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Top-Onkologe Christoph Zielinski: Vom Umgang mit großen Schicksalen

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Seit mehr als drei Jahrzehnten begleitet Österreichs Top-Onkologe Christoph Zielinski Patientinnen und Patienten durch die Diagnose Krebs. Die Wissensflut seines Fachgebiets fasziniert ihn, wie er im Buch „Dem Krebs auf der Spur“ verdeutlicht. Für den Menschen hinter dem Arzt ist jedes Schicksal, das er begleitet, ein großes. Stets blicke er auf die großen Fragen unserer Existenz, sagt er

News: Sie begleiten Patientinnen und Patienten seit mehr als drei Jahrzehnten nach der Krebsdiagnose, noch immer die am meisten gefürchtete Diagnose. Wie geht es dem Menschen hinter dem Arzt damit? 

Christoph Zielinski: Da gibt es zum einen die Explosion des Wissens in diesem Fachgebiet, die mich persönlich motiviert. Gleichzeitig malträtiert mich diese wachsende Menge an Wissen, weil es täglich viele spezifische Neuigkeiten gibt, die man bewerten und einordnen muss. Am Beispiel von Medikamenten: Ist das wirklich neu oder ein Wirkmechanismus, der mir von einem anderen Präparat bekannt ist? Was sind die Unterschiede? Gibt es Vorteile? Dieser Umgang mit der Wissensexplosion ist komplex, aber notwendig für optimale Therapien. Ich verbringe Wochenenden mit Fachliteratur lesend, während andere beim Heurigen sind.

News: Und auf einer zwischenmenschlichen Ebene, wie erleben Sie diese?

Christoph Zielinski: Im Umgang mit Patienten und Patientinnen sind wir von einem paternalistischen Umgang abgekommen, bei dem der Arzt allein die Vorgehensweise bestimmt. Vielmehr geht es darum, den Patienten und Patientinnen das Wissen, das man erworben hat, zur Verfügung zu stellen. Wenn es mehrere Möglichkeiten zur Therapie gibt, spreche ich eine Empfehlung aus. Letztlich ist die Entscheidung der Patienten und Patientinnen ausschlaggebend. Die Frage, wie es mir persönlich damit geht, ist ehrlicherweise nur so zu beantworten: Es ist ein Umgang mit großen Schicksalen. Jeder und jede hat ein großes Schicksal, das ist der wesentliche Punkt. Dieser Umgang mit den großen Schicksalen, wie sich eine Erkrankung, eine Heilung oder auch keine Heilung in eine Lebensgeschichte fügt, fasziniert mich. Letztlich ist es ein Umgang mit der eigenen Endlichkeit und eine Beschäftigung mit den großen Fragen der Menschheit.

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 © Matt Observe/News

News: Gibt es eine entscheidende Erfahrung aus der Beziehung zwischen Arzt und Patient und Patientin?

Christoph Zielinski: Das Entscheidende ist Respekt. Respekt, den man dem Individuum gegenüber hat, aber auch Respekt, den man – in seltenen Fällen – gegenüber sich selbst einfordern muss. Es braucht eine zuwendungsvolle Distanz. 

News: Inwieweit ist der Patient, die Patientin gefordert, wenn es um Entscheidungen zur Behandlung geht?

Christoph Zielinski: Auf dem Weg von der „eminence-based medicine“ zur „evidence-based medicine“ sind wir an dem Punkt, wo sich die Evidenz aus klinischen Studien und internationalen Empfehlungen ergibt. Wenn jemand eine internationale wissenschaftliche Meinung ablehnt, dann suchen wir die zweitbeste Lösung. Man muss auf Varianten eingehen, die der Patient oder die Patientin vorzieht. Gleichzeitig muss ich als Arzt dahinterstehen und mich ruhig schlafen legen können. Ich habe auch schon gesagt: Es tut mir leid, aber zu dieser Therapie kann ich nicht stehen. Bei diesen Entscheidungen bin ich nie auf mich selbst zurückgeworfen, sondern immer auf eine internationale Evidenz.

Zur Person

News: Hilft oder schadet es, wenn Wissen zur eigenen Erkrankung im Internet angelesen wird?

Christoph Zielinski: Das Problem für Patienten und Patientinnen ist, dass das Internet das Wissen ungeordnet ausspuckt. Alle möglichen Erkenntnisse kommen gleichzeitig auf den Tisch, zum Teil weit oben gerankt, weil Rankings gekauft werden. Stunden vor dem Computer können nicht 30 Jahre Berufserfahrung ersetzen. Die künstliche Intelligenz hingegen hat einen großen, positiven Umsturz gebracht. Für eine erste Recherche zu möglichen Therapien bringt ChatGPT, wenn man es mit allen Details versorgt, gute Ergebnisse.

News: Ihr Vater war Schriftsteller, Sie sind über die Immunologie im heutigen Fachgebiet gelandet. Wollten Sie immer schon Arzt werden?

