – auch für unsere Erfolge.

Dieser Artikel ist zuerst am 19.12.2024 in der News-Printausgabe Nr. 51/52 erschienen.

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