Verwandlungs- und textversessene Schauspieler statt Belehrungsklamauk, das Burgtheater wieder mehrfach ausverkauft: Im Theater wird es in jüngster Zeit wieder richtig schön. Die falschen Schlüsse sollten wir daraus aber nicht ziehen
Sollten Sie mir das Folgende nicht glauben wollen, so lassen Sie sich bitte nicht aufhalten, denn die Botschaft nimmt sich in der Tat abenteuerlich aus: Es gibt noch gute, sehr gute Nachrichten für uns Kultur-Autisten. Selbst in diesen irren Zeiten, in denen die Resthoffnungen der zivilisierten Welt auf ein paar Bankdirektoren ruhen, die ihre Partei lieber in den Abgrund der Neuwahlen schicken, statt einen mikrobischen Anteil ihrer Gewinne an das Gemeinwohl zu verschwenden.
Die gute Nachricht wollen Sie wissen? Das Theater kommt zurück, traumhaft schnell und ohne Umstände. Die zur Plage gereifte „Postdramatik“ mit Belehrungsgeplapper statt „Sein oder Nichtsein“, mit Liveübertragung aus dem Dusch-WC statt des allabendlichen Kampfes auf Leben und Tod um den Moment des Atemanhaltens diesseits und jenseits der Rampe: Die verschanzt sich schon in der deutschen Provinz und begleicht die Unterkunft mit Kryptowährung ohne Wert, die aus bankrotten Zeitungsfeuilletons in Umlauf gebracht wird und z. B. das einst maßstabsetzende Berliner Theatertreffen in den Stand der Obskuranz versetzt hat.
Was ich zuletzt in den Wiener Theatern gesehen habe, war – unabhängig vom Gelingen – von geradezu demonstrativ konservativer Bauart (Ausnahme war ein Radau-Tschechow an der „Josefstadt“, die ihrer Zeit stets klug hinterher war und in der Abenddämmerung der amtierenden Direktion hoffentlich nicht noch in die Spätpubertät kommt).
Epigonendämmerung
Um nun gleich mehreren Missverständnissen zuvorzukommen: Wer meint, die Entwicklung sei dem weltweiten Torkeln nach rechts geschuldet, der irrt. Die Sorte „Steuerzahler“ im Widerstand gegen „Staatskünstler“ weiß nicht einmal, wovon wir hier reden.
Auch ist das kühne, theaterweltverändernde Abenteuer „Postdramatik“ keineswegs am Ende. Was Elfriede Jelinek, Frank Castorf oder Christoph Schlingensief um die Jahrtausendwende erst definiert, dann skizziert und endlich umgesetzt haben, ist keine Spur von vorbei. Die Pest sind nur die Epigonen, die sich den Bahnbrechern stets verlässlich als unerbetene Entourage andienen. Ungeheuer muss das Aufatmen der Zweitklassigen gewesen sein, die, zu ungebildet für Textarbeit und zu unbegabt für Personenführung, plötzlich ihre eigene Unmaßgeblichkeit als Maßstab präsentieren konnten.
Wer nun vor einem Jahr Jelineks Berliner „Angabe der Person“ mit drei atemberaubenden Schauspielerinnen sah, der hat verstanden, wohin es geht: Der große Hochsensible Jossi Wieler hat sich einer scheinbar undurchstoßbaren Textfläche wie mit dem Detektor genähert und Persönlichstes freigelegt. Das Resultat war ein Abend puren Literatur und Schauspielertheaters.
Der robustere Weg
Den nämlichen Weg, nur um ein paar Windungen hirnschlichter und robuster, nahm soeben die Regisseurin Claudia Bauer am Volkstheater. Paradoxerweise will man sich auch dort unter allerhöchster Dispens aus der postdramatischen Falle evakuieren: Just Elfriede Jelinek soll behilflich sein, und zwar mit ihrem frühen Stück „Krankheit oder moderne Frauen“, in dem noch Personen gezeichnet, Rollen ausgeschrieben, Dialoge geführt werden.
75 von 120 Minuten findet die Aufführung mit einer saftig feministischen, gekonnt ins Groteske überdrehten Vampirklamotte das Auslangen. Als sich das Verfahren abzunutzen beginnt, geschieht schicksalhaft, was nicht zu vermeiden ist, wenn die Regie nicht weiterweiß: Die Schauspieler brüllen Rockmusik, aber dankenswerterweise nur kurz. Dann dreht sich das Ganze nicht unattraktiv ins Absurde, man meint, es mit einem Text von Ernst Jandl oder dem russischen Wortanarchisten Daniil Charms zu tun zu haben. Das Außergewöhnliche daran ist, dass der Text der späteren Nobelpreisträgerin unangetastet bleibt. Ausgenommen sind zwei überflüssigerweise hinzugefügt Manifeste, in denen Elfriede Jelinek das postdramatische Theater skizziert, das in der Aufführung aber schon wieder in großen Teilen außer Kraft gesetzt ist. Das nennt man ein Rückzugsgefecht.
Neue alte Kunst
Zwei Tage später sah man am Burgtheater den von der neuen Direktion eingeschlagenen Weg mit Glanz bestätigt. Große Texte in den Händen, Herzen und Hirnen erstklassiger Schauspieler auf der Höhe ihres sprachlichen Könnens und einer Verwandlungskunst bis zur Selbstentäußerung: Für „Liliom“ mit Stefanie Reinsperger und die Brillanz soli „Holzfällen“ (mit Nicholas Ofczarek) und „Schachnovelle“ (mit Nils Strunk) bekommt man schon keine Karten mehr. Wann hätte das der Vorgänger von seinem Haus behaupten können?
Nun hat die Wunderregisseurin Barbara Frey mit Molières „Tartuffe“ eins draufgesetzt. Zwar erschließt sich nicht, weshalb die Burg drei Molières in 14 Monaten, aber keinen Kleist, Schiller oder Nestroy ins Programm gerückt hat. Aber der neue, der lohnt. Schon mit einem deutsch besetzten „Weiten Land“ hat uns Barbara Frey gelehrt, dass es nicht ums österreichische Idiom, sondern um die Melodie der Sprache geht. Jetzt sieht man ein dunkles Kammerspiel der deformierten Seelen mit Schauspielern, die sich in aller Diskretion bis zur Abnormitätenparade entstellen und doch allesamt Schicksale zu erzählen wissen.
Wenn jetzt noch die jeden Könner beleidigenden Gesichtsmikrofone auf den Index kämen, wäre das Theaterleben wieder richtig schön.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.04/2025 erschienen.