Christoph Zielinski: Ja, ich wollte etwas Ordentliches machen (lacht). Obwohl ich auch gerade an einem Roman arbeite. Ich habe Medizin studiert, weil ich in Mathematik schlecht war. Biochemie hat mich schon fasziniert, als wir in der Schule über die DNA gelernt haben, die damals entdeckt worden ist. Nach drei Jahren in den USA auf einem immunologischen Krebsinstitut hat mein Wiener Chef gesagt: Herr Zielinski, was wollen Sie mit der Immunologie? Da haben Sie maximal zehn Patienten im Jahr. – In falscher Einschätzung dessen, dass die Immunologie in der Krebsbehandlung entscheidend wird. Es wäre vermessen, mich als Immunologen zu bezeichnen, aber in der Krebsmedizin verstehe ich, was ich tue.

News: Welche Eigenschaften braucht es für einen Ausnahmeweg wie den Ihren?

Christoph Zielinski: Genies gibt es sehr wenige. Wenn Sie neugierig und fleißig sind, dann haben Sie, was es braucht. In dem Moment, wo man die Neugier verliert, ist man gestorben. Das gilt im gesamten Leben.

News: Sie haben zuvor von Ihrer Begeisterung für Schicksale gesprochen. Erklären Sie bitte.

Christoph Zielinski: Ich glaube, dass es in unserem Leben viele Dimensionen des Selbst gibt. Die Frage, wie man diese Dimensionen auslebt, ist interessant. Wir müssen uns im Klaren sein, dass nicht alle Opfer immer Opfer sind. Manchmal werden Opfer zu Aggressoren und umgekehrt. Dahinter stehen die menschlichen Überlegungen „Wo stehe ich?“ und „Was mache ich mit dem Leben, das mir gegeben worden ist?“. Am schlimmsten sind die Unverbesserlichen, die aus verschiedenen Erfahrungen immer die gleiche Schlussfolgerung ziehen.

News: Wie ist diese Betrachtung bezogen auf die Beziehung zwischen Arzt und Patient oder Patientin zu verstehen? 

Christoph Zielinski: Ich erlebe, dass die meisten Menschen früher oder später Opfer werden. Opfer ihrer Erkrankung. Opfer ihrer Situation. Der Umgang damit ist interessant. Ich habe einen Patienten gehabt, der bis zum Ende seines Lebens nur mehr Goethe-Gedichte gelesen hat, ein bemerkenswerter Mann, der in völliger Stille verstorben ist. Ein anderer hat bis zum Schluss Bruckner gehört. Wieder ein anderer hat sich bis zuletzt darum gekümmert, dass es seinem Hund gut gehen wird, wenn er nicht mehr ist. Das ist ein imponierender Zugang, dass man sich nicht um sich selbst kümmert, sondern um die, die überbleiben.

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 © Verlag

News: Gibt es Menschen, deren mentale Verfassung einen Umgang mit der Diagnose erleichtert? Hilft es, wie man auch hört, wenn man sich mit der Krankheit anfreundet, statt sie als Feind zu betrachten?

Christoph Zielinski: Ich glaube, das ist Typsache und eine Frage des unmittelbaren Umfelds. Ich habe den Eindruck, dass es Menschen, die in Beziehungen eingebettet sind, leichter haben als solche, die das allein durchstehen müssen. Freunde, Freundinnen und Familie können hilfreich sein, wenn sie nicht überprotektiv sind. 

News: Sie kennen bestimmt die Volksweisheit „Was kränkt, macht krank“. Was halten Sie davon?

Christoph Zielinski: Das ist nicht zu beobachten und ich glaube es nicht. Menschen, die fröhlich sind, bekommen Tumore und solche, die traurig sind.

News: Mussten Sie als Arzt Strategien entwickeln, um sich als Mensch auch abzugrenzen von Schicksalen Ihrer Patienten und Patientinnen?   

Christoph Zielinski: Die Methode, die man entwickelt, ist zu verstehen, wie das Leben tatsächlich tickt, außerhalb dessen, was einem vorgegeben wird. Dazu gibt es das wunderbare Buch von Elias Canetti, „Masse und Macht“, wo er beschreibt, wie der Mensch aus dem Bedürfnis der Kontrolle vieles entweder einmauert oder ausmauert. Nehmen Sie Krankenhäuser als Beispiel: Wir mauern die Kranken ein und die Gesunden mauern wir aus. Oder Theater: Kunst wird eingemauert, die Nicht-Kunst mauern wir aus. Wenn man dieses Konzept versteht, erkennt man, dass man an sich selbst arbeiten muss, um das Leben zu verstehen. Nicht den Teil, der einem von außen durch Zwänge vorgegeben wird, sondern verstehen, worum es wirklich geht.

News: Wie weit sind Sie im Verstehen?

Christoph Zielinski: Weit, aber ich spreche mit vielen Menschen, die wenig verstanden haben. Das Ende vieler Menschen ist nicht so, wie es sich die meisten vorstellen. Das Entweichen des Lebens aus dem menschlichen Körper ist ein komplexer Prozess. Ab dem Zur-Welt-Kommen ist im menschlichen Leben alles gut angedacht, nur das Sterben nicht. Man sollte eher im Äther verschwinden. Das wäre die respektvollste Art im Umgang mit dem Individuum. Gott ist nicht lieb. 

Über die Autoren

